Süddeutsche Zeitung

Einkommen:So hoch ist der deutsche Mindestlohn im Vergleich

  • Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern zahlt Deutschland mit derzeit 9,19 Euro einen eher niedrigen Mindestlohn.
  • Am niedrigsten ist er jedoch mit 1,72 Euro in Bulgarien - in Österreich und Italien hingegen gibt es keinen Mindestlohn.

Von Thomas Öchsner

10,03 Euro pro Stunde in Frankreich, 9,80 Euro in Irland, 5,45 Euro in Spanien: 20 der 22 EU-Länder haben zum Jahresanfang oder im Lauf des vergangenen Jahres ihre Mindestlöhne erhöht. In Deutschland beläuft er sich derzeit auf 9,19 Euro - 35 Cent mehr als noch im Vorjahr. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern ist der niedrigste erlaubte Bruttolohn damit hierzulande eher niedrig. Das geht aus einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor.

Innerhalb der EU sei bereits seit einigen Jahren ein Trend zu großen Mindestlohnsteigerungen zu beobachten, schreiben die WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten und Malte Lübker im neuen Mindestlohnbericht. Die höchsten Zuwachsraten verzeichnen die Forscher in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern, wo die Aufschläge meist zwischen sieben und zehn Prozent liegen. In den west- und südeuropäischen Mitgliedsstaaten fiel das Plus bei den Mindestlöhnen deutlich niedriger aus. In Deutschland beläuft sich die Anhebung auf vier Prozent, allerdings für zwei Jahre, da hierzulande - anders als in anderen Ländern - die gesetzliche Lohnuntergrenze nicht jedes Jahr angehoben wird. Im Mittel der 22 EU-Staaten betrug der Zuwachs hingegen 4,8 Prozent und nach Abzug der Inflation noch 2,7 Prozent.

Mindestlohn ist noch weit vom Medianlohn entfernt

Spitzenreiter ist nach wie vor mit weitem Abstand Luxemburg mit einem Mindestlohn von 11,97 Euro. Zum Vergleich: In Portugal müssen Unternehmen nur 3,61 Euro zahlen, in Rumänien sogar nur 2,68 Euro. Der niedrigste EU-Mindestlohn gilt in Bulgarien mit 1,72 Euro. Die mittel- und osteuropäischen Staaten holen aber auf, hier sind die Zuwächse besonders stark. Keinen Mindestlohn haben bislang Österreich, die nordischen Länder und Italien. In diesen Staaten halten sich die meisten Unternehmen jedoch an Tarifvereinbarungen, was von den Regierungen unterstützt wird. Faktisch setzten Tarifverträge dort eine allgemeine Untergrenze fest, die "in der Regel oberhalb der gesetzlichen Mindestlöhne in Westeuropa liegt", so die Wissenschaftler.

Die Forscher untersuchten auch, welchen Stellenwert der Mindestlohn im Vergleich zu anderen Löhnen hat. Das zeigt ein Blick auf den Medianlohn, also den Verdienst, der genau in der Mitte der Verteilung liegt, bei dem also genau die eine Hälfte der Arbeitnehmer mehr und die andere Hälfte weniger verdient. Als wichtig gilt hier die 60-Prozent-Marke: Löhne oberhalb von 60 Prozent des Medianlohns gelten als einigermaßen existenzsichernd, weil Alleinstehende dann in der Regel ohne spezielle staatliche Sozialleistungen von ihrer Arbeit leben können.

Von dieser Untergrenze ist der Mindestlohn in vielen Ländern aber noch weit entfernt. In Deutschland lag die gesetzliche Lohnuntergrenze 2017 bei knapp 48 Prozent des Medianlohns. Sollte er 60 Prozent betragen, so müsste der deutsche Mindestlohn auf annähernd 12 Euro angehoben werden, rechnen die Forscher vor. Tatsächlich hatte die SPD in ihrem Sozialstaats-Konzept vorgeschlagen, den Mindestlohn schrittweise auf 12 Euro zu erhöhen. Dies wird von der Union, dem Koalitionspartner in der Bundesregierung, aber kategorisch abgelehnt.

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