Einflussnahme auf Bildung:Schulstoff frei Haus

Einflussnahme auf Bildung: Firmen, wie die Unternehmensberatung Boston Consulting, engagieren sich im Bildungssponsoring

Firmen, wie die Unternehmensberatung Boston Consulting, engagieren sich im Bildungssponsoring

(Foto: dpa)

Wie Mindestlohn zu Arbeitslosigkeit führt und was der eigentliche Auslöser der Finanzkrise war, erklären nicht die Lehrer den Schülern. Firmen, Banken, Wirtschaftsverbände, aber auch Gewerkschaften drängen in die Klassenzimmer. Dahinter stecken nicht nur handfeste Lobbyinteressen.

Von Nakissa Salavati

Die Wangen sind vor Aufregung ein wenig gerötet, die Jacketts geschlossen, die Mienen entschlossen. So sehen Schüler aus, die Unternehmer spielen - und offensichtlich gelernt haben, sich zu verkaufen.

"In der Gewinn- und Verlustrechnung ist ersichtlich, dass der Umsatz nahezu konstant wächst", sagt ein Teilnehmer im Video des Projekts "Business at School" der Unternehmensberatung Boston Consulting. Er präsentiert gerade die Geschäftsidee eines mietbaren Schaufensters seiner Schülerfirma. Sein Team wird im Finale des Wettbewerbs den dritten Platz belegen. Und vielleicht wird er nach seinem Abitur selbst Unternehmensberater werden. So, wie es andere bereits vorgemacht haben.

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Von Begeisterung und Engagement berichtet Babette Claas, die langjährige Geschäftsführerin von "Business at School". Ähnlich äußern sich auch Lehrer und Schüler. Sie betonen die Vorteile: Das Projekt ist praxisnah, die Jugendlichen lernen wirtschaftliche Grundkenntnisse, sie setzen sich für eine Idee ein. Da stecke auch ganz viel soziale Entwicklung mit drin, sagen beteiligte Lehrer und Schüler.

Natürlich kann man das auch ganz anders sehen, zum Beispiel als gezielte Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen. Wie Reinhold Hedtke etwa, Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Bielefeld: "Ich finde es sehr gut, wenn Schüler Unternehmergeist entwickeln und sich für etwas begeistern. Doch das Projekt ist politisch nicht neutral." Natürlich vertrete Boston Consulting die Perspektive der Unternehmen, Arbeitgeber und die der Unternehmensberater - und natürlich nicht die der Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Konsumenten oder Politiker.

Werbung ist an Schulen verboten - Bildungssponsoring nicht

Hedtkes Kritik trifft im Kern die didaktischen Grundprinzipien politischer und gesellschaftlicher Bildung in Deutschland. Im sogenannten Beutelsbacher Konsens haben sich Parteien und Konfessionen auf Mindestanforderungen geeinigt. Er sieht unter anderem vor, dass Themen kontrovers dargestellt und diskutiert werden. Es müssen also mindestens zwei Positionen vermittelt werden. Und gerade Fragen sozialer Gerechtigkeit, Arbeit und wirtschaftlichen Nutzens sind nicht mit einem Dreisatz zu lösen.

Hinzu kommt ein Verbot kommerzieller sowie politischer Werbung in Schulen. Das schließt allerdings Sponsoring nicht unbedingt aus. Entsprechende Regelungen seien angesichts knapper Kassen in die Schulgesetze mehrere Länder aufgenommen worden, heißt es von der Kultusministerkonferenz. Das bayerische Bildungsministerium etwa formuliert es so: Geht es dem Unternehmen ausschließlich darum, sich zu vermarkten, handelt es sich um Werbung. Erlaubt sind aber Zuwendungen, wenn dadurch der pädagogische und erzieherische Auftrag unterstützt wird oder Gegenstände angeschafft werden, die Erziehung und Unterricht fördern. Bildungssponsoring nennt sich das dann.

Hedtke dagegen hält das grundsätzlich für problematisch. Schüler könnten zwar gut mit Werbung umgehen, weil sie täglich mit ihr konfrontiert würden. Aber Sponsoring unterstelle, dass die Unternehmen eine gute Absicht verfolgten. Doch selbstverständlich hätten sie "handfeste Interessen". Er fasst seine Kritik so zusammen: "Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen, Sexualkunde von Beate Uhse unterrichten zu lassen. Oder dass der Saatgutkonzern Monsanto Biologieunterricht gibt."

Tatsächlich liegen die Vorteile für die Konzerne, Kontakt zu Schülern und damit ihren künftigen Kunden auf diese Weise zu knüpfen, auf der Hand: Projekte wie "Business at School" spornen die Schüler mit einem Wettbewerb an. Positive Erlebnisse, die sie sammeln, verbinden sie anschließend mit der Unternehmensberatung. Der Energiekonzern RWE veranstaltete 2010 einen Schulwettbewerb, um "Menschen in ihrem Umfeld zum Energiesparen zu sensibilisieren". Schüler bringen den Konzern anschließend womöglich mit Umweltschutz in Verbindung - obwohl RWE klimaschädliche Kohlekraftwerke gehören.

Wie Firmen und Verbände Meinungen steuern wollen

Einfluss auf ihre Reputation nehmen auch Banken. Mitarbeiter der Targobank beispielsweise erklären Schülern die Finanzkrise. In den Präsentationsfolien steckt auch die fragwürdige These, eine politische Vorgabe hätte dazu geführt, dass Banken günstige Hypotheken an Amerikaner vergaben, die sich den Kredit eigentlich nicht leisten konnten. Dass sich auch die Citibank, wie die Targobank ehemals hieß, mit in der Finanzkrise mit zweitklassigen Papieren verspekuliert hat, lässt sich daraus nicht ablesen.

In die Klassenzimmer drängen auch die Konzerne Allianz, McKinsey und Grey. Die Initiative "My Finance Coach" bringt nach eigenen Angaben Schülern bei, wie man mit Geld umgeht und wo man es anlegen sollte. Eigentlich nützliches Wissen also. Die Initiative verfolge aber ein klares Gewinninteresse, schließlich profitiere am Ende die gesamte Finanzbranche, wenn Menschen ihr Geld in Kapitalanlagen stecken, sagt der Soziolologie-Professor Hedtke dazu.

Institute und Stiftungen geben zudem Unterrichtseinheiten für Lehrer und Broschüren für Schüler heraus - ohne Qualitätsprüfung und in großen Mengen, wie die die Organisation Lobby-Control in einer aktuellen Analyse hervorhebt. Der VW-Konzern etwa hat das Arbeitsheft mit dem Titel "Mobil im Klimaschutz" entwickelt. Wenig verwunderlich, dass der Autobauer darin nicht vorschlägt, zugunsten des Klimaschutzes mehr Fahrrad zu fahren, wie Lobby-Control anmerkt.

Besonders fleißig produzieren das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das Institut für ökonomische Bildung der Universität Oldenburg und die wirtschaftsliberale Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) Unterrichtsmaterialien. In der Präsentation der INSM zum Kündigungsschutz beispielsweise sollen die Schüler sich nicht nur Gedanken darüber machen, wie sie Mitarbeiter entlassen können, sondern auch wie sie negative Presseberichte über Massenentlassungen ihrer fiktiven Firma mildern können.

Schüler lernen, dass Mindestlohn für Arbeitslosigkeit sorgt

Immerhin scheint der Verband zumindest ansatzweise nachzubessern: Zitierte die Wochenzeitung Die Zeit 2011 noch aus dem Dossier Mindestlohn: "In der Realität hat der Mindestlohn nur eine Folge: Dass noch mehr Menschen arbeitslos werden", verweist der Wirtschaftsverband mittlerweile auf die kontroverse Debatte - und verlinkt zur Gewerkschaft Verdi. An anderer Stelle allerdings werden die Befürworter eines Mindestlohns zwar erwähnt, die Kritiker kommen aber sehr viel ausführlicher zu Wort.

Gegen Berichte, wie sie Lobby-Control herausgibt, wehrt sich die INSM. Die Lehrmaterialien würden von Lehrern selbst erstellt, außerdem sei klar erkennbar, dass sie von dem Verband kommen. Auch "Business at School"-Geschäftsführerin Claas betont: Die ehrenamtlichen Betreuer, die Schüler anleiteten, seien zwar Mitarbeiter aus Unternehmen wie Lufthansa oder der Boston Consulting Group. Die Schüler allerdings "identifizieren sich bei dem Projekt nicht mit dem Unternehmen, sondern mit dem Betreuer als Person", so Claas. Werbung werde bei dem Projekt erst recht nicht gemacht, die Schüler könnten selbst entscheiden, welches Unternehmen sie analysierten.

Und natürlich geben auch NGOs, Gewerkschaften wie Verdi oder Stiftungen Unterrichtsmaterialien heraus. In der Broschüre der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zum Mindestlohn etwa liegt der Schwerpunkt auf dessen Nutzen: Er koste keine Jobs und entlaste den öffentlichen Haushalt, heißt es da. Als Diskussionsanstoß werden die Schüler aber auch gefragt, warum ein Mindestlohn so umstritten ist.

Lehrer könnten also Materialien beider Denkrichtungen nutzen. Allerdings bieten die arbeitgebernahen Verbände sehr viel mehr Themen und Broschüren. Lobby-Control argumentiert, dass die finanziell gut ausgestatteten Wirtschaftsverbände sich stärker in Bildung einbringen könnten als andere Interessensgruppen.

Um die Lehrmaterialien nicht einfach ungefiltert Schülern vorzusetzen, fordert die Anti-Lobby-Organisation eine staatliche Beobachtungsstelle. Sie solle zwar nicht alle Materialien prüfen, aber einen kritischen Umgang mit den Unterrichtsmaterialien fördern. Es ist eine von vielen politischen Forderungen zu diesem Thema. Hinter ihnen verbergen sich letztlich Defizite unseres Bildungssystems. Denn schließlich nutzen Lehrer kostenlose Broschüren vor allem dann, wenn anderes Lehrmaterial nicht ausreicht.

Die Recherche zum Schulsystem: Bildung, wie wir sie brauchen

"Welche Bildung brauchen unsere Kinder wirklich?" - das wollten unsere Leser in der zweiten Runde von Die Recherche wissen. Mit einer Reihe von Artikeln versuchen wir diese Frage zu beantworten.

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