Kommentar:Weg mit dem Relikt

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Das Ehegattensplitting setzt falsche Anreize und bevorzugt die Falschen.

Von Kathrin Werner

Wenn man sich bei der Meinungsbildung nicht ganz sicher ist, was inmitten der Flut von Gutachten, Expertenkommentaren und Studien leicht passieren kann, hilft oft ein Blick in die Vergangenheit. Als Faustregel gilt: Richtig ist meist das Gegenteil von dem, was die Nazis gemacht haben. Das gilt auch für das Steuerrecht.

1934 haben die Nazis die gemeinsame Besteuerung von Eheleuten eingeführt. Ihr erklärtes Ziel war es, Frauen vom Arbeitsmarkt zu verdrängen und sie dazu zu bringen, sich ihre Rolle als Ehefrau und Mutter bewusst zu machen, schließlich war die Arbeitslosigkeit hoch. Im Jahr 1941 kehrten die Nazis zur getrennten Besteuerung zurück. Während des Krieges war die Arbeitskraft der Frauen unentbehrlich geworden.

Wenn Konservative heute argumentieren, dass es bei den Steuervorteilen für Ehepartner um die Moral gehe, weil die Institution Ehe nun einmal als solche schützenswert sei, kann man ihnen entgegnen: Seht euch die Nazis an, schon für sie war die Besteuerung von Eheleuten nichts als ein Mittel zum Zweck, um Frauen auf den Platz zu weisen, an dem der Staat sie gerade braucht. Das Steuerrecht setzt nun einmal Verhaltensanreize. Und zwar nicht dazu, zu heiraten oder nicht. Denn für die meisten Menschen hat das mehr mit der Liebe als mit der Steuer zu tun. Sondern dazu, zu arbeiten und wenn ja, wie viel. Auch heute gilt wie damals: Die Zusammenveranlagung, wie sie nach dem aktuellen Steuerrecht für die allermeisten Paare günstiger ist, hält Frauen vom Erwerbsarbeitsmarkt fern.

Die Ehe ist dem Staat steuerlich mehr wert als Kinder

Noch einmal konkret: Wenn Ehepaare und eingetragene Lebenspartner heute die Zu­sam­men­ver­an­la­gung wählen, wird bei der Steuererklärung das zu versteuernde gemeinsame Einkommen der Ehegatten ermittelt und halbiert. Für diesen Betrag wird dann die Einkommensteuer berechnet und verdoppelt. Unabhängig davon, wie viel der einzelne Partner verdient, wird also so getan, als ob beide Ehepartner die Hälfte des gemeinsamen Einkommens beisteuern. Ehegattensplitting nennt man das. Je größer die Einkommensdifferenz und je höher das Einkommen von einem der beiden Partner und damit der eigentliche Steuersatz, desto größer der finanzielle Vorteil. Sprich: Paare mit traditioneller Arbeitsteilung und hohem Einkommen profitieren am meisten. Ob sie Kinder haben oder nicht, spielt keine Rolle. Die Ehe ist dem Staat steuerlich mehr wert als Kinder.

Falsch ist das aus mehreren Gründen. Das Ehegattensplitting zementiert Rollenbilder, die in der gesellschaftlichen Realität längst in Bewegung sind: der Mann als Versorger, die Frau daheim am Herd. Es setzt finanzielle Anreize, die vor allem Frauen schaden. Denn sie sind nun einmal fast immer diejenigen, die weniger verdienen. Gemeinsam mit den Regeln zur beitragsfreien Mitversicherung für Familienmitglieder in der gesetzlichen Krankenkasse und zu den abgabenfreien Minijobs führt die Besteuerung dazu, dass es sich für sie oft einfach nicht lohnt, mehr zu arbeiten als in einem 450-Euro-Job. Viele Ehepartner teilen deshalb die Erwerbsarbeit traditionell auf, obwohl es vielleicht gar nicht ihren Wertvorstellungen entspricht. Das verfestigt das Gender Pay Gap, also die Tatsache, dass Frauen weniger verdienen als Männer, und das Gender Pension Gap, also die deutlich schlechtere Altersversorgung von Frauen. Das Ehegattensplitting bevorzugt Menschen, die keine Bevorzugung verdienen, und vergisst die, die Schutz brauchen: Geringverdiener mit Kindern oder Alleinerziehende zum Beispiel.

Die Nazis wollten zusammen veranlagen, um Frauen an den Herd zu schicken. Zeit, getrennt zu veranlagen. Zeit, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Dann müssen viele Menschen mehr Steuern zahlen, vor allem Besserverdiener. Das zusätzliche Geld, das an den Fiskus fließt, ließe sich nutzen, um das zu schützen, was schützenswert ist: Die Familie als Ort, an dem Kinder leben. Und zwar egal, welches Geschlecht die Eltern haben oder ob es sich um Alleinerziehende handelt. Statt mit Steuerpolitik würden sie mit Sozialpolitik gefördert, etwa durch ein höheres Kindergeld oder indem die neuen Mittel in den Ausbau und die Verbesserung von Kinderbetreuung fließen. Das wäre gerechter - und zeitgemäß.

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