Einkaufen am Automaten:Das Teufelsding

Alte Heide, Kunstserie

Der Trick mit der Münze: Wer sie von der Straßenbahn plattwalzen ließ, konnte einst an manchen Automaten unbegrenzt Süßigkeiten ziehen.

(Foto: Florian Peljak)

Ich sehe es, ich will es, und ich muss mit niemandem reden: Automaten passen gut in unsere konsumverliebte Zeit. So gut, dass man fast vergessen könnte, wie lange die Menschen sich schon über sie aufregen.

Von Angelika Slavik

Nicht jede Kindheitserinnerung ist romantisch. Die vom Kaugummi-Automaten ist es schon. Damals legte man Münzen in die Gleise der Straßenbahn und wenn die dann drübergerumpelt war und die Münze plattgefahren hatte, dann konnte man mit dem verbogenen Ding so viele Kaugummis aus dem Automaten drehen, wie man wollte.

Heute sieht man Automaten zum Beispiel am Flughafen. Menschen, die nicht dauernd fliegen, bloß alle paar Jahre mal in den Urlaub nach Mykonos, werden dort vom Lufthansa-Personal angeschnauzt, sie müssten ihre Bordkarten am Automaten ausdrucken, sonst bräuchten sie gar nicht versuchen, sich mit ihrem Gepäckwagen zum Schalter zu manövrieren. Es ist unnötig zu erwähnen, dass dann natürlich genau bei den Angeschnauzten der Automat nicht funktioniert, der Personalausweis nicht gelesen werden kann, alle möglichen Menschen gleichzeitig am Bildschirm rumfummeln und am Ende dann doch die Frau am Schalter die Boardingkarten ausdruckt.

Man könnte jetzt also fragen, wann das mit den Automaten so nervig geworden ist, wann die Kinder-Kaugummi-Romantik verflogen ist und von dieser unangenehmen Melange aus Fehlermeldungen, Überforderung und motzigen Bahnhofs-, Flughafen- oder Sonst-was-Mitarbeitern abgelöst wurde. Man könnte darüber philosophieren, dass die Welt schlecht und Siris Stimme kalt ist.

Aber die Wahrheit ist: Automaten gibt es schon ewig. Und die Klage darüber auch.

Hephaistos, der griechische Gott des Feuers, soll einst schon zwei mechanische Dienerinnen geschmiedet haben, aus Gold natürlich. In Alexandria faszinierten automatische Tempeltüren, ungefähr solche wie man sie heute aus den Indiana-Jones-Filmen kennt. Sehr viel später dachte E.T.A. Hoffmann im "Sandmann" über das Verhältnis von Mensch und Maschine nach und noch ein paar Jahre später schrieb Stanislaw Lem die "Robotermärchen". In beiden Fällen bleiben Leser mit dem Gefühl zurück, dass die übermäßige Begeisterung für Maschinen und technischen Fortschritt eine irre blöde Idee ist. Und die Arbeitsplätze, die das kostet!

Schaufenster und Lieferservice in einem

Tatsächlich kann man aber viele tolle Dinge aus dem Automaten bekommen. Geld, zum Beispiel. Kondome. Schokoriegel, Cola und, wenn man kein Tourist ist und deshalb weiß wie's geht, auch Tickets für die Münchner S-Bahn. Man erspart sich dabei: den Ärger über die unmöglichen Öffnungszeiten der Bankfiliale. Den Ärger über die nicht mehr vorhandene Bankfiliale. Peinliche Gespräche in der Apotheke, während die Nachbarin in der Schlange zufällig direkt hinter einem steht. Und, natürlich, 4o Euro Strafe fürs Schwarzfahren.

Überhaupt, Gespräche: Man kann seine Tage heute mit Automaten zubringen und muss mit niemandem reden, wenn man nicht will. Man kann aufstehen, zum Geldautomaten laufen, dann ein Ticket für den Bus ziehen und zu Ikea fahren. Dort kann man an einem Bildschirm rausfinden, in welchem Regalfach die Hemnes-Vitrine lagert. Mit der kann man zur Self-Service-Kasse fahren, selbst scannen und bezahlen, wieder nach Hause fahren. Dort kann man die Aufbauanleitung aus dem Internet runterladen oder sich bei Youtube zeigen lassen, wie das funktioniert. Im Anschluss macht man einen Fahrradausflug, wenn man einen Platten hat, zieht man einen neuen Schlauch aus dem Fahrrad-Schlauch-Automaten direkt an der Strecke. Später kümmert man sich auch gleich um seine Anlagestrategie und holt ein bisschen Gold aus dem, na klar, Automaten. Die Krise ist ja jetzt zurück, hat man gelesen. Und weil man so fleißig war, zieht man sich abends zur Belohnung am Bahnhof noch ein paar neue Beats-Kopfhörer.

Man kann das unpersönlich finden. Oder superpraktisch.

Tatsächlich passen Automaten so gut in diese konsumverliebte Zeit, dass man kaum glauben kann, dass die Menschen sich schon so lange über sie aufregen: Automaten sind Schaufenster und Lieferservice in einem, sie kreieren einen Wunsch, den man vorher vielleicht noch gar nicht hatte, und erfüllen ihn so schnell, dass einem Online-Shopping - "klick, klick, Glück" - im Vergleich dazu vorkommt, als müsse man wochenlang auf den Pferdewagen warten.

Natürlich gibt es den Moment, in dem man einfach nichts braucht, überhaupt nichts. Der Moment, in dem man satt ist, saubere Finger hat, funktionierende Kopfhörer, ein iPad mit einem geladenen Akku. In dem man am Bahnhof steht, schon eine Bastelei aus dem Kunstautomaten gezogen hat und bloß auf den Zug wartet, sonst nichts. Man versucht es dann mit Konsumverzicht. Bis im Zug der Mensch mit dem Kaffeeautomaten kommt.

Natürlich ist dieser Automat pink. Die Maschine heißt ATM wie sonst der amerikanische Geldautomat. Aber statt Geld mit der Kreditkarte abzuheben, schiebt man in diesen ATM in New Yorks Upper East Side Geld per Kreditkarte hinein. Genauer gesagt: 4,25 Dollar. Auf dem Touchscreen sucht man sich seine Lieblingssorte aus, dann fahren die Greifarme in das Innere des Automaten und schnappen sich das begehrte Gut: einen Cupcake. Das sind diese süßen Muffins mit bunter Sahnecreme-Haube und im Schnitt 500 Kalorien. Das pinkfarbene Ausgabefach öffnet sich und das Gebäck ist zum Verzehr bereit. Als der Cupcake ATM (Foto: dpa) vor einem Dreivierteljahr eingeweiht wurde, standen die Leute Schlange. Wer ein echter Cupcake-Fan ist, schießt ein Selfie vor der pinken Ausgabemaschine.

Der Kuchenautomat

Es gibt allerlei Automaten in der Metropole. Nicht weit entfernt vom Cupcake ATM in der 57. Straße kann man Goldbarren und Goldmünzen aus der Maschine ziehen. Der Kurs wird alle paar Minuten aktualisiert. In Brooklyn, wo eine Fahrradfahrt deutlich angenehmer ist als in Manhattan, gibt es Ersatzteile für das Rennrad. Und an der U-Bahn-Station am Bryant Park steht ein Automat mit Schminkutensilien. Aber der große Automatentrend ist vorbei - schließlich ist New York die Stadt, die niemals schläft, weshalb die meisten Supermärkte rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche geöffnet sind. Horn & Hardart hat New York Anfang des 20. Jahrhunderts mit Essenautomaten zugepflastert, der erste ging 1912 am Times Square in Betrieb. Das Unternehmen war einst die größte Restaurant-Kette der Welt mit 800 000 Kunden pro Tag. Motto: "Less Work for Mother". Mit dem Aufstieg von 24-Stunden-Supermärkten und Fast-Food-Restaurants begann der Abstieg. Heute sind Burger-King-Filialen an den Orten der alten Verkaufsmaschinen. Der letzte Horn & Hardart-Automat ging 1991 außer Dienst. Kathrin Werner

Cupcake Shop Installs 24 Hour Cupcake ATM On Manhattan's Upper East Side

Cupcake aus der Maschine in New York

(Foto: AFP)

Vor dem Abflug

Hinter einer riesigen Glasscheibe sind sie zu bewundern, die vielen großen und kleinen Elektronikartikel: Es gibt iPads von Apple für einige hundert Euro, Digitalkameras, Kopfhörer - ganz im Trend von Beats oder eher traditionell von Sennheiser -, externe Festplatten, E-Book-Reader, Bluetooth-Lautsprecher und Fitnessarmbänder für die ganz Modernen. Daneben findet sich ein berührungsempfindlicher Bildschirm, hier sind auch die Preise zu sehen. Hat man etwas bestellt und per Kreditkarte bezahlt, fährt wie in einem riesigen Logistiklager ein Greifarm zu dem entsprechenden Produkt und legt es in das Abholfach, das sich dann öffnet.

Aus dem Automaten kann man in Deutschland vieles kaufen: Zigaretten, Kaugummis, Fahrradschläuche, Grablichter, Briefmarken. Seit drei Jahren gibt es den Saturn-Xpress, heute sind es 13 Maschinen an neun deutschen Flughäfen. Angeboten werden Produkte, "die wenig Beratung erfordern", so Betreiber Media-Saturn, Europas größter Elektronikhändler. Reisende, die das Ladekabel und die Kamera vergessen haben oder die ein Mitbringsel suchen, sollen ihr Geld loswerden - schnell, unkompliziert. Das Geschäft laufe sehr ordentlich, weitere Standorte seien denkbar. Und kostenlose Werbung für den Konzern sind die Glasautomaten auch. Caspar Busse

Oktoberfest in München

Knallrot ist der Automat, und er steht draußen vor der U-Bahn-Haltestelle Theresienwiese. Diese Wiese ist aber keine, sondern gleicht eher einer unansehnlichen grauen Betonwüste im Herzen Münchens. Doch in den zwei September-Wochen vor dem Tag der Deutschen Einheit ist dieses Areal jedes Jahr das Zentrum der Welt. Zumindest für Menschen, die Bier aus großen Krügen, Dirndl und Lederhosen mögen: Dann besuchen dort mehr als sechs Millionen trink-, sing- und feierfreudige Gäste das Oktoberfest. Das geht nicht für jeden gut aus - und für solche Fälle bietet der rote Automat (Foto: bfi) erste Hilfe an.

"First Aid/Erste Hilfe/24 h": Das ist in fetten Lettern auf dem Gerät zu lesen. Und das Angebot ist tatsächlich auf einige der üblichen Wiesn-Gebrechen zugeschnitten. So gibt es für zwei Euro ein kleines Paket Pflaster - hilfreich, wenn ein übermütiger Trachtenträger beim Tanzen von der Bierbank fällt. Oder wenn zwei Zeltbesucher ihren Streit, wer von ihnen sich denn nun an den engen Tischen zu breit macht, handgreiflich lösen. Für 1,50 Euro sind Husten- und Halsschmerztabletten zu haben, was nach einigen Stunden Mitgrölen von Schlagern wie "Atemlos" im Zelt ebenfalls nützlich sein kann. Taschentücher kosten nur einen Euro. Und dann gibt es noch für drei Euro eine Packung von Stiftung Warentest für "gut" befundene Kondome. Für den Fall, dass zwei Besucher nach dem Konsum einiger Maß Helles ihre Zuneigung zueinander entdeckt haben. Für fünf Euro spuckt der Automat angeblich Drogentests aus, doch die Fächer sind gerade leer. Etwas rätselhaft ist, an welche Zielgruppe sich der Test richten sollte: an Eltern, die ihren volltrunkenen Teenager von der Wiesn abholen?

Das Oktoberfest ist vorbei, der Automat bleibt das ganze Jahr stehen. Schön für die Nachbarn, die dank ihm 24 Stunden am Tag Halsschmerztabletten, Taschentücher, Pflaster und Kondome kaufen können. Björn Finke

Schwimmen in Paris

Vor allem Männer müssen sich am Eingang der Schwimmbäder zunächst einer Taschenkontrolle stellen. Ob man denn seinen "slip de bain" dabei habe - also einen eng anliegenden "Badeslip" -, will die Kassiererin wissen. Wird ein Kunde ertappt, der lediglich mit langen Badeshorts ausgerüstet ist, wird er an den Automaten am Eingang verwiesen. Badeshorts sind nämlich verboten, man könnte sie auch draußen getragen haben, auf der Straße oder in der Metro. An der Maschine hat der Sünder dann die Wahl zwischen einem Badeslip für zehn Euro und einem schickeren Modell für 13 Euro, fabrikneu verpackt. "Diese Artikel laufen sehr gut", sagt die Kassiererin. Auch die Tastenkombination für Silikon-Badekappen für zwei Euro wird oft getippt, denn der Kopf muss zwingend bedeckt sein.

Kein Renner dagegen sind die Badeanzüge für Frauen, 19 Euro das Stück, obwohl ein Werbeaufsteller über dem Automaten behauptet, es handle sich um die Lieblingsmarke des französischen Schwimmstars Laure Manaudou. "Frauen vergessen halt nicht so leicht ihre Badesachen, wenn sie ins Schwimmbad gehen", lächelt die Kassiererin. Die Maschine hat neben Nasenklammern, Taucherbrillen, Schwimmflügel auch Badewindeln im Angebot. In manchen Stadtbädern hat der Automat noch nicht Einzug gehalten. Ein Badegast ohne "slip de bain" bekommt dort eine Leihhose - "garantiert frisch gewaschen". Leo Klimm

Auf dem Fuji

Aufgepumpte Brüste, überlebensgroße Geschlechtsteile, Kopulationen, die nicht einmal Schlangenmenschen schaffen: Während ihre Unterwäsche in der Trommel trocknete, blätterten junge Männer im Waschsalon um die Ecke in Porno-Mangas. In Japan will Bedürfnis sofort befriedigt werden. Und ohne Aufwand. Dazu gibt es Verkaufsautomaten. Vor dem Waschsalon stand einer für Porno. Er ist inzwischen verschwunden, an seiner Stelle steht ein Getränkeautomat. Porno konsumiert man heute auf dem Smartphone. Nur in der Provinz sieht man gelegentlich noch Porno-Automaten.

Japan ist das Land mit den meisten Verkaufsautomaten: 5,6 Millionen, einer auf 23 Einwohner. Sie akzeptieren nicht nur Münzen, sondern auch Scheine und oft Zahlkarten. Reis, Gemüse, Früchte, Eier, Fertiggerichte, Eiscreme, Sake, Bier, Blumen, Batterien, Krawatten, Kondome und Klopapier gehören zu den Dingen, die man in Japan vom Automaten beziehen kann. Aber das sind Ausnahmen. Die große Mehrheit sind Getränkeautomaten: für eisgekühlte Softdrinks und heißen Kaffee in der Dose. Sie stehen überall: auf einsamen Klippen an der Küste, an unbefahrenen Bergstraßen. Und auf dem 3776 Meter hohen Fuji, dem heiligen Berg (Foto: ap). Wenn der Japaner Durst hat, will er auch dieses Bedürfnis sofort befriedigen. Und Berggänger haben viel Durst. Meist stehen die Getränkeautomaten in Gruppen, zwei bis drei pro Anbieter; also oft sechs oder sieben nebeneinander, da es drei große Softdrink-Konzerne gibt. Sie nutzen die Automaten auch zur Marktforschung, testen an einigen wenigen neue Kreationen. Verkaufen sich diese nicht gut, verschwinden sie wieder. Vorigen Winter etwa heißes Ginger-Ale. Christoph Neidhart

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