Einsparungen bei Volkswagen:Wo es VW wehtun wird

Kaefer 1300 (1965)

Vom Kassenschlager zum Weltauto: Auf den Käfer (im Bild ein Exemplar mit Baujahr 1965) folgte der Golf - und der Anspruch von Volkswagen, DAS Auto fürs Volk zu bauen. Inzwischen läuft das Geschäft nicht mehr so gut, der Konzern muss kräftig sparen.

(Foto: VW)

Nach außen steht VW noch gut da, in der Bilanz dagegen häufen sich die Makel. Fünf Milliarden Euro sollen pro Jahr eingespart werden - aber wo?

Von Karl-Heinz Büschemann,Thomas Fromm und Kristina Läsker

Berlin in diesen Tagen: Es war ein Abend, wie sie ihn lieben bei Volkswagen. Jedes Jahr im November ist es das gleiche Ritual: Bild am Sonntag und Autobild vergeben die "Goldenen Lenkräder" für die besten neuen Autos des Jahres und lassen Fahrzeuge von Promis küren. Diesmal auf der Bühne: Barbara Schöneberger (grünes langes Kleid) und Maria Höfl-Riesch (lila langes Kleid). Ansonsten aber war es eher eintönig. Denn gewonnen hat fast nur VW - gemeinsam mit der Tochter Porsche räumte der Autohersteller sechs der sieben Preise ab.

Wer sich vor allem für Preisverleihungen interessiert, könnte glauben, dass bei Europas größtem Autokonzern alles rundläuft. Es läuft aber nicht mehr alles rund. Man muss sparen, und zwar kräftig. So etwas wirft Fragen auf. Vor allem diese: An welche Kosten will man eigentlich ran?

Worum es im Sparprogramm geht

Nach außen sieht vieles noch gut aus: Volkswagen hat mit seinen 572 000 Beschäftigten und knapp 200 Milliarden Euro Jahresumsatz den Gewinn im dritten Jahresquartal um 16 Prozent auf 3,23 Milliarden Euro gesteigert. Das schafft nicht jeder Hersteller in diesen Zeiten.

In der Bilanz aber häufen sich die Makel: Ausgerechnet die Kernmarke VW, die mittelfristig auf eine Gewinnmarge von sechs Prozent kommen soll, dümpelt bei über zwei Prozent. Das ist zu wenig. Das Zwölf-Marken-Imperium, bei dem die Profite vor allem von den Töchtern Porsche und Audi und aus China kommen, ist längst aus dem Takt geraten - das weiß auch VW-Chef Martin Winterkorn.

Deshalb hat er dem Konzern ein hartes Sparprogramm verordnet: Es gehe darum, "Maßnahmen zu ergreifen, die deutlich, wirksam und auch schmerzhaft sind", kündigte er im Sommer an. Seitdem weiß jeder, dass auch VW nicht mehr immun ist. Und: Seitdem weiß auch jeder, dass der Vorstandsvorsitzende fünf Milliarden Euro pro Jahr einsparen will. Nur, was keiner so genau weiß: Was haben Betriebsrat und Management, die sich nun zu ständigen Krisensitzungen treffen, jetzt genau vor? Am Freitag dieser Woche kommt in Wolfsburg wie jeden Herbst der VW-Aufsichtsrat zusammen, um über die Investitionen der nächsten Jahre zu sprechen. Interessant wird diesmal aber die Frage sein: Wo wird eigentlich nicht mehr investiert?

Das größte Tortenstück heißt "Fixkosten"

Intern kursiert schon ein Diagramm in Form einer Torte. Eine Torte der besonderen Art, vor der sich viele Mitarbeiter fürchten: Sie zeigt, in welchen Bereichen die vielen Milliarden hereingeholt werden sollen. Das größte Tortenstück heißt "Fixkosten", hier muss am meisten gespart werden. Danach folgt der Vertrieb. Die Ansage ist eindeutig: Pro verkauftem Auto muss einfach mehr Geld hängen bleiben.

Doch es geht bei all dem nicht nur ums reine Sparen, es geht im Grunde: um die Zukunft. Milliarden geben Konzerne wie VW derzeit aus, um sich auf Unwägbarkeiten vorzubereiten. Auf strengere CO₂-Vorgaben aus Brüssel, auf die Vernetzung der Autos mit dem Internet, auf die neue E-Mobilität. Darauf, dass die neuen jungen Städter sich vielleicht lieber Autos borgen als kaufen. Und darauf, dass es im weltweit größten Automarkt China irgendwann weniger gut laufen wird.

Einsparungen bei Volkswagen: undefined

Hinter den Kulissen wird gerechnet und analysiert. Wo lässt sich verschlanken? Die Zahl der Modelle: mit über 300 zu hoch. Die Zahl von Komponenten wie etwa Außenspiegeln? Ausufernd. Die Wahlmöglichkeiten für Kunden? Überfordernd. Kurz: Lange waren die VW-Ingenieure in ihre Technik verliebt und machten so gut wie alles, was möglich war. Das kommt jetzt teuer: "Wir sind Opfer unserer eigenen Vielfalt geworden", sagt ein Top-Manager. Dringend müsse diese allgegenwärtige Komplexität reduziert werden. "Das ist eine Jesus-Aufgabe", sagt er. Wenn Manager anfangen, biblische Vergleiche zu ziehen, dann ist die Lage ernst. Ziemlich ernst.

Vieles von dem, was VW in seinen deutschen Komponentenwerken heute noch selbst macht, könnten Zulieferer günstiger erledigen. "Wenn man sich das alles mal genauer anschaut, kriegt man schon eine Summe zusammen", heißt es aus dem Konzern. Allerdings: Das sei "nichts, was von heute auf morgen geht".

Wie es für die Beschäftigten weitergeht

Eines ist klar: Die festangestellten Beschäftigten in den Fabriken wird Firmenchef Winterkorn kaum einfach so feuern können. Zu groß wird die Mitbestimmung in dem Traditionskonzern geschrieben. Zu laut wäre der Aufschrei vom Großaktionär, dem Bundesland Niedersachsen. Dort ist VW der größte Arbeitgeber. Opfer werde die Belegschaft nicht bringen - das fordert auch der Konzernbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh. Es müsse einen Kostenrückgang ohne Jobverlust geben.

Erst kürzlich hat der mächtige Betriebsratsvorsitzende dem Vorstand am Konzernsitz Wolfsburg ein 400-seitiges Papier mit Vorschlägen zum Sparen vorgelegt.

Personalabbau stand da nicht drin.

Auch Martin Winterkorn hat sich festgelegt. "Wir werden kein Stammpersonal abbauen." Kein Stammpersonal abbauen, das heißt auch: Es könnte vor allem Leiharbeiter in Deutschland treffen. "Mithilfe von Leiharbeitern kann die Produktion atmen", sagt ein Manager dazu. Eine Binsenweisheit der Industrie. Um im Bild zu bleiben: Wenn Kosten gedrückt werden, dann muss man eben mal stärker ausatmen.

Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft in Bergisch Gladbach, glaubt, dass Volkswagen sich auf jeden Fall darauf einstellen müsse, "in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit weniger Mitarbeitern in Deutschland auszukommen". Die große Frage an Management und Betriebsrat sei dann: "Wird man es nun schaffen, den Rückgang der Beschäftigung gemeinsam zu steuern?"

Warum andere profitabler arbeiten

Denn es geht auch anders: Zahlen des Center Automotive Research der Universität Essen-Duisburg zeigen: Der japanische Rivale Toyota, der fast genauso viele Autos im Jahr baut wie VW und ähnlich viel Umsatz macht, ist sehr viel profitabler. 2013 wurde pro VW-Mitarbeiter ein Betriebsergebnis von 20 375 Euro erzielt. Bei Toyota waren es dagegen 37 768 Euro - fast das Doppelte.

Der Grund: Toyota-Fahrzeuge sind technisch einfacher, ohne schlechter zu sein. Sie sind einfacher zu bauen, und sie sind für viele Märkte der Welt gleichermaßen geeignet. VW aber verzettelt sich mit all seinen Marken, Modellen und Ausstattungen. Winterkorn selbst beklagt viele der Spielereien des Hauses. Weil sie alles so kompliziert machen.

Und weil sie so viel kosten: Volkswagen verdiene am wichtigsten Auto des Hauses, dem Golf, nur noch 150 Euro pro Stück, sagen Insider. Wenn das stimmt, wäre es eine Katastrophe. "Wir haben in der Produktivität gegenüber Kernwettbewerbern noch Nachholbedarf", räumte auch Winterkorn jüngst in einem Spiegel-Interview ein. Intern ist der Druck hoch: Denn Konzernpatriarch und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch will Ergebnisse sehen - er will wissen, wann und wie es wieder bergauf geht.

Eigentlich wollte Winterkorn den Rivalen Toyota als Weltmarktführer spätestens 2018 abhängen, nicht nur beim Absatz. Jetzt ist er froh, wenn er mit den Japanern Schritt halten kann. Denn die sind international besser vertreten als VW. Die Deutschen haben in den USA, dem zweitwichtigsten Automarkt der Welt hinter China, einen schwindenden Marktanteil von nur 3,6 Prozent. Und sie machen dort Verlust.

Toyota hat dagegen in den USA - die hauseigene Premiummarke Lexus mit eingerechnet - einen Marktanteil von 14,4 Prozent erobert. Da gibt es für VW viel aufzuholen: "Wir verstehen die USA bislang nur in begrenztem Maße", sagt VW-Aufsichtsratschef Piëch. Das ist eine klare Analyse. Und es ist durchaus auch eine klare Ansage an die eigenen Leute.

Deutlicher geht's nicht.

Wie sich das Geschäft in China entwickelt

Bleibt die Freude an China, von dort kommen die höchsten Gewinne. Der asiatische Großmarkt, auf dem VW seit mehr als 30 Jahren präsent ist, hat die Wolfsburger zuletzt zuverlässig gerettet, wenn es anderswo mal nicht lief. Aber das Geschäft auf dem inzwischen größten Automarkt der Welt wird schwieriger. Die einst gigantischen Zuwachsraten sinken auf Normalmaß. Was wächst, ist die Konkurrenz: Vor allem einheimische Hersteller haben inzwischen von ihren westlichen Joint-Venture-Partnern gelernt und wollen nun selbst das große Geschäft machen. Am Freitag hat der für das China-Geschäft zuständige VW-Vorstand Jochem Heizmann deutlich davon gesprochen, dass auch in China die Bäume längst nicht mehr in den Himmel wachsen. "Auch dort wird es zu einer Normalisierung kommen", sagte er.

Konzernchef Martin Winterkorn hat einen harten Job vor sich: Er muss den Konzern auf die Zeiten vorbereiten, in denen die Gewinne aus Fernost die trüben Zahlen aus Amerika und den schwächelnden europäischen Markt nicht mehr ganz so ausgleichen können wie bisher. Dazu muss er das Autoimperium aufmischen - und viele Abläufe neu sortieren.

Wenn er genug Zeit hat dafür. Der Vertrag des Chefs läuft bis Ende 2016. Dann wäre er 69 Jahre alt und, wie er selbst sagt, "eigentlich alt genug, um aufzuhören".

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