James Rogers hatte mit Obst und Gemüse nichts zu tun. Der Materialforscher arbeitete an Stahl und Plastik für Solarzellen. Aber auf dem langen Weg zu seiner Arbeit an der University of California fuhr er stets an satten Obstbäumen und endlosen grünen Gemüsefeldern vorbei. Eines Tages hörte er dabei einen Podcast über Hunger in der Welt. "Wie kann es sein, dass wir so viel anbauen und trotzdem nicht alle genug zu essen haben?", fragte er sich. "Mir war klar, dass die Produktion nicht das Hauptproblem sein kann, es muss die Verteilung sein."
Der Wissenschaftler ließ seine Gedanken wandern: Obst und Gemüse wachsen nicht überall zu jeder Zeit. Sie halten sich nicht ewig. Die Transportwege sind lang. Das gleiche Problem kannte er von Stahl, der rostet, wenn man ihn nicht davor schützt. "Was, wenn man auch Obst und Gemüse beschichtet?", dachte er. Im Labor angekommen fing er an, daran zu arbeiten. Inzwischen ist aus der Idee ein Start-up geworden. Es heißt Apeel, hat 82 Mitarbeiter und 42 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt, darunter von Silicon-Valley-Investoren wie Andreessen Horowitz und der Stiftung von Bill und Melinda Gates.
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Mit Apeels Beschichtung namens Edipeel hält Obst und Gemüse doppelt so lange nach der Ernte, die Zeit soll sich bald verdrei- und vierfachen. "Wir nutzen Lebensmittel, um Lebensmittel haltbar zu machen", sagt Rogers. "Jedenfalls ist das unser Marketingspruch, um Dinge zu erklären, die ein bisschen kompliziert sind."
Edipeel ist essbar, unsichtbar und geschmacksfrei. Man kann sie auch nicht ertasten, anders als etwa Wachs. Edipeel schafft eine Barriere, die kontrolliert, wie viel Wasser und Kohlendioxid aus der Frucht austreten und wie viel Sauerstoff von außen eintritt - diese Faktoren tragen die Hauptschuld, wenn Obst oder Gemüse schlecht wird. "Innerhalb der Avocado oder der Zitrone entsteht ein neues, besseres Mikroklima", sagt Rogers. "Das Mikroklima reist mit der Frucht mit, von der Ernte bis in den Kühlschrank." Eine reife Erdbeere hält mit Edipeel eine Woche länger.
"Edipeel" könnte noch in diesem Monat in der EU zugelassen werden
Lebensmittel im Wert von rund einer Billion Dollar werden jedes Jahr auf der Welt weggeworfen, etwa einem Drittel der gesamten Produktion. Bei Obst und Gemüse ist die Quote noch schlechter: Rund die Hälfte vergammelt, hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen berechnet. Gleichzeitig hungern 815 Millionen Menschen, elf Prozent der Weltbevölkerung, Tendenz steigend. Und Anbau, Lagerung und Transport von Lebensmitteln kosten Energie und verschmutzen die Umwelt, etwa durch Pestizide. 80 Prozent des Frischwassers der USA fließt in die Landwirtschaft. "So kann es nicht weitergehen", sagt Rogers.
Apeel verwendet für die Beschichtung vor allem Pflanzenabfälle, zum Beispiel Schalen von Tomaten, Obststiele oder Kerne. In Santa Barbara in Kalifornien, dem Unternehmenssitz, ist es besonders leicht, an die Überbleibsel der Weinherstellung zu kommen. Die Forscher des Start-ups arrangieren die Extrakte in einem chemischen Prozess neu, dabei entsteht ein Pulver, das Bauern nach der Ernte mit Wasser mischen und auf das Obst oder Gemüse aufspritzen. Jedes Spray ist auf eine Art von Lebensmitteln zugeschnitten, die Mischung für Zitrusfrüchte ist anders als für Erdbeeren oder Avocados.
Keine andere Technik-Firma beschäftige sich mit dem Thema, sagt Rogers. "Unsere einzige Konkurrenz ist der Status quo." Apeel hat deshalb einige Anlaufschwierigkeiten. "Im Grunde muss die Obst- und Gemüsebranche ihre gesamte Lieferkette neu überdenken." Der Transport von Obst und Gemüse findet fast durchweg in Kühlcontainern statt, in denen Licht, Feuchtigkeit und Temperatur streng kontrolliert sind. Die Kühlung kostet viel Energie - und damit viel Geld. Und später im Supermarkt lässt sich das Ideal-Klima nicht mehr aufrechterhalten. "Die Verluste sind gigantisch", sagt Rogers. Eine Blaubeere hält sich nach der Ernte noch etwa 30 bis 40 Tage. Wenn sie schon drei Wochen unterwegs ist von Chile bis nach New York und dann noch ein paar Tage im Supermarkt liegt, ist sie fast schon schlecht, wenn der Kunde sie mit nach Hause nimmt.
"Eine Frucht ist ein lebendiges, atmendes Ding"
Der wichtigste Ansprechpartner für Apeel sind die großen Supermarktketten, die es frustriert, wenn sie so viel Obst und Gemüse wegschmeißen müssen. "Avocados im Supermarkt sind zum Beispiel entweder unreif oder überreif", sagt Rogers. "Supermärkte haben darum ein Interesse daran, ihre Zulieferer dazu zu bringen, etwas für längere Haltbarkeit zu tun." Und das Geld, was sie für Edipeel zahlen, holten sie wieder herein, weil sie nicht mehr acht Prozent ihrer Avocados wegwerfen müssen wie bisher. Transporteure, die viel in Kühlcontainer gesteckt haben, haben dagegen weniger Interesse an Edipeel - genau wie die Bauern, die neuer Technik gegenüber nicht immer sehr aufgeschlossen sind.
Wenn die Forschung und Entwicklung des Start-ups weiter so gut läuft, will Rogers die Kühlkette bald komplett abschaffen. "Eine Frucht ist ein lebendiges, atmendes Ding", erklärt er. "Sie hat eine begrenzte Zahl Atemzüge, die sie in ihrem Leben machen kann." Die Atmung verlangsame sich, wenn die Frucht gekühlt wird. Je zehn Grad Celsius Temperaturreduktion verdoppelt sich die Haltbarkeit. Kühler als zwei Grad Celsius lässt sich Obst nicht lagern, darunter bilden sich Eiskristalle. Wenn Obst also statt bei einer Raumtemperatur von 22 Grad bei zwei Grad transportiert und gelagert wird, hält es sich viermal so lange. "Wir sind auf gutem Weg, um mit Edipeel die Haltbarkeit ebenfalls um den Faktor vier zu verlängern."
Edipeel ist von den Lebensmittelbehörden in den USA, Mexiko, Chile, Peru, Japan und China zugelassen. Eines der ersten Projekte der Firma war in Afrika. Gemeinsam mit der Gates-Stiftung hat Rogers eine Beschichtung für Maniok und Mangos zu Kleinbauern nach Kenia und Nigeria gebracht. Sie konnten vorher nur für den Eigenbedarf produzieren, weil sich Maniok und Mangos nicht lang genug hielten, um den nächsten Markt zu erreichen. Zu den in Industrieländern üblichen Kühlketten haben die Bauern keinen Zugang. Noch diesen Monat hofft Rogers auf die Genehmigung der EU. Im Februar hat er Edipeel auf der Messe Fruit Logistica in Berlin vorgestellt. "Das Interesse war riesig", sagt er. "In Europa ist das Problem noch größer, der Kontinent ist schließlich weit weg von den großen Erzeugerregionen."