Digitaler Staat:Die EU wird zum Login-Anbieter

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Für Behördengänge, Shopping oder Banking: Die EU-Kommission plant eine einheitliche Schnittstelle für digitale Identitätsnachweise.

(Foto: Alberto Menendez/imago)

Jeder EU-Bürger soll eine einheitliche digitale Brieftasche erhalten. Was steckt hinter den Plänen?

Von Philipp Bovermann

Möglicherweise hat die EU am Donnerstag das Ende der Ära der Passwörter verkündet - und mit eingescannten Plastikkarten und Papierzertifikaten könnte ebenfalls Schluss sein. Laut den Plänen der EU-Kommission soll ein System entstehen, über das Bürger und Unternehmen in ganz Europa Dokumente aller Art "mit einem Klick auf ihrem Handy" austauschen können, etwa wenn man im EU-Ausland ein Bankkonto eröffnen oder ein Auto leihen will. Zugleich sollen sich die Bürger über dieses neue System auch gegenüber Websites ausweisen können, um sich nicht für jeden Online-Dienst ein neues Passwort merken zu müssen.

Die EU wird also zum Anbieter eines Logins für alles: etwa für Social Media-Plattformen, aber auch für Behördengänge, Shopping und Banking, online ebenso wie vor Ort mit dem Smartphone. So sieht es ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission vor.

Behörden und "sehr große Plattformen" wie Amazon sollen verpflichtet werden, die einheitliche Schnittstelle für digitale Identitätsnachweise zu akzeptieren, optional zu den bestehenden Ausweismöglichkeiten. Neben "Login with Google" und "Login with Facebook" steht dann ein Button, über den man sich mithilfe des EU-Systems online ausweisen kann. Er führt über eine verschlüsselte Verbindung in eine elektronische Brieftasche, die jeder EU-Bürger erhält. Darin befinden sich all die persönlichen digitalen Dokumente und Nachweise, die er dort hineingelegt hat, um sie auf Wunsch vorzeigen zu können. Diese Brieftasche sei wie ein "Safe", der "unsere Identität schützt", sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der Vorstellung der Pläne. Die Verschlüsselung soll "ultrasicher" sein.

Die Kommission erhofft sich dadurch mehr "Souveränität" der Bürger über ihre Daten. Denn wenn diese sich über einen der Digitalkonzerne online ausweisen ("Login with Google"), fließen die dabei entstehenden Daten auf dessen Server. Beim Surfen im Internet ist das möglicherweise noch zu vertreten, aber aus Sicht der EU nicht mehr, wenn künftig immer mehr Behörden auch online Anträge entgegennehmen und Nachweise ausstellen. Dafür braucht es eine einheitliche Lösung, damit man nicht bei jeder Behörde ein eigenes Benutzerkonto anlegen muss, also eine eigene digitale Brieftasche - in der nur ein Dokument liegt, weil sie mit den Brieftaschen anderer Behörden nicht kompatibel ist. Gäbe es ein solches System schon heute, wäre es nicht nötig gewesen, ein europäisches System "digitaler grüner Zertifikate" für die verschiedenen digitalen Impfpässe aufzusetzen.

Die europäische "digitale Identität" ist eine Schnittstelle für die nationalen digitalen Dokumente, die parallel entwickelt werden. Etwa in Deutschland, wo derzeit ein Pilotprojekt für einen digitalen Personalausweis auf dem Smartphone läuft. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert zudem mit 50 Millionen Euro drei "Schaufensterregionen", in denen Unternehmen, Banken und Behörden lokale Tauschsysteme für elektronische Dokumente etablieren wollen. Diese sollen sich nach Abschluss des Projekts miteinander zu einem bundesweiten System verbinden - das über die "europäische digitale Identität" wiederum an die anderen EU-Länder angeschlossen wird.

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