Einsatz von Pestiziden:DDT - vom Wundermittel zum Teufelszeug

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Lästige Fliege am Fenster? In den Fünfzigerjahren war das Insektengift DDT im Haushalt oft in Griffweite. Über die Risiken war wenig bekannt. (Foto: Getty Images)
  • In den Fünfzigerjahren kam das Insektizid DDT auf den Markt. Schädlinge auf dem Acker ließen sich damit beinahe über Nacht ausrotten.
  • Doch die schädliche Wirkung wurde lange unterschätzt. Es dauerte drei Jahrzehnte bis das Mittel auf die Liste der verbotenen Stoffe gesetzt wurde.
  • Die schwierige Aufgabe der Politik ist es, die Risiken gegen den Nutzen abzuwägen. Das muss nun die EU-Kommission auch im Fall Glyphosat tun.

Von Silvia Liebrich

So manche Werbung wirkt im Rückblick wie aus der Zeit gefallen. Das kann lustig sein oder einfach nur verstörend. Letzteres zeigen die Top-Ten der gefährlichsten Werbeaktionen, die die Macher von Collectorsweekly.com, einer Onlineplattform für Sammler, zusammengetragen haben. Noch eher harmlos wirken da die Anzeigen für Seven-up-Limonade als Säuglingsnahrung oder vom Arzt verordnete Zigaretten. Und über die Idee, Babys in Plastikfolien einzupacken, würde der Hersteller Dupont heute wohl lieber den Mantel des Schweigens breiten.

Das Zeug zur bitterbösen Satire hat definitiv eine Anzeige für das Insektizid DDT aus den Fünfzigerjahren: Eine adrette Hausfrau in Küchenschürze, die im Chor mit Hund, Kuh, Henne, Apfel und Kartoffel das fröhliche Lied schmettert "DDT is good for m-e-e-e" - DDT ist gut für mich. Ein tragischer Irrtum, nicht der einzige in der Geschichte von Chemikalien und Pestiziden. Das hochwirksame Insektengift wurde seit den Siebzigerjahren nach und nach in den meisten Ländern verboten. Bis es jedoch soweit war, tobte ein langer, erbitterter Kampf zwischen Industrie, Agrarverbänden und Naturschützern.

Der Fall DDT ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich ein vermeintliches Wundermittel zum Gefahrengut wandeln kann und wie schwierig es ist, Nutzen gegen Risiken abzuwägen: Hersteller wollen ihre Produkte verkaufen, Landwirte gute Ernten einfahren, während Bürger verlangen, dass der Staat sie vor unwägbaren Gefahren schützt. Gleichzeitig soll er sicher stellen, dass genug bezahlbare Lebensmittel verfügbar sind. Ein Dilemma, mit dem sich derzeit auch die EU-Kommission herumschlagen muss. Die anstehende Neuzulassung des Unkrautvernichters Glyphosat hat eine hitzige Auseinandersetzung ausgelöst, die durchaus einige Parallelen zum Streit um DDT aufweist.

DDT war einmal das am häufigsten eingesetzte Insektizid

Heute wie damals steht viel auf dem Spiel. "Beim Streit um Glyphosat geht es um mehr als nur um die Zukunft eines Pestizids. Hier geht es um die Grundsatzfragen unserer Lebensweise: Welche Art von Landwirtschaft und Konsum wollen wir? Zu welchen Verhaltensänderungen ist jeder Einzelne in seinem jeweiligen Lebensumfeld bereit?", sagt Carina Weber vom industriekritischen Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN). Sie beobachtet die Branche seit mehr als 30 Jahren und weiß, wie lange es dauern kann, vom ersten Hinweis auf mögliche Risiken, bis zu dem Punkt, an dem ein gefährlicher Stoff aus dem Verkehr gezogen wird. "Wenn ein Mittel nicht zu einem akzeptablen Preis ersetzt werden kann, ist es grundsätzlich schwierig, einen kritischen Stoff zu verbieten. Bauern und Industrie wehren sich dann sehr massiv."

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Auch im Fall von DDT war der Widerstand der Industrie gewaltig. Als die US-Biologin Rachel Carson im Sommer 1962 ihr Buch mit dem Titel "Silent Spring" vorstellte, in dem sie das Gefahrenpotenzial des Insektizids systematisch beschrieb, löste sie Entrüstung aus. Sie wurde stark angefeindet, nicht nur von der Industrie, sondern auch von einigen Wissenschaftlern und konservativen Politikern. Die Angriffe beschränkten sich nicht auf sachliche Argumente, sie zielten teilweise deutlich unter die Gürtellinie. Unter anderem wurde das Gerücht gestreut, Carson sei Kommunistin und an einer Verschwörung der Sowjetunion gegen die USA beteiligt.

Als das Buch erschien, war DDT das weltweit am häufigsten eingesetzte Insektizid, das Mittel galt als wirksam und relativ ungefährlich für Menschen und Säugetiere. Der Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller, der den Stoff zwar nicht erfunden, aber den Nutzen erkannt hatte, bekam dafür 1948 sogar den Nobelpreis für Medizin.

Die Vorzüge schienen überwältigend: Lästige Schädlinge auf dem Acker ließen sich mit DDT beinahe über Nacht ausrotten. Rasenvernarrte amerikanische Hausbesitzer schätzten das Mittel nicht nur im Garten, sondern auch in den eigenen vier Wänden. Mit dem Insektizid getränkte Tapeten und Teppichböden hielten Kleingetier aller Art fern.

Kaum vorstellbar aus heutiger Sicht: Hersteller empfahlen das Mittel sogar ausdrücklich für den Einsatz in Kinderzimmern, zum Schutz vor Ungeziefer. In Malaria verseuchten Gebieten erwies sich das Mittel als effizient im Einsatz gegen Stechmücken, die den tückischen Erreger übertragen. Millionen von Menschen in Afrika und anderen armen Ländern hat DDT vermutlich das Leben gerettet.

Die negativen Folgen des weltweit stark steigenden Einsatzes von DDT wurden von der Politik lange unterschätzt. Dabei gab es erste Verdachtsmomente über schädliche Nebenwirkungen schon relativ früh, bereits während des Zweiten Weltkriegs. Die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA merkte damals an, dass sich das Insektengift in der Nahrungsmittelkette anreichere und sich nur sehr langsam abbaue. Doch die Warnungen wurde übergangen. Die Industrie hielt dagegen und berief sich auf ihre eigenen Studien, die belegen sollten, dass DDT weitgehend harmlos sei.

Es dauerte schließlich drei Jahrzehnte bis das Mittel auf die Liste der verbotenen Stoffe gesetzt wurde, 1972 erst in den USA, 1977 dann in Deutschland, andere Länder folgten. Rachel Carson hat diese späte Genugtuung nicht mehr erlebt. Sie starb 1964 nach langer Krankheit an Krebs. Heute gilt sie als eine Mitbegründerin der amerikanischen Umweltbewegung.

Viele Landwirte müssten ihre Produktion umstellen

In knapp 180 Ländern darf DDT seit 2004 nicht mehr oder nur eingeschränkt eingesetzt werden, beispielsweise um Insekten zu bekämpfen, die Malariaerreger übertragen. Fest steht auch, dass der Stoff alles andere als harmlos ist und eine tödliche Gefahr für Vögel und andere Tierarten darstellt. Er kann ihr Erbgut schädigen und die Fortpflanzung verhindern. In der Natur baut sich das Gift nur sehr langsam ab. Klar ist ebenfalls, dass der Stoff auch Menschen schaden kann. Wie sehr, das ist unter Wissenschaftlern allerdings bis heute umstritten.

Auch bei Glyphosat streiten sich die Forscher heftig. Der Unkrautvernichter steht wie DDT im Verdacht, dass er bei Menschen Krebs auslösen oder Erbgutschäden verursachen könnte. Tatsache ist, dass sein Einsatz in Deutschland und anderen EU-Ländern erst seit der Jahrtausendwende stark zugenommen hat, erstmals zugelassen wurde es 1974 in den USA auf Antrag des Agrarkonzerns Monsanto. Inzwischen ist Glyphosat weltweit das meist verkaufte Pestizid, Herstellern bringt es Milliardenumsätze, der Anbau vieler Gentechnik-Pflanzen außerhalb Europas ist nur in Zusammenspiel mit dem Unkrautvernichter erfolgreich. In der Banker-Sprache könnte man das Ackergift wohl zu Recht als systemrelevant für die Landwirtschaft bezeichnen. Darf der Stoff nicht mehr eingesetzt werden, müssen viele Landwirte ihre Produktion umstellen.

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Dass es auch ohne geht, zeigt jedoch der Ökolandbau. In der Industrie macht sich deshalb zunehmend Nervosität breit. Grund dafür sind auch die neuen Umsatzzahlen, die der Industrieverband Agrar gerade für 2015 vorgelegt hat. Erstmals seit fünf Jahren musste die Branche in Deutschland ein Umsatzminus von einem halben Prozent auf knapp 1,6 Milliarden Euro melden. Besonders stark brach das Geschäft mit Herbiziden wie Glyphosat ein. Es ging um mehr als sechs Prozent auf fast 640 Millionen Euro zurück. Für den Verband ein Alarmsignal. Hauptgeschäftsführer Volker Koch-Achelpöhler, kritisiert die "zunehmende Politisierung von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren" in der EU und spielt damit auf die Diskussion um Glyphosat an. Die Landwirtschaft in der EU laufe Gefahr, vom technischen Fortschritt abgehängt zu werden, warnt er im Jahresbericht.

Wer muss zahlen?

Was aber ist mit den Risiken? Welche Langzeitfolgen der Einsatz der Pestizide hat, zeigt sich manchmal erst Jahrzehnte später. Spuren des Unkrautvernichters Atrazin sind noch heute im Trinkwasser zu finden, obwohl der Stoff seit Beginn der Neunzigerjahre nicht mehr eingesetzt werden darf. Allein in Bayern sind nach Behördenangaben 20 Prozent der Landesfläche belastet, das wurde im vergangenen Jahr bei Untersuchungen deutlich.

Wer aber muss zahlen, wenn Menschen aufgrund hoher Belastungen krank werden oder die Umwelt Schaden nimmt? "Hersteller in die Verantwortung zu nehmen, ist sehr schwer", stellte der amerikanische Anwalt Kenneth Feinberg fest. Er hat einen Entschädigungsfonds für US-Veteranen im Vietnamkrieg erstritten, die durch das berüchtigte Entlaubungsmittel Agent Orange Gesundheitsschäden davongetragen haben. Eine eindeutige Schuld könne man der Industrie tatsächlich oft nicht nachweisen, weil es für Erkrankungen in der Regel viele Ursachen geben kann, sagt er. Am Ende müsse deshalb meist die Allgemeinheit für Schäden aufkommen, viele Opfer gingen leer aus.

Aufgabe der Politik ist es, solche Risiken gegen den Nutzen aufzuwägen. Vor dieser schwierigen Aufgabe stehen nun auch die EU-Mitgliedsländer, wenn sie Mitte Mai über eine Neuzulassung von Glyphosat entscheiden müssen. Der Fall DDT kann dabei zumindest eine Hilfestellung sein.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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