Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen Ehec:"Chaos" in Deutschland erzürnt Europapolitiker

"Leichtfertige Warnungen": Der Umgang deutscher Behörden mit den Ehec-Erkrankungen stößt innerhalb der EU auf heftige Kritik. Geschädigte Landwirte können derweil auf Entschädigungszahlungen hoffen. Über deren Höhe allerdings wird noch gerungen.

Der gefährliche Darmkeim Ehec wütet - und die Reaktionen der Verbraucher haben massive Konsequenzen für die Gemüsebauern. Viele Menschen verzichten auf den Kauf von Tomaten, Gurken und Salat; die Bauern und die Gemüsehändler bleiben auf vielen Produkten sitzen oder müssen sie schreddern.

Die Klagen über die finanziellen Ausfälle mehren sich. Doch nun können die Bauern auf einen Ausgleich hoffen. Dessen Höhe ist allerdings noch offen.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag einen Vorschlag über Hilfszahlungen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgelegt. Für die am meisten betroffenen Produkte, die vom Markt zurückgenommen werden, solle 30 Prozent des Referenzpreises aus den Vorjahren bezahlt werden, erläuterte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos auf einem Dringlichkeitstreffen der EU-Agrarminister in Luxemburg. Abgedeckt werde die Zeit von Ende Mai bis Ende Juni.

Die Agrarminister sprachen sich zwar grundsätzlich für die Hilfszahlungen aus, wie ein EU-Diplomat am Rande des Treffens sagte. Die Summe von 150 Millionen Euro fand allerdings keine Zustimmung. Sie sei als zu niedrig angesehen wurden, hieß es. Ciolos sagte am Abend eine "substanzielle Nachbesserung" vor.

Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca hatte gefordert, die Einnahmeausfälle zu 100 Prozent zu ersetzen. Dafür sprachen sich auch der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire und seine spanische Kollegin Rosa Aguilar aus. "Für Spanien sind 30 Prozent nicht genug", sagte Aguilar. Ihr zufolge unterzeichneten mehrere Länder ein Schreiben, in dem sie je nach Produkt Zahlungen in Höhe von 90 bis 100 Prozent der Einnahmeausfälle der Landwirte forderten.

Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) stellte in Luxemburg klar, es gehe um Entschädigungen "von EU-Seite". Die Ehec-Krise sei "ein europäisches Problem", das daher auch von den Vertretern aller 27 EU-Länder beraten werde. Es stelle sich nicht die Frage, dass Deutschland direkt Entschädigungszahlungen leiste, sagte ein EU-Diplomat.

Kritik an Deutschland

EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte Deutschland vor vorschnellen Warnungen durch Behörden. Infektionsquellen sollten nicht angegeben werden, solange diese nicht durch fundierte Untersuchungen belegt seien, sagte er. Solche Angaben müssten "wissenschaftlich korrekt und beweissicher" sein.

Belgiens Landwirtschaftsministerin Sabine Laruelle nannte die deutschen Warnungen "mitunter leichtfertig" und machte sie dafür verantwortlich, dass Europas Gemüsebauern in Schwierigkeiten geraten seien. "Man weiß gar nicht mehr, wer was" in der Krise mache, ob Landes- oder Bundesminister, kritisierte sie am Rande des Treffens der EU-Landwirtschaftsminister in Luxemburg.

Aigner rechtfertigte das Vorgehen der deutschen Behörden vor ihren europäischen Kollegen. Auf Gurken aus Spanien seien Ehec-Keime gefunden worden, wenn auch ein anderer Stamm als bei den Erkrankten. "Aber in der Tat gab es Ehec-Befunde und deshalb musste das auch gemeldet werden. Das sind die europäischen Regeln", sagte Aigner. "Es geht hier um Menschenleben", daher seien Warnungen gerechtfertigt.

Auch Europa-Politiker kritisierten das deutsche Krisenmanagement scharf. In den Augen vieler EU-Abgeordneter fehlt in der Bundesrepublik eine klare Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern.

In den USA gäbe es eine zentrale Seuchenbekämpfungsbehörde in Atlanta, sagte die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms. Weder Deutschland noch die EU seien auf diese Ehec-Krise vorbereitet. "Bei zwei Bundesministerien und Länderministerien gibt es Kommunikationsprobleme, und es fehlt eine echte Kompetenz für Entscheidungen."

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt prangerte in Straßburg ein Kommunikationschaos in Deutschland an. Ihr Fraktionskollege Jo Leinen, der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, beklagte ein Kommunikationschaos und ergänzte: "Es ist inakzeptabel, dass man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt."

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