Ein Überblick:Viele Verfahren

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Gleich mehrere Staatsanwaltschaften beschäftigen sich mit der Aufarbeitung der Diesel-Manipulationen bei VW.

Von SZ-Autoren

Zivilrecht: Die Wut der Aktionäre

Seit September wird am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig ein Musterprozess geführt. Im Fokus steht die Frage, ob der VW-Konzern die Aktionäre früher über die Dieselmanipulationen hätte informieren müssen. Dann hätten sie Kursverluste womöglich vermeiden können, argumentieren die Anleger und fordern Schadenersatz: insgesamt 9,5 Milliarden Euro. Musterklägerin ist die Deka Investment, in Summe stehen hinter dem Prozess aber mehr als 1600 Kläger, darunter sowohl institutionelle als auch private Anleger. Sie alle werden einen langen Atem brauchen, der Prozess wird sich wohl über Jahre hinziehen. Die Verfahrensdauer könnte den Klägern allerdings in die Karten spielen: Denn alles, was die Ermittlungsbehörden über die Hintergründe der Manipulationen in der Zwischenzeit noch herausfinden, dürfte im Prozess eine Rolle spielen. Erkenntnisse, die das OLG gewinnt, könnten beispielsweise auch für Schadenersatzklagen von Autobesitzern bedeutsam sein.

Entscheidend ist also auch hier die Frage, die die Öffentlichkeit am meisten interessiert: Wer hat was wann gewusst, gebilligt oder angeordnet? Die Klägerseite schlug dabei zunächst den ganz großen Bogen und führte sogar Ereignisse rund um die Übernahmeschlacht von Porsche und VW Mitte der Nullerjahre als verfahrensrelevant an - konnte den Vorsitzenden Richter Christian Jäde davon aber nicht überzeugen. Ansprüche, die sich auf Vorgänge vor 2012 beziehen, seien wohl verjährt, ließ er durchblicken. Aber auch die Verteidigung von VW hat seit Prozessbeginn schon einige Rückschläge hinnehmen müssen. Denn der Konzern argumentiert unter anderem, er habe nicht damit rechnen können, dass die Manipulationen so hohe und damit kursrelevante Strafen nach sich ziehen würden. Vergleichbare Fälle hätten anderen Autoherstellern immer nur viel geringere Strafen eingebracht. Im Dezember aber wurde bekannt, dass ein Jurist beim VW-Konzern bereits im Juni 2015 das enorme finanzielle Risiko erkannt und seine Vorgesetzten gewarnt habe. VW informierte Anleger und Öffentlichkeit dennoch erst im September. Angelika Slavik

Zivilrecht: Warten auf den Bundesgerichtshof

30 600 Gerichtsverfahren, in denen Autobesitzer den Kaufpreis erstattet bekommen wollen oder Schadenersatz verlangen, gab beziehungsweise gibt es alleine in Deutschland gegen Volkswagen - so aktuelle Angaben des Konzerns. 10 500 Urteile seien bereits ergangen, laut VW "überwiegend" zugunsten des Konzerns. Der Autohersteller hat noch eine Zahl parat: Es gebe aktuell 18 Entscheidungen von Oberlandesgerichten, "die allesamt im Sinne von Volkswagen" beziehungsweise der beklagten VW-Händler ausgefallen seien. Demnach wäre die Sachlage eindeutig. Die Besitzer von Diesel-Fahrzeugen, deren Abgasreinigung manipuliert worden war, hätten kaum Aussicht auf Geld von VW.

Ganz so ist es aber nicht. In jenen Fällen, in denen Kunden gute Chancen bei Oberlandesgerichten hätten, zahlt der Konzern lieber. VW schließt dann Vergleiche mit Schweigeklauseln, damit sich das nicht herumspricht. Die Justiz sieht die Sache folglich mal so und mal so. Die mehr als 370 000 Autobesitzer, die sich für eine bundesweite Musterklage eingetragen haben, sind also nicht chancenlos.

In den USA hat Volkswagen Betrug zugegeben und mehr als 20 Milliarden Dollar an Strafen und Schadenersatz gezahlt. In Europa soll es bei den 1,8 Milliarden Euro Bußgeld von VW und der Tochter Audi bleiben. Und bei dem Software-Update für die betroffenen Diesel-Besitzer. Ob Volkswagen damit durchkommt, wird sich vor allem beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig zeigen. Dort wird die Musterklage verhandelt und entschieden. VW habe Käufer der manipulierten Diesel-Fahrzeuge vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, lautet der Vorwurf. Verliert Volkswagen, dann könnte der Konzern einlenken und zahlen. Oder die Autokäufer, die an der Musterklage teilnehmen, müssten in einem weiteren Verfahren erst noch ihr Geld erstreiten. Was aber auf Basis eines OLG-Entscheids zugunsten der klagenden Kunden eher eine Formsache wäre. Und dann ist da noch der Bundesgerichtshof (BGH), wo irgendwann erste Einzelklagen grundsätzlich entschieden werden. Das dauert wohl bis mindestens 2020. Max Hägler

Strafrecht: Anklage gegen Stadler in Arbeit

Nach dem Gefängnis ist vor dem Prozess. So sieht es für den früheren Audi-Chef Rupert Stadler aus. Er saß 2018 rund vier Monate in Untersuchungshaft, weil er nach Ansicht der Justiz versucht haben soll, die Ermittlungen in der Abgasaffäre bei der Ingolstädter VW-Tochter zu behindern. Nun arbeitet die Staatsanwaltschaft München II an einer Anklage gegen Stadler und drei weitere Beschuldigte wegen Betrugsverdachts. Das sind der einstige Audi-Manager Wolfgang Hatz, der ebenso wie Stadler alle Vorwürfe bestreitet, und zwei Techniker aus dem mittleren Management. Die beiden Techniker haben in vielen Vernehmungen ausgepackt, wie Audi jahrelang Abgasmessungen von Diesel-Autos manipuliert habe. Und wie Audi anschließend, nach der Enthüllung des Betrugs beim Mutterkonzern VW durch US-Behörden, auch noch monatelang die eigene Verstrickung in die Affäre zu vertuschen versucht habe.

Warum die Ermittler zwei frühere Spitzenleute und zwei geständige Techniker gemeinsam auf die Anklagebank bringen wollen, lässt sich leicht nachvollziehen. Kommt es zum Prozess, wird es sehr oft um komplizierte Details gehen. Die Justiz müsste, um durchzublicken, Experten zu Rate ziehen. Für das Fachwissen sollen stattdessen die beiden geständigen Techniker sorgen. Sie sollen aus Sicht der Ermittler helfen, eventuelle Ausflüchte von Hatz und Stadler zu widerlegen. Die beiden einstigen Spitzenleute (Hatz war zuletzt Entwicklungsvorstand der VW-Tochter Porsche) wiederum könnten versuchen, die beiden Techniker als unglaubwürdig hinzustellen. Und ihnen unterstellen, sie belasteten die Manager nur deshalb, um sich selbst zu entlasten. Die Anklage gegen Stadler & Co. soll im Frühjahr fertig sein. Mit einem Prozess wäre dann im Herbst zu rechnen. Vorausgesetzt, das Landgericht München II lässt die Anklage zu. Stadler wird vorgeworfen, nach 2015 nicht verhindert zu haben, dass Audi weiter Autos mit manipuliertem Abgassystem verkauft habe. Bei Hatz geht es um einen Zeitraum weit vor 2015. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt im Fall Audi gegen mehr als 20 Beschuldigte. Klaus Ott

Strafrecht: Schlechte Karten für Winterkorn

Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn, seine Nachfolger Matthias Müller und Herbert Diess sowie Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, sie alle stehen auf Beschuldigtenlisten in der Abgasaffäre. Sie werden in Stuttgart verdächtigt, die VW-Aktionäre zu spät über drohende finanzielle Folgen der Affäre informiert zu haben. Verspätete Mitteilungen an der Börse können mit Geldstrafe oder Gefängnis geahndet werden. Winterkorn, Müller, Diess und Pötsch, der Finanzvorstand war, als die Affäre begann, bestreiten die Vorwürfe.

Die schlechtesten Karten hat Winterkorn. Mehrere Ingenieure und ein Jurist aus der Wolfsburger Konzernzentrale haben ausgesagt, sie hätten den damaligen Vorstandschef etliche Wochen vor dem Auffliegen des Betrugs in den USA über die Abgas-Manipulationen informiert. Winterkorn muss in Braunschweig, wo gegen ihn, Pötsch und Diess ermittelt wird, beim Börsen-Verfahren im Verlaufe des Jahres mit einer Anklage rechnen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist für VW im benachbarten Wolfsburg zuständig. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wiederum kümmert sich um die dort ansässige Porsche-Holding, den Hauptaktionär von VW, und ermittelt deshalb gegen Winterkorn, Müller und Pötsch. Sie hatten beziehungsweise haben wichtige Funktionen in der Holding.

Gegen Winterkorn wird in Braunschweig zudem wegen Betrugsverdachts ermittelt. Er habe zwar spät von den Manipulationen erfahren, dann aber hingenommen, dass den Kunden weiterhin nicht zulassungsfähige Diesel-Autos verkauft worden seien. Der Betrugsverdacht richtet sich gegen rund 40 heutige und frühere VW-Beschäftigte. Fast alle von ihnen sollen als Techniker an den Abgasmanipulationen mitgewirkt haben. Mehrere Ingenieure haben umfangreiche Geständnisse abgelegt, in der Hoffnung auf Milde bei der Justiz. Die Ermittlungen in Braunschweig sind insgesamt weit fortgeschritten. Beim mutmaßlichen Betrug ist ebenso wie beim Verdacht der Börsenmanipulation mit einer Anklage zu rechnen. Ob eine Betrugs-Anklage auch Winterkorn treffen könnte, ist offen. Stefan Mayr und Klaus Ott

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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