1955 war sich der Herr Bundesminister der Finanzen noch sicher: Geht die Frau arbeiten, geht die Ehe kaputt, warnte CSU-Mitgründer Fritz Schäffer. Eine "steuerrechtliche Begünstigungen der "marktwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit der Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb" könnte "die tendenziell sich abzeichnenden Kräfte zu unterstützen, die zu einer fortschreitenden Auflösung der Ehe und Familie führen", schrieb er damals in einer Denkschrift. Heute sehen viele die Sache anders - nur das deutsche Steuerrecht ist noch auf dem Stand der Fünfzigerjahre. Zeit für ein Update, sagt kurz vor der Bundestagswahl Ifo-Präsident Clemens Fuest und schlägt eine Reform des umstrittenen Ehegattensplittings vor, das seit 1958 gilt.
"Aus ökonomischer Sicht setzt das Ehegattensplitting für die Zweitverdiener, in der Regel Frauen, starke Anreize, nicht erwerbstätig zu sein oder allenfalls eine Teilzeitstelle anzunehmen - und sich stattdessen auf Haushaltsarbeit und Kindererziehung zu konzentrieren", sagt der Chef des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts. "Ein Systemschwenk auf Modelle wie das Realsplitting könne Impulse für eine höhere Erwerbsbeteiligung der Zweitverdiener setzen." Belastungen für Ehen ließen sich durch Übergangslösungen begrenzen.
"Die Gleichberechtigung von Frauen hat viel mit Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu tun."
SPD und Grüne wollen das Ehegattensplitting abschaffen, die Union hält daran fest. Das Familienbild sei heute vielfältiger als die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau mit dem Mann als Alleinverdiener, begründete Ökonom Fuest seinen Vorstoß. "Die Gleichberechtigung von Frauen, ein grundlegendes gesellschaftliches Anliegen, hat viel mit Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu tun."
Um die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen, könnte die Steuerpolitik allerdings nur einer von mehreren Pfeilern sein. "Es ist ein Maßnahmenbündel erforderlich, das die Kinderbetreuung weiter ausbaut sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stark verbessert", sagte der Ökonom. Das sogenannte Realsplitting besteuert die Ehepartner im Prinzip unabhängig voneinander. Allerdings kann der Erstverdiener steuerlich einen gewissen Betrag auf den Zweitverdiener übertragen. Das sei sinnvoll, weil die Ehepartner gegenseitig zum Unterhalt verpflichtet seien, sagte Fuest. Die Arbeitsanreize für den Zweitverdiener werden demnach beim Realsplitting nicht so stark eingeschränkt wie beim Ehegattensplitting.