Ehrliches Bezahlen:Wer zahlt, wenn keiner hinschaut?

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Wer zahlt die Erdbeeren. wenn keiner hinschaut? Oft leidet ohne Kontrolle die Zahlungsmoral der Kunden. (Foto: Jörg Buschmann)

Obst am Straßenrand, Blumen zum Selberpflücken: Viele Händler sind auf ehrliche Kunden angewiesen. Um die Zahlungsmoral zu verbessern, gibt es Tricks.

Von Lea Hampel

Dieter Bär ist Blumenhändler, aber er könnte stundenlang über Ehrlichkeit philosophieren. Wann sind Menschen besonders ehrlich, wie bringt man sie dazu? Mehr als bei anderen Unternehmern hängt sein wirtschaftliches Wohl und Wehe an der Ehrlichkeit der Kunden. Als Student hat er vor 25 Jahren in Bad Krozingen bei Freiburg das erste deutsche Feld angelegt, auf dem Menschen Blumen selbst pflücken können. Mittlerweile besitzt er mehr als 30, darüber hinaus berät er mehr als 600 Betriebe, die das Gleiche anbieten. Die bauen alle auf eine sogenannte "Kasse des Vertrauens": der Preis steht zwar an, ob der Kunde zahlt oder nicht, bekommt in dem Moment meist keiner mit.

Ob bei abgelegenen Mautstraßen oder Getränkekassen im Vereinsheim, das Bezahlprinzip findet sich in vielen Situationen. Besonders beliebt ist es für Lebensmittel: Kürbisse, Eier und Kartoffeln sind Produkte, die sich Kunden oft einfach nehmen und den Betrag einwerfen können. Die Gründe sind offensichtlich: Sie ermöglichen Absatz fast ohne Personal vor Ort und Versorgung in Zeiten, wo in ländlichen Regionen etwa Eier nur bei der Tankstelle zu entsprechenden Preisen zu haben sind.

Doch sie alle haben dieselbe Krux: Sie funktionieren nur, wenn Kunden ehrlich sind. Zwar ist es Diebstahl, wenn man nicht genug bezahlt. Aber dennoch zahlen nur etwa 80 Prozent der Kunden korrekt, schätzen einige, die damit zu tun haben. Allerdings sind alle vorsichtig mit konkreten Aussagen. Auch Dieter Bär formuliert es lieber so: "Wenn die Hälfte der Blumen bezahlt sind, kann man sehr zufrieden sein." Genauer will er es nicht definieren, weil er sich sorgt. Behauptet er, ein hoher Anteil wäre ehrlich, könnten manche denken, sie müssten nicht zahlen, weil die Kosten bereits gedeckt sind. Erzählt er von vielen unehrlichen Kunden, besteht die gleiche Gefahr: Dass andere Kunden sich fragen, warum sie als Einzige korrekt zahlen.

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Die Verhaltensökonomie gibt Bär in seiner Vorsicht recht: Warum sich Menschen wie ehrlich verhalten, hängt stark von Annahmen dazu ab, wie andere handeln. Axel Ockenfels erforscht das Thema seit Jahren an der Universität zu Köln und hat mehrere Faktoren für Ehrlichkeit ausgemacht. Natürlich ist die Entdeckungswahrscheinlichkeit "ein wichtiger Einflussfaktor", sagt der Ökonom. Wenn man glaubt, beobachtet zu werden, verhält man sich ehrlicher. Der Grund: "Die Sorgen, später ökonomische oder soziale Nachteile zu erlangen, diszipliniert Verhalten." Aber selbst in anonymen Situationen und wenn klar ist, dass keine Strafe folgt, hängt das Verhalten davon ab, was andere denken könnten.

Das konnten Ockenfels und andere Ökonomen nachweisen. Vor allem ist aber wichtig, in welcher Relation das eigene Verhalten zu dem anderer steht. "Wenn der Kunde glaubt, dass andere Kunden ehrlich sind und viel bezahlen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er auch ehrlich ist und viel bezahlt", sagt Ockenfels. Außerdem beeinträchtigt das Selbstverständnis die Ehrlichkeit. "Unehrlichkeit bedroht das positive Bild, das die meisten Menschen von sich selbst haben - oder jedenfalls haben wollen." Ockenfels hat es nicht erforscht, aber er hält es für vielversprechend, einen Spiegel über Vertrauenskassen aufzuhängen.

Was der Forscher berichtet, deckt sich mit praktischen Erfahrungen vieler Verkäufer. Blumenhändler Bär hat bei wissenschaftlichen Experimenten auf seinen Feldern herausgefunden: Steht bei der Kasse ein Schild mit einem fröhlichen Gesicht und der Information, dass die Zahlungsmoral bei mehr als 90 Prozent liege, sind die Kunden ehrlicher. Das Gegenteil ist der Fall bei einem traurigen Gesicht und dem Hinweis, dass nur 40 Prozent der Kunden bezahlen. Außerdem hilft es grundsätzlich, wenn Augen in irgendeiner Form abgebildet sind - das erweckt den Eindruck: Ich werde beobachtet. Dies dürfte auch der Grund sein, warum Kunden ehrlicher bezahlen, wenn Felder besonders nah am Hof oder von relativ vielen Häusern umgeben sind - jemand könnte sie sehen.

Die Ursache könnte aber auch sein, dass ihnen dann bewusster ist, wem sie zu wenig bezahlen. Denn empfundene soziale Nähe verringert offenbar Betrug. Auch deshalb stellt Blumenhändler Bär Schilder auf, auf denen steht, dass Tulpenzwiebeln jedes Jahr neu gepflanzt werden und sein Familienbetrieb von den Blumen lebt.

Nach 25 Jahren hat Bär aber vor allem eine Regel verinnerlicht: "Die Ehrlichkeit der Kunden steht und fällt damit, wie einladend man ein Feld gestaltet" - je besser die Blumenauswahl, je schöner die Wege, desto eher hätten die Kunde das Gefühl, dahinter stecke jemand, der sich Gedanken macht und Ehrlichkeit verdient.

"Dagegen kann man nicht mehr anverkaufen"

Diese Methoden funktionieren freilich nicht immer. Nach all den Jahren stehen in Bärs Büro Dosen voller Fremdwährungen, weil manche Kunden mit Münzen aus dem Urlaub bezahlen. Auch Schrauben oder Knöpfe landen in den Kassen. Oder Zettel, dass der Kunde diesmal kein Geld dabei hatte, aber beim nächsten Mal nachzahle. So etwas ärgert Bär, aber das Schlimmste sind nicht einzelne schwarze Schafe. "Die gibt es überall", sagt er, "schließlich gibt es sogar Menschen, die vom Friedhof Blumen klauen." Hohen wirtschaftlichen Schaden richten die an, die im großen Maßstab unehrlich sind - Menschen, die ein halbes Feld abernten und die Blumen weiterverkaufen. Sie machen einen großen Teil fehlender Einnahmen aus.

Auch kleinere Anbieter haben vor allem mit solchen Fällen Probleme. Maik Deseniß betreibt seit 13 Jahren einen Hofladen im Schaumburger Land nahe Hannover. Vor einigen Jahren begann er, eine Kiste mit Lebensmitteln aufzustellen, für Kunden, die es an den Verkaufstagen Freitag und Samstag nicht zu ihm schaffen. Die ersten vier Monate lief es gut. Die Kunden haben weitgehend ehrlich für Kartoffeln und Eier gezahlt. Aber mehrfach wurde die komplette Kiste eingepackt und weggefahren. "Dagegen kann man nicht mehr anverkaufen", sagt er. Deseniß hat einen Automaten aufgestellt, an dem sich die Fächer nur gegen Geld öffnen ließen. "Aber um den regelmäßig zu befüllen und notfalls zu reparieren, hatten wir zu wenig Zeit", sagt er. Mittlerweile befüllt er ihn nicht mehr.

Gleich aufzugeben, ist allerdings nicht nötig. Bär hat es zwischenzeitlich mit Videoüberwachung probiert. Er musste lernen, dass die nicht nur Diebe abhält. Auch Stammkunden wollen nicht beobachtet werden. Stattdessen macht er gute Erfahrungen mit fest installierten Kassen, die abends geleert werden. Und manchmal befindet sich in den Kassen nicht nur Geld. Er findet auch Zettel. Von Menschen, die sich bedanken, dass er auf ihre Ehrlichkeit vertraut.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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