Süddeutsche Zeitung

Ehec-Keim: Entschädigung für Bauern:Da haben wir den Salat

Wegen der Ehec-Krise waren Gurken, Salat und Tomaten fast unverkäuflich. Deshalb versprach Brüssel den Bauern eine Entschädigung. Und was ist die Folge? Jetzt schreien auch die Gurken-Verkäufer nach Geld. Man kann nur sagen: Selbst schuld, liebe Politik - das hat sie nun davon, dass sie einmal "ja" gesagt hat.

Marc Beise

Ach, es müsste mehr Schachspieler geben in der Politik. Menschen wie Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, den man in der Euro-Schuldenkrise so schmerzlich vermisst. Schachspieler pflegen über den nächsten Zug hinauszuplanen, das macht sie so wertvoll. In der Politik können das nur wenige, und deshalb beschließen sie Dinge, deren Folgen sie dann fürbass erstaunen.

Zu besichtigen jetzt beim Ehec-Bakterium: Gurken, Tomaten und Salat waren eine Zeit lang beinahe unverkäuflich, da war der Schmerz der Bauern groß. Als die europäische Politik ihnen zum Ausgleich 150 Millionen Euro spendierte, war klar, was kommen würde. Erstens würden die Bauernverbände mit der Entschädigung nicht zufrieden sein, weil sie nie zufrieden sind. Und zweitens würden andere folgen.

Auf die Beschwerden der Bauern musste man nicht lange warten, weshalb der Hilfstopf auch bereits auf 210 Millionen Euro aufgestockt ist. Der Handel brauchte etwas länger, ist jetzt aber auch aufgewacht. Cheflobbyist Josef Sanktjohanser hat in den Sortimenten zum Teil Umsatzrückgänge von bis zu einem Drittel registriert, weshalb nun auch er mit der Verbraucherministerin gerne über Kompensationen sprechen möchte. Es ist ja auch nicht einzusehen, warum Gurken-Produzenten entschädigt werden, nicht aber Gurken-Verkäufer. Was übrigens ist mit den Gurken-Konsumenten, die auf womöglich teurere Waren auswichen?

Politik funktioniert hier wie Erziehung: Wer einmal "ja" sagt, kommt beim nächsten Fall in Begründungszwang. Was ist eigentlich mit den Produzenten von Gemüse, vor dessen Verzehr nicht gewarnt wurde, das aber in Mitleidenschaft geriet? Es gibt Städte in Deutschland, die freiwillig auch noch Entschädigung für Rucola und Chinakohl zahlen. Was ist umgekehrt mit Erzeugern, die vom veränderten Kaufverhalten profitieren; sollen sie mit einer Sonderabgabe bedacht werden?

Für eine Entschädigung der Ehec-Bauern findet man, wenn man will, gute Gründe, sogar im Recht. Der Rechtsprofessor und Ex-Datenschutzbeauftragte Hans-Peter Bull hat den allgemeinen Aufopferungsgrundsatz ins Spiel gebracht, der schon im alten Preußen galt und heute Gewohnheitsrecht ist - was heißt, dass er in keinem Gesetz steht, von findigen Richtern aber von Zeit zu Zeit ausgegraben wird, wenn ihr Rechtsgefühl es erfordert: Wer vom Staat zu Opfern für das Gemeinwohl genötigt wird, ist also vom Staat zu entschädigen. Die Warnung vor Gesundheitsgefahren könnte eine solche Nötigung der Bauern gewesen sein. Bull selbst spricht von einer "besonders weichen" Nötigung, und damit sollte man das Argument auch besser ad acta legen.

Wichtiger wäre es, sich auf das Grundprinzip einer Marktwirtschaft zu besinnen. In diesem System, mit dem die Deutschen im internationalen Vergleich nicht schlecht gefahren sind, hat der Einzelne erst mal alle Rechte und Pflichten. Zusätzlich sorgt der Staat für eine funktionierende Ordnung (weshalb man auch von Ordnungspolitik spricht), er kann den Menschen aber nicht alle Lebens- und Geschäftsrisiken abnehmen. Wer am Markt teilnimmt, hat Gewinnchancen - er muss aber auch mit Verlusten rechnen.

Dieses Prinzip droht im Zeitalter der Subventionitis in Vergessenheit zu geraten. Es ist kein Zufall, dass die Diskussion sich oft an den Bauern entzündet, diesen begnadeten Subventions-Spezialisten. Viel ist dieser Tage die Rede von der Atomlobby (will die Kernkraftwerke nicht abschalten) und der Autolobby (will Subventionen für Elektroautos). Die Bauernlobby wirkt eher im Verborgenen, dafür aber umso einflussreicher.

So sehr es ein Fehler war, den Bauern eine Entschädigung zuzusagen, so wenig kann man das nun noch ändern. Viel wäre schon gewonnen, wenn die Politik für die Zukunft lernen würde. Denn die nächste Notlage kommt bestimmt.

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SZ vom 21.06.2011/jab
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