Süddeutsche Zeitung

Einkaufstempel:Was ihr wollt

Karstadt kämpft gegen den Untergang - und alle reden vom Ende des traditionellen Warenhauses. Die Kunden von heute kauften online ein, heißt es. Aber stimmt das? Ein Stuttgarter Familienunternehmen beweist, dass das Kaufhaus noch nicht am Ende ist.

Von Silvia Liebrich, Angelika Slavik und Stefan Weber

Der beste Platz bei Breuninger in Stuttgart ist im Untergeschoss. Es gibt da einen Süßigkeiten-Tunnel: eine pink beleuchtete Röhre voll mit Lakritztalern, Erdbeerschnüren und sauren Cola-Krachern. Es ist ein Ort, an dem Kinder große Augen kriegen und Erwachsene milde lächeln. An dem mit Zellophantüten geraschelt und Taschengeld abgezählt wird, es ist ein Endlich-ist-die-Schule-aus-Ort. Hier drinnen, fünf, sechs Meter lang vielleicht, gibt es keine Probleme.

Draußen auch nicht.

1881 eröffnete Eduard Breuninger sein erstes Textilgeschäft in Stuttgart. 133 Jahre später betreibt das Familienunternehmen elf Einkaufstempel in Deutschland. Jahresumsatz 630 Millionen Euro, 5500 Mitarbeiter. Jüngster Neuzugang ist das Haus am Kö-Bogen nahe der schicken Flaniermeile in Düsseldorf, das im Oktober 2013 eröffnet wurde. Neue Filialen in München, Hamburg und Frankfurt in bester Innenstadtlage sollen dazukommen. Die Eigentümerfamilien sind in Expansionslaune.

Die einen scheitern. Die anderen expandieren. Wie kann das sein?

Wie kann das sein? Konkurrenz Karstadt kämpft gerade gegen den endgültigen Untergang - und oft kann man in diesem Zusammenhang hören und lesen, dass das Modell eines traditionellen Kaufhauses nun mal nicht mehr zu den Einkaufsgewohnheiten der Menschen des Jahres 2014 passe. Der Fall Breuninger lässt erahnen, dass das vielleicht gar nicht stimmt. Klar ist: Der Verdrängungswettbewerb ist brutal. Und nur jene, die weit mehr zu bieten haben als bloß das Kleid von der Stange, werden ihn überleben.

Wichtigster Konkurrent für die Warenhäuser ist heute, natürlich, das Internet. Der Traumschuh im Schaufenster nützt wenig, wenn er dort an einem Sonntagabend entdeckt wird. Damit das gleiche Modell dann nicht beim Online-Händler geordert wird, müssen die Kaufhausbetreiber flexibel sein: etwa mit einer App fürs Smartphone, mit der man die Schuhe aus dem Schaufenster sofort bestellen kann.

Perfekter Service vor Ort, aber auch im Netz, darauf setzt auch Breuninger. Das Luxus-Konzept, erfunden ausgerechnet im Land der sparsamen Schwaben, kommt an - auch jenseits der Landesgrenzen. Die internationale Handelsorganisation GDSS kürte die Kette zum drittbesten Warenhausbetreiber der Welt, direkt hinter den weltweit bekannten Marken Selfridges in Großbritannien und Macy's in den USA.

Doch warum scheitern die einen, während die anderen expandieren? Hört man den Machern von Breuninger zu, dann bekommt man zumindest ein Gefühl dafür. Wer seine Kundschaft glücklich machen will, muss investieren, vor allem in motiviertes Personal. "Ein Jahr vor der Eröffnung in Düsseldorf haben wir begonnen, Mitarbeiter über mehrere Monate hinweg zu schulen, damit sie unsere Philosophie verinnerlichen", sagt ein Sprecher. Zweitens: Die Atmosphäre muss stimmen, von der Architektur über das Lichtkonzept bis zur Hintergrundmusik. Und drittens: Das Angebot muss vom Feinsten sein, im Kaufhaus wie im Online-Shop, schnell und unkompliziert verfügbar.

Wer Einkaufen zum Erlebnis machen will, braucht also nicht nur gute Ideen, sondern auch Kapital. "Genau das ist das Problem von Karstadt", sagt Handelsexperte Thomas Roeb, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Es ist bisher gar nicht richtig versucht worden, das Unternehmen zu sanieren, weil dafür einfach das Geld fehlt." Dass Karstadt-Managerin Eva-Lotta Sjösted so schnell das Handtuch warf, wundere ihn nicht. "Ich glaube nicht, dass Karstadt als eigenständige Marke in zehn Jahren noch existieren wird, wenn Eigentümer Nicolas Berggruen nicht endlich in das Unternehmen investiert."

Der Fall Karstadt ist exemplarisch für die Probleme, mit denen viele Einzelhändler in Deutschland zu kämpfen haben. In einer Umfrage des Handelsverbandes HDE klagen 60 Prozent der Händler, dass die Kunden wegblieben. Schuld daran ist nicht etwa mangelnde Konsumlust: Die gute Konjunktur und ein stabiler Arbeitsmarkt versetzen die Deutschen in Kauflaune. Aber jeder Dritte, hat das IFH Institut für Handelsforschung herausgefunden, geht seltener ins Stadtzentrum und öfter ins Netz. Online-Schuhhändler wie Zalando oder Mirapodo machen den Boutiquen mit riesigem Angebot die Kundschaft abspenstig; auch die Elektronikbranche leidet.

Man entwickelt jetzt allerlei technische Spielereien, um die Menschen in die Läden zu locken

Diesen Trend gibt es seit Jahren, doch viele Warenhausbetreiber scheinen immer noch ratlos. Oft fehlt das Geld, um etwa parallel einen Online-Vertrieb aufzubauen, Karstadt ist da kein Einzelfall. "Der Vormarsch von Smartphones und Apps erfordert ein radikales Umdenken im Handel", sagt Marco Atzberger, Geschäftsführer des EHI Retail Institute in Köln. Wer sich nicht an die veränderten Kundenwünsche anpasse, werde vom Markt verschwinden, sagt auch Trendforscher Professor Peter Wippermann. Aber er glaubt nicht, dass die Menschen bald alles im Netz bestellen werden. "Wer raus will aus dem Alltag, geht in die Stadt, will sich überraschen lassen."

Ein Mehr an Service und Beratung wird jedoch nicht genügen, um Rivalen wie Amazon und Zalando auf Distanz zu halten. Deshalb wird mit immer neuen technischen Spielereien versucht, Menschen in die Läden zu locken - etwa mittels Geolokalisierung. Verbraucher bekommen dann Angebote auf ihr Handy, wenn sie in die Nähe des Geschäfts kommen. Drinnen geht es weiter: Kleine Sender funken Werbung oder Coupons an alle Kunden, die eine entsprechende App auf dem Handy haben.

Was die Konsumenten wünschen

Welche dieser Angebote die Konsumenten wünschen, hat das ECC Köln am Institut für Handelsforschung kürzlich erhoben. Gefragt sind demnach vor allem kostenfreies WLAN und die Möglichkeit, vorab online zu prüfen, ob das gewünschte Produkt vorrätig ist. Viele schätzen auch, im Netz bestellte Produkte im Geschäft abholen zu können. "Beim Kauf - egal ob stationär oder online - spielt das Thema Verfügbarkeit für Konsumenten eine große Rolle. Händler, die mit ihren Services hier ansetzen, verhindern, dass Kunden zur Konkurrenz wechseln", sagt Sabrina Mertens, Leiterin des ECC Köln. Digitale Spielereien wie Spiegel, mit denen man Fotos aufnehmen und gleich bei Facebook veröffentlichen kann, kommen weniger an. Zudem scheinen die Zeiten der Kassentische vorbei: Überall, wo ein Smartphone genügt, muss der Bezahlvorgang nicht ortsgebunden in einer Kassenzone stattfinden.

All das kostet. Nach Schätzung des EHI hat der Einzelhandel 2013 etwa 6,8 Milliarden Euro in seine Geschäfte gesteckt, 2014 soll es noch mehr werden. Das ist das Budget für den Überlebenskampf: Man kann damit Mitarbeiter schulen, Apps entwickeln und Online-Strukturen aufbauen. Oder einen Süßigkeiten-Tunnel bauen.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2014/mike
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