Ein Mann für besondere Fälle:Der Rausschmeißer

Der Anwalt Naujoks hilft Arbeitgebern, Unkündbare zu kündigen und Betriebsräte zum Rücktritt zu zwingen - mit Methoden, die Menschen zum Weinen bringen.

Uwe Ritzer

Mitten im Gespräch fängt Carola Lange* zu schluchzen an, dabei liest sie nur Überschriften aus einem juristischen Fachbuch vor: "Systematischer Psychoterror des Arbeitgebers", "Strategisches Schikanieren des Arbeitnehmers", "Zwang zur Aufgabe des Arbeitsplatzes"- weiter kommt die Frau nicht.

Helmut Naujoks: Der Rausschmeißer
(Foto: Screenshot fachseminare-naujoks.de)

Lange geht es schlecht. Einmal wollte sie sich schon das Leben nehmen, weil ihr Arbeitgeber sie unbedingt loswerden will. Ein halbes Dutzend Mal habe er ihr schon gekündigt, erzählt die Angestellte aus einer norddeutschen Großstadt. Bisher hat sie sich erfolgreich gewehrt.

Aber die ständig neuen Auseinandersetzungen sind zermürbend. Carola Lange hat Angst, vor der ungewissen Zukunft - und vor allem vor dem Rechtsanwalt, den ihr Chef engagiert hat: Helmut Naujoks.

"Aus innerer Überzeugung"

Arbeitsrechtler gibt es viele in Deutschland, Helmut Naujoks ist ein ganz besonderer: Sein Ruf ist wie Donnerhall. Der Mann, der auf Fotos ebenso streng blickt, wie er sein Haar nach hinten kämmt, gilt als Spezialist für Kündigungen. Naujok polarisiert wie kein anderer aus der Zunft.

Manche Arbeitgeber sehen in dem großgewachsenen Schwergewicht einen letzten Nothelfer. Gewerkschafter wie die Stuttgarter Verdi-Sekretärin Christina Frank nennen ihn hingegen "einen brutalen Betriebsratskiller, dem jedes Mittel recht ist".

Der Arbeitsrechtler ist vielbeschäftigt; ihn persönlich für ein Interview zu treffen, sei auf absehbare Zeit unmöglich, sagt er am Telefon, "denn ich fliege dauernd kreuz und quer durch die Gegend." Helmut Naujoks ist 40 Jahre alt, betreibt seit 2000 in Duisburg eine Anwaltskanzlei und vertritt ausschließlich Arbeitgeber. "Aus innerer Überzeugung", betont er.

Obendrein erklärt er ihnen gegen eine Tagesgebühr von 995 Euro plus Mehrwertsteuer in feinen Hotels in München, Frankfurt, Köln oder Hamburg unter anderem, wie sie Betriebsräte sprengen können. Seit 1972 stellt das Betriebsverfassungsgesetz sie unter besonderen Kündigungsschutz.

Der Rausschmeißer

Für Naujoks kein Problem: "Entscheidend ist die richtige Strategie." Schließlich habe er es selbst vorgemacht, als er "letztendlich einen 15-köpfigen Betriebsrat zum Rücktritt gebracht" habe.

So wirbt er auf seinen Internetseiten, und dann ist da noch sein Buch, das Carola Lange beim Lesen von Überschriften die Tränen in die Augen treibt. "Kündigung von Unkündbaren" lautet der Titel.

"Anleitung zu Psychoterror und Mobbing"

In dem 300 Seiten starken, juristischen Ratgeber geht es darum, jene loszuwerden, die nur scheinbar unkündbar sind: Schwerbehinderte, Langzeitkranke, Alkoholiker - oder Betriebsräte.

Verdi nannte das Buch eine "Anleitung zu Psychoterror und Mobbing", Mitte Juni verbot das Landgericht Hamburg der Dienstleistungsgewerkschaft diese Kritik. Verdi-Sekretärin Frank lässt sich davon aber nicht einschüchtern: "Es ist ein Drehbuch für die Strategie, die er in der Praxis selbst anwendet."

Frank knüpft gerade ein Netzwerk der Naujoks-Geschädigten und plant nun auch eine Art Ratgeber: ein Schwarzbuch über die Praktiken des Duisburger Anwaltes. Naujoks sieht sich dennoch nicht als Feindbild der Gewerkschaften. Er werde zu Unrecht kritisiert. In vielen Fällen habe er "mit Gewerkschaften sehr gut zusammengearbeitet", sagt er.

Er sagt aber auch: "Ich bin Arbeitgeber-Anwalt. Für mich ist allein entscheidend, die Interessen meiner Mandantschaft zu vertreten." Dabei geht es bisweilen hart zur Sache. So im vergangenen Winterhalbjahr bei der Volksbank in Ludwigsburg. Artikel aus der lokalen Presse darüber lesen sich wie Frontberichte aus einem Krisengebiet.

"Verdi musste nur Naujoks sagen und jeder wusste, was gemeint war: die Menschen quälen, bis sie aufgeben", kommentierte die Stuttgarter Zeitung. Die Berichte zeugen von monatelangen heftige Auseinandersetzungen zwischen dem von Naujoks vertretenen Bankvorstand und dem Betriebsrat samt Verdi. Fotos zeigen Demonstrationen. Und sie zeigen Helmut Naujoks, wie er in einem Saal des Arbeitsgerichtes sein Gegenüber Andrea Widzinski mit Blicken fixiert.

Die blondgelockte Frau von 43 Jahren ist seit elf Jahren Betriebsratschefin. Widzinski ist nicht nur in Ludwigsburg eine Größe, sie gilt als einflussreiches Mitglied der Großen Tarifkommission von Verdi in Baden-Württemberg, die mit den Arbeitgebern Tarifverträge aushandelt.

Selbstwertgefühl schädigen

Vielleicht war sie ihren Chefs zu mächtig geworden, vielleicht wollten diese ein Signal setzen, vielleicht hatten sie auch ganz andere Gründe. Nachdem Widzinski ihrer Forderung nicht folgte, Verdi künftig aus der Volksbank fernzuhalten, kündigte man ihr.

Sie habe den Vorstandschef in der Kantine mit Erich Honecker verglichen, hieß es. Eine zweite Kündigung folgte, weil sie für eine dienstliche Bahnfahrt angeblich 89 Euro zu viel abgerechnet habe. Widzinski zeigte sich selbst bei der Staatsanwaltschaft an, was die Volksbank prompt unter voller Namensnennung im Internet veröffentlichte. Die Anklagebehörde stellte das Verfahren jedoch ein.

Inzwischen hatte eine Begleitmusik eingesetzt, die Verdi-Sekretärin Frank "die Strategie Naujoks" nennt und von der sie sagt, sie ziele darauf, "das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu schädigen, sie im Betrieb und privat zu isolieren und so zur Aufgabe zu zwingen."

Eine Art Mobbing-Baukasten für Arbeitgeber. Elemente daraus waren zu beobachten bei der Volksbank Ludwigsburg genauso wie in ähnlichen Auseinandersetzungen zuvor beim Kabelnetzbetreiber Kabel BW in Heidelberg und bei der Metallfirma BTE Biegetechnik in Ilshofen bei Schwäbisch Hall. In allen Fällen hatten die Arbeitgeber Naujoks engagiert..

Der Rausschmeißer

Überall wurden die Betriebsräte bedrängt, als sie sich weigerten, die Gewerkschaft aus dem Betrieb fernzuhalten. Ein juristisches Trommelfeuer setzte ein. "Wir mussten plötzlich Selbstverständlichkeiten der Mitbestimmung einklagen", erinnert sich Ex-Kabel-BW-Betriebsratschef Roland Renger.

"Binnen weniger Wochen liefen an die 150 Rechtsstreitigkeiten beim Arbeitsgericht." Umgekehrt wurde versucht, den Betriebsrat via Arbeitsgericht zum Rücktritt zu zwingen. Einzelne Mitglieder wurden mit Abmahnungen, Kündigungen, Klagen bis hin zum Schadensersatz überzogen. Zugestellt wurden diese nicht selten am Samstagvormittag an den Türen ihrer Privatwohnungen.

Tribunale im Betrieb

"Ganz bewusst", glaubt Frank. "Man wollte den Leuten die Wochenenden zerstören und so auch in ihrem privaten Bereich Druck erzeugen." Welcher Normalverdiener wird nicht nervös, wenn er wie Roland Renger plötzlich eine Schadensersatzklage über 1,337 Millionen Euro in Händen hält?

Begründet übrigens damit, dass Rengers Forderung in einem Fernsehinterview, die Kabel-BW-Spitze solle einen gekündigten Tarifvertrag wieder annehmen oder sagen, was sie sonst wolle, der Firma Kunden gekostet habe.

Damit waren die neuen Möglichkeiten der Arbeitgeber aber noch nicht erschöpft: Nach den Schilderungen der Betroffenen wurden Betriebsräte plötzlich geschnitten und isoliert. In der Kantine, auf dem Flur, im Büro - kaum jemand wollte sich noch mit ihnen sehen lassen.

Dienstliche E-Mail-Speicher wurden gesperrt. Auf Betriebs- oder Personalversammlungen fühlten sie sich wie vor Tribunalen. Mittlere Führungskräfte traten auf, offenkundig gut präpariert, und warfen ihnen vor, die Firma zu schädigen.

Man sammelte Unterschriften für die Ablösung des Betriebsrats. Wer nicht unterschrieb, den stellten schon mal Führungskräfte unter vier Augen zur Rede. "Die Leute wurden massiv eingeschüchtert, sagt Frank. Und es gab anonyme Anrufe. Andrea Widzinski zählte einmal 26 an einem Abend, und der Mann der ehemaligen Kabel-BW-Betriebsrätin Rita Regenfelder wurde sogar gefragt, ob er wüsste, dass sie fremdgehe.

Der Rausschmeißer

Im Falle des Kabelnetzbetreibers sei keines der juristischen Verfahren am Ende von Betriebsrat und Verdi verloren worden, sagt Regenfelder. Aber die Auseinandersetzungen hinterließen Wirkung.

Die Betriebsräte bei Kabel BW und BTE wurden tatsächlich gesprengt. Nur Widzinski hielt durch - bei einer abschließenden Mediation gab der Vorstand der Volksbank Ludwigsburg nach.

Regenfelder sagt, erst mit dem Einsatz von Naujoks hätten bei Kabel BW "die persönlichen Angriffe und Verfahren" begonnen. Der damalige Betriebsratschef Renger ergänzt: "Es schien, als sei sein Buch zur Pflichtlektüre für Führungskräfte geworden."

"Einfach reaktionär"

Ob aber Naujoks tatsächlich im Hintergrund die strategischen Fäden zog, ist im Einzelfall nicht zu beweisen. Weder die Volksbank noch BTE Biegetechnik gaben Auskunft zu seiner Rolle oder wollten Fragen zu dem Thema beantworten.

Bei Kabel BW hieß, man könne nicht Stellung nehmen, da die wichtigsten damals handelnden Personen auf Arbeitgeberseite nicht mehr beim Unternehmen beschäftigt seien. Naujoks selbst verwies auf seine "anwaltliche Schweigepflicht", die verbiete, "weder die Namen meiner Mandantschaft zu nennen, noch über meine Beratung zu sprechen".

Ganz generell distanzierte er sich von den beschriebenen Mobbing-Methoden: "Eine solche Strategie wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt", denn die Gewerkschaft würde sie nicht zulassen, sagt er. "Auch kenne ich keine Belegschaft, die sich von einem externen Anwalt beeinflussen lassen würde. "

Unter seinen Berufskollegen regt sich gleichwohl Kritik. Wenn Naujoks Methoden Schule machten, "wirft uns das zurück in die Zeiten des Manchester-Kapitalismus. Das ist einfach reaktionär", sagt der Berliner Arbeitsrechtler Volker Ratzmann. "Es geht ihm weit über die rechtliche Auseinandersetzung hinaus darum, Konfrontationen aufzubauen und den Gegner persönlich zu treffen."

Roland Renger ist darüber krank geworden. Wer ihn wie seine Kollegin Regenfelder gut kennt, erinnert sich an ein "absolutes Alpha-Männchen, ein herausragender Stratege, den nichts so schnell umwarf und der flammende Reden gehalten hat".

Jetzt raubt ihm die Erinnerung an seine Zeit als Betriebsratschef bei Kabel BW nachts den Schlaf, der Schweiß bricht ihm aus, wenn er darauf angesprochen wird. Seit Monaten ist er krank; die Ärzte attestieren, Renger leide an "posttraumatischen Belastungsstörungen". Das kennt man von Soldaten, die im Krieg Schlimmes erlebt haben.

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