Elektronische Zigaretten:E wie Einstiegsdroge

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Doch nicht so harmlos? Eine Raucherin mit einer E-Zigarette. (Foto: Bloomberg)
  • Anfangs schienen Verdampfer eine weniger schädliche Zigaretten-Variante für Raucher zu sein. Doch nun häufen sich rätselhafte Krankheits- und Todesfälle.
  • Hinzu kommt: Die E-Zigarette, die gerne mal als Ausstiegsdroge bezeichnet wird, wird für viele Jugendliche zur Einstiegsdroge.

Von Claus Hulverscheidt, New York, und Jürgen Schmieder, Los Angeles, New York/Los Angeles

Wer wissen will, in welch güldenem Licht sich Juul selbst sieht, auch jetzt noch, da Menschen gestorben sind, der muss nur einen Blick auf die Webseite des Herstellers von Elektro-Zigaretten werfen. "Wir arbeiten an einer Zukunft, in der weniger Menschen Zigaretten rauchen", heißt es dort im Stile einer Hilfsorganisation, ja, man wolle Betroffenen die Chance geben, "den Konsum zu reduzieren oder sogar ganz aufzuhören." Ein Nikotinverkäufer als Vorkämpfer für weniger Nikotinkonsum also - das ist wahrlich ein Balanceakt. In dieser Woche nun brach das Luftschloss in sich zusammen.

Juul galt lange Zeit als eines jener kalifornischen Wunder-Startups, die in kürzester Zeit an allen Gesetzen vorbei von der Garagen-Klitsche zum Imperium aufsteigen und sich dabei noch für Weltenretter halten. Der Umsatz liegt nach nur vier Jahren bei zwei Milliarden Dollar, die Zahl der Angestellten hat sich seit Herbst 2017 auf 3900 versiebzehnfacht, der Anteil am US-Markt für E-Zigaretten beträgt rund 50 Prozent. Der Wert der Firma wurde zuletzt auf fast 40 Milliarden Dollar taxiert. Obwohl im letzten Jahr der Tabakriese Altria, Hersteller der Marlboro-Zigarette, 35 Prozent der Kapitalanteile übernahm, blieb Juul bei der Botschaft, E-Zigaretten seien "weniger schädlich als herkömmliche". Wer weiß, vielleicht wäre die Strategie aufgegangen und die Firma einfach immer weitergewachsen, wäre nicht die Sache mit den Toten dazwischengekommen. Seit Wochen sind die US-Gesundheitsämter in Alarmbereitschaft, denn landesweit werden immer mehr sogenannte Vaper mit starkem Husten, einem Engegefühl in der Brust, Kurzatmigkeit und anderen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert. Mehr als 800 Menschen kämpfen derzeit mit schweren Lungenentzündungen, zwölf sind gar gestorben. Bisher lässt sich kein Fall direkt einer Juul-Zigarette zuordnen, und noch weiß niemand, was genau die Beschwerden auslöst. Entsprechend ratlos sind die Behörden: "Wir haben so etwas noch nicht erlebt", sagt Charity Dean, die Gesundheitsbeauftragte Kaliforniens.

Die Krankenzahlen sind so dramatisch, dass die Politik ruckartig aus ihrem jahrelangen Tiefschlaf erwacht ist - bis hinauf zu Donald Trump. Der US-Präsident hat angekündigt, Zigarettenpatronen mit Flüssignikotin bis auf einige Ausnahmen vom Markt zu nehmen. Die Bundesstaaten Michigan, New York und Massachusetts sowie die Stadt San Francisco haben bereits den Verkauf vieler Produkte untersagt. Und die Aufsichtsbehörde FDA droht gar mit einem Totalverbot von E-Zigaretten. Nach Jahren des stürmischen Wachstums steht damit für Juul nicht weniger auf dem Spiel als die Existenz. Die Lage ist so dramatisch, dass diese Woche Firmenchef Kevin Burns durch K.C. Crosthwaite ersetzt wurde, einen erfahrenen Altria-Manager.

Crosthwaite will offenbar mit einer Doppelstrategie versuchen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. So wird das Unternehmen einerseits vorläufig auf Werbung und aggressive Lobbybemühungen in Washington verzichten. Gleichzeitig will der neue Firmenchef in Verhandlungen mit der FDA ein Regelwerk erarbeiten, das den Verkauf von E-Zigaretten zwar künftig deutlich beschränkt, das verbleibende Geschäft dafür aber erstmals auf eine solide rechtliche Grundlage stellt.

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Ob Juul so aus den Schlagzeilen kommt, ist dennoch fraglich, denn die eigentlichen Probleme reichen viel tiefer. Das Unternehmen inszeniert sich als Alternative zu den Tabakkonzernen alter Schule, und tatsächlich sagen namhafte Experten, dass viele langjährige Nikotinkonsumenten ihr Sterberisiko senken könnten, wenn sie von herkömmlichen auf E-Zigaretten umstiegen. Vaping als Ausstiegsdroge, so sieht es Juul.

Die Realität ist jedoch eine ganz andere, denn vor allem für Jugendliche ist Vaping keine Ausstiegs-, sondern eine Einstiegsdroge. Während an Highschools nur noch sechs Prozent aller Schüler herkömmliche Glimmstängel rauchen, greift jeder dritte zur E-Zigarette. Es gibt kaum eine Schultoilette im Land, in der nicht dauernd gedampft wird, vielerorts hat "juuling" den altmodischen Begriff des Rauchens längst abgelöst. Juul hat die Begeisterung massiv befördert - mit knalliger Werbung, coolen Social-Media-Auftritten und einem futuristischen Design seines Verdampfers, der mit seinem Alu-Gehäuse und den Nikotinpatronen in Form eines Memory Sticks das Lebensgefühl junger Menschen trifft. Zeitweise bot man gar "Aufklärungsstunden" in Schulen an, die viele Kinder eher als Werbeveranstaltungen empfanden.

Der entscheidende Begriff ist jedoch ein anderer: "flavored" - aromatisiert. Anders als in echten Zigaretten wird beim Vaping kein Tabak verbrannt, sondern eine Flüssigkeit erhitzt, verdampft und dann inhaliert. Diese Flüssigkeit enthält Nikotin, viele andere Chemikalien - und Geschmacksstoffe. Letztere sorgen dafür, dass E-Zigaretten statt nach Tabak nach allem möglichen schmecken - nach Kirsche, Vanille, Crème brulée gar. In einigen US-Bundesstaaten - und im Internet - werden zudem Kapseln mit dem Marihuana-Wirkstoff THC verkauft. Sie enthalten oft Aromen von Mango, Ananas oder anderen tropischen Früchten, die mit einem lässigen Tag am Strand assoziiert werden. Das erinnert an jene "Alkopops", die einst bei Jugendlichen beliebt waren, weil sie Alkohol enthielten und dennoch süß schmeckten.

Bei E-Zigaretten kommen jedoch noch zwei Probleme hinzu: der im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten höhere Nikotingehalt und der unregulierte Markt. Viele der Jugendlichen, die über Instagram und Facebook ihre Nikotin-Patronen bestellen, haben keinen blassen Schimmer, wer die Flüssigkeiten zusammengemixt hat und welche Stoffe sie enthalten. Deshalb nutzt es auch wenig, dass Juul jetzt die Verkäufe aller Geschmacksrichtungen mit Ausnahme von Mint, Menthol und Tabak in vorauseilendem Gehorsam gestoppt hat. Die Kinder weichen einfach auf andere Hersteller aus, die Juul-kompatible Kapseln bieten. Von "menschlichen Versuchskaninchen des Juul-Experiments" spricht die Elterninitiative PAVE.

Angesichts der Vorgeschichte klingt es ein wenig bizarr, dass es ausgerechnet die Juul-Spitze ist, die jetzt am lautesten über fehlende Spielregeln klagt. Die Krankheitsfälle in den USA, so sagt ein Firmensprecher, hingen "nicht ursächlich mit legalen E-Zigaretten-Produkten zusammen, sondern mit dem Konsum illegaler Produkte und Eigenmischungen". Das zeige sich schon daran, dass in der EU, wo es strikte Marktregeln gebe, bisher keine vergleichbaren Fälle aufgetreten seien. Juul unterstütze die US-Behörden deshalb beim Aufbau eines "regulatorischen Rahmens". Zudem richte man sich beim Marketing mittlerweile nur noch an Raucher über 30.

Wie nervös die Firmenoberen dennoch sind, deutete sich schon letzten Herbst an, als sie den PR-Experten Josh Raffel einstellten. Raffel, in den USA so eine Art Guru der Krisenkommunikation, wechselte direkt vom vielleicht größten Brandherd des Landes zu Juul: dem Weißen Haus.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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