Auf dem schlichten weißen Zettel außen am Sitzungssaal B173 des Landgerichts München I steht: "Ecclestone Bernard" und "Bestechung". Dazu 26 Termine, die bis Mitte September reichen "und bei Bedarf weiter dienstags und mittwochs". Ecclestone braucht dieser Zettel nicht weiter zu beschäftigen. Es gibt keinen Bedarf mehr. Die Wahrheitssuche, diese unangenehme Geschichte in München, wonach er den früheren BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky beim Verkauf der Formel-1-Anteile bestochen haben soll, ist nun vorbei. Man hat das nach Art der Formel 1 erledigt. Mit viel Geld. Genauer: mit 100 Millionen Dollar.
Morgens um 9:20 Uhr hatte er den Saal betreten: Dunkler Anzug, dunkle Krawatte, dunkle Brille, weißes Haar, 83 Jahre. Hier schüttelt er eine Hand, dort plaudert er mit den Anwälten Sven Thomas und Norbert Scharf. Die meiste Zeit aber, während er auf Richter Peter Noll wartet, lehnt er aufrecht an der weißen Wand des Saals. Er weiß ja, was Noll gleich sagen wird; dass Verteidiger und Staatsanwälte in der vergangenen Woche diskutiert haben, wie man die Sache lösen kann mit Hilfe dieses schönen deutschen Paragraphen 153a der Strafprozessordnung, der eine Einstellung eines Verfahrens gegen Auflagen vorsieht. Dieser Paragraph, dass weiß Ecclestone, wird sein Leben einfacher machen. Er muss nicht mehr nach Bayern reisen, um bohrende Fragen zu beantworten. Er kann Chef der Formel 1 bleiben, und: Sein Ruf bleibt tadellos, zumindest nach Maßstäben der Justiz.
Staatsanwalt Christian Weiß begründet gleich zu Beginn der Verhandlung, warum er das Einstellen des Verfahrens gegen 100 Millionen Dollar befürwortet: Weil Ecclestone doch schon ein hohes Alter erreicht habe und die lange Hauptverhandlung belastend sei. Weil er Hilfe zur Aufklärung geleistet habe; weil nach wie vor unklar ist, ob Ecclestone wusste, dass er mit dem BayernLB-Vorstand Gribkowsky einen Amtsträger vor sich hatte. Und überhaupt: Weil sich manche Umstände erheblich geändert hätten. Wesentlich mehr wird die Staatsanwaltschaft heute nicht mehr sagen, weder innerhalb noch außerhalb des Sitzungssaals. Sie bleibt an diesem Dienstag seltsam unsichtbar.
Ist Ecclestone nun "milliardenschwer"?
Die Verteidigung ist zufrieden mit den Ausführungen des Staatsanwalts und hat auf Nachfrage des Richters nichts mehr hinzuzufügen. Ecclestone genauso wenig. Und so wendet sich Noll gleich den Vermögensverhältnissen von Ecclestone zu; gemeinsam mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft studiert er eine Erklärung des Steuerberaters vom 27. Juli. Ecclestone soll kurz darauf erklären, ob die Unterlagen vollständig seien. Und ob es möglich sei, die 100 Millionen "in angemessener Zeit flüssig zu machen". Angemessen ist in diesem Fall die überraschend kurze Frist von einer Woche. "Yes", sagt Ecclestone, ohne zu zögern. In der Öffentlichkeit, so macht Noll weiter, werde er, Ecclestone, als "milliardenschwer" bezeichnet. Aus den Unterlagen sei aber nicht ersichtlich, ob er das wirklich sei. Ecclestone will sich dazu nicht mehr äußern. Macht aber nichts. Noll fragt nicht weiter, sondern zieht sich mit seinen Kollegen zu einer mehrstündigen Beratung zurück.
Ist das, was da vor aller Augen im Saal abläuft, nun ein Freikaufen? Verteidiger Sven Thomas zeigt sich in der Verhandlungspause empört: Das höre man ja immer wieder. Wenn irgendein Verfahren eingestellt werde und die "Erwartungshaltung verschiedener Leute" unerfüllt bleibe, dann werde das automatisch als Freikauf eingestuft. Doch: "153 a ist hunderttausendfach in der Republik gemacht worden, auf allen Ebenen." Das sei "wirklich kein Paragraph, der nur für die Großen dieser Erde gilt".
War also die Einstellung des Verfahrens von Beginn an die Strategie? "Das ist immer schwierig zu erläutern, wie die Strategie aussieht", formuliert Thomas neblig. Zu Beginn des Prozesses hatte Ecclestone in einem Interview mit der Bild-Zeitung betont, dass er sich nicht freikaufen wolle. "Das ist totaler Nonsens und Müll", hatte er da gesagt. Aber das ist nun egal.
Und wie kann es sein, dass in dem Verfahren gegen Gribkowsky eine Freiheitsstrafe verhängt wurde? Thomas antwortet da schon zur Pause mit einem Lob: "Da kann ich nur eins sagen: Die Kammer musste vorurteilsfrei an das neue Verfahren ran, ohne im Hinterkopf die alten Geschichten zu haben. So die Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts." In der Realität werde das äußerst selten umgesetzt, hier aber sei das, egal wie es weitergeht, geschehen. "Da kann man nur Respekt haben."
Kurz darauf verkündet Richter Noll die Entscheidung: Ecclestone kommt gegen Zahlung von 100 Millionen Dollar frei. 99 Millionen Dollar gehen an die Staatskasse, eine Million an die Kinderhospiz-Stiftung.
Die Auflage, so Noll, beseitige das öffentliche Interesse an dem Fall. Die Schuld wiege zugleich nicht so schwer, dass sie einer Einstellung des Verfahrens entgegenstünde. Der Tatverdacht habe sich auch nicht erhärtet, selbst eine weitere Beweisaufnahme würde daran seinen Aussagen zufolge wohl nichts ändern.
Es bestünden erhebliche Zweifel, dass der Anklagte die Amtsträgerschaft von Gribkowsky erkannt habe. Ecclestone hätte dafür bewusst sein müssen, dass Gribkowsky in seiner Eigenschaft als BayernLB-Vorstand beim Verkauf der Formel-1-Anteile auch Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnahm. Doch die BayernLB trete nach außen hin wie eine Geschäftsbank auf. Und eine Bestechung "im geschäftlichen Verkehr", die dann in Betracht käme, wiege nunmal "wesentlich weniger schwer" als die Bestechung eines Amtsträgers, für die es bis zu zehn Jahre Haft geben kann. Korruption in der Privatwirtschaft wiegt erst dann schwerer, wenn eine dritte Partei geschädigt wird. Ob das hier der Fall war, bleibt unklar. Zeugen im Ausland zu finden und zu hören - das war dem Gericht zu aufwändig.
Vielmehr hebt das Gericht den Einsatz Ecclestones beim Verkauf der Anteile hervor, die "auf Null" standen. Zeugen der BayernLB hätten nach dem Geschäft von einem "Traumergebnis" und von einem "Lottogewinn" gesprochen. Den Preis, den die BayernLB erzielt habe, könnte das Gericht "bei der Gesamtwürdigung nicht außer Betracht" lassen. Dass Ecclestone Gribkowsky zwischendurch als civil servant, als Staatsdiener verhöhnt haben soll, nennt Noll "allgemeines Gefrotzel", das keiner konkreten Situation hätte zugeordnet werden können. Daneben berücksichtigt das Gericht das hohe Alter von Ecclestone, seine Probleme mit der deutschen Sprache, die weite Anreise und seinen Gesundheitszustand.
Ein "fühlbarer Anteil seines Vermögens"
Die Höhe der Geldzahlung, die Ecclestone nun zu leisten hat, war zuvor in den Medien verbreitet worden und hatte viele Fragen ausgelöst. Wohl deshalb versichert Noll nun, dass die Höhe der Auflage sich an den Vermögensverhältnissen des Angeklagten orientiere und keine Rückschlüsse auf die Verurteilungswahrscheinlichkeit oder die Schwere der Schuld zulasse. Ecclestone habe vielmehr glaubhaft gemacht, dass er einen "fühlbaren Anteil seines Vermögens" hergebe, ohne "überfordert" zu sein.
Und dann ist auch schon alles vorbei. Noll sagt, dass er davon ausgehe, Ecclestone nur noch im Fernsehen wiederzusehen. Ecclestone, der via Übersetzerin sehr aufmerksam allen Ausführungen des Richters folgt, bedankt sich und betont, dass er den Auflagen nachkomme, so dass er die "Herren und Damen" auch nicht mehr treffe.
Kurz darauf, der Saal hat sich schon zur Hälfte geleert, steht Ecclestone am Richtertisch, mit gefalteten Händen, wie an einer Kirchenbank, und wartet geduldig, bis Noll eine andere Unterhaltung zu Ende bringt. Dann verabschiedet er sich persönlich von Richter Noll. Später von Staatsanwalt Weiß und von seiner Übersetzerin.
Draußen, nur getrennt durch eine Tür, stehen dichtgedrängt die Journalisten, denen Verteidiger Thomas gerade noch mal erläutert, wie viel Respekt er dem Gericht entgegenbringe. Und dass sich Ecclestone nun wieder mit ganzer Kraft der Formel 1 zuwenden könne, "immerhin eine der drei großen Sportveranstaltungen der Welt".
Ecclestone schaut derweil im Saal auf die Uhr, tätschelt unruhig mit der Hand einen Tisch. Kurz darauf klopft seine junge Frau Fabiana Flosi ihm auf die Schulter. Beide wissen: Wenn die Tür aufgeht, müssen sie noch an den Journalisten vorbei: an den zahllosen Kameras und an den vielen Fragen. Dann haben sie es geschafft.