Süddeutsche Zeitung

E-Scooter:Anrollen

Kleine Elektro-Flitzer sollen die Mobilität revolutionieren, auch in Deutschland dürfen sie jetzt fahren. Aber ist das auch gut für die Städte? Die Erfahrungen aus Paris verheißen nichts Gutes.

Von Christina Kunkel und Helmut Martin-Jung, München/Berlin

Einen Fuß auf das Brett, mit dem anderen kurz anschieben und dann mit dem rechten Daumen einen kleinen Hebel am Lenker drücken - schon übernimmt der Elektromotor den Antrieb, nach wenigen Metern saust der E-Tretroller so schnell dahin wie ein Fahrrad. Die Hütchen in der Halle zu umkurven, ist kein großes Problem. Aber ist das, was hier auf der Start-up-Konferenz "Noah" in Berlin gezeigt wird, wirklich die sinnvolle Mobilität der Zukunft? Wird es die Städte lebenswerter machen, wenn Menschen statt sich in ihr Auto zu setzen oder ein Taxi zu rufen, Strecken von ein, zwei Kilometern mit Elektro-Rollern zurücklegen? In wenigen Tagen werden sie draußen auf der Straße fahren dürfen. Und bald danach wird sich herausstellen, ob diese Gefährte Fluch oder Segen sind.

In Frankreich, dort fahren die Rollbretter schon, hat Verkehrsministerin Élisabeth Borne bereits ein hartes Urteil gefällt. Sie spricht vom "Gesetz des Dschungels", wenn sie nach den Auswirkungen auf den Verkehr durch E-Tretroller gefragt wird. 15 000 Scooter haben verschiedene Verleihfirmen alleine in Paris platziert, bis Ende des Jahres könnte die Zahl auf 40 000 wachsen. Die Folgen: Die Scooter liegen überall herum, es kommt vermehrt zu Unfällen und Vandalismus. Vergangene Woche starb ein E-Scooter-Fahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Lastwagen.

Auf Frankreichs Gehwegen ist das Fahren mittlerweile verboten, eine "Charta für gutes Fahren" soll die Verleiher dazu zwingen, das Chaos auf den Straßen von Paris zu beseitigen. Sollte dieses Vorhaben scheitern, droht der Beauftragte für Städtebau, Jean-Louis Missika, E-Scooter erst einmal wieder zu verbieten. Zahlreiche Unternehmen rund um den Globus sind dennoch überzeugt: Hier liegt ein großer Markt. Und nicht nur sie. Risikokapitalgeber pumpen Milliarden in die Mobilitäts-Start-ups. Allein die zwei Anbieter Bird und Lime haben zusammen eine Milliarde Dollar an Kapital eingesammelt.

"Die Städte wollen keine Roller, die nach vier Wochen kaputt sind."

Seit vergangenem Samstag sind die Flitzer auch in Deutschland formell erlaubt. Bevor es losgehen kann, müssen die Hersteller beim Kraftfahrt-Bundesamt allerdings noch eine allgemeine Betriebserlaubnis einholen, was meist zwei Wochen dauert. Außerdem brauchen die kleinen Fahrzeuge Versicherungsplaketten.

Letzte kleine Formalitäten vor einem harten Kampf. Wayne Ting, verantwortlich für das Tagesgeschäft beim Scooter-Start-up Lime, kam von Uber. Er sagt: "Bei Uber war es schwierig, aber hier ist es noch viel schwieriger." Lime müsse viele Mitarbeiter beschäftigen und sie ständig motivieren, die Roller in den Städten einzusammeln, aufzuladen und zu reparieren. In sozialen Netzwerken sucht die Firma schon seit Wochen nach "Lime Juicern", die diese Aufgaben erledigen.

"Man muss liefern", heißt es auch beim schwedischen Hersteller Voi, im Sinne von: Es ist viel zu tun. Mit 1,2 Millionen angemeldeten Nutzern ist das derzeit der größte Anbieter in Europa. Bald schon wollen die Schweden in 150 europäischen Städten aktiv sein, Deutschland gilt dabei als der wichtigste Markt: Allein hierzulande sollen die Scooter in über 30 Städte kommen. Wie die Konkurrenten von Lime entwickelt auch Voi seine Fahrzeuge selbst.

Aber ist in Kommunen abseits von einigen fahrradfreundlichen Metropolen wie Amsterdam oder Kopenhagen überhaupt Platz für die Flitzer? Wird es nicht zu eng, wenn auch noch die Roller dazukommen? "Am Ende", sagt Christian Gessner, "muss man den harten Preis 'Raum' zahlen." Gessner ist Deutschlandchef des E-Scooter-Anbieters Bird. Den Autos müsse in den Städten Platz weggenommen werden, fordert er. Das aber werde so schnell nicht gehen: "Es ist ein Marathon." Ein Marathon allerdings, für den die Unternehmen losrennen wie zu einem 100-Meter-Sprint. "Wer am schnellsten lernt, gewinnt", sagt Lime-Mann Ting. Weil sein Unternehmen die Roller selber entwickle, können man sehr schnell auf die Probleme eingehen, die Nutzer damit hätten. Sicherheit und Haltbarkeit stünden dabei im Vordergrund. Das ist auch für die Städte ein wichtiger Aspekt.

Viele Verwaltungsbeamte und Stadträte fürchten, dass es mit den Rollern ähnlich laufen könnte wie mit den Leihfahrrädern des chinesischen Anbieters Obike. Dessen Räder wurden etwa in München im vergangenen Jahr verteilt - aber sie funktionierten schlecht und wurden zu Sperrmüll.

Der öffentliche Raum wird seitdem strenger gehandhabt. In München sollen sich die Firmen zum Beispiel verpflichten, innerhalb des Mittleren Rings maximal 1100 Fahrzeuge pro Firma aufzustellen - und nicht mehr als drei im Umkreis von 100 Metern. Lawrence Leuschner, Mitgründer und Chef des E-Scooter-Anbieters Tier, hofft trotzdem auf den Erfolg seiner Firma. "Der Kuchen ist groß genug für mehrere Anbieter." Leuschner sagt, es gehe ihm auch um den Kampf gegen den Klimawandel. Bei Tier habe man die Lieferkette in der Hand, das Laden erledigten feste Mitarbeiter, keine Hilfskräfte, die die Roller zu sich nach Hause nehmen und aufladen wie bei Konkurrenten. Die eigenen Roller würden durch besseren Service auch länger halten: "Die Städte wollen keine Roller, die nach vier Wochen kaputt sind."

Doch werden das die entscheidenden Kriterien sein? Schon oft haben sich bei Technologieprodukten nicht die besten, sondern die mächtigsten durchgesetzt. Oder werden Partnerschaften mit Nahverkehrs-Anbietern den Ausschlag geben, wie es Tier in Berlin glaubt? Dann wird sich auch zeigen, ob die Roller wirklich dabei helfen, Autoverkehr einzusparen. Auch da lohnt der Blick nach Frankreich: Fast die Hälfte der Scooter-Nutzer sind Touristen, wie eine Studie zeigt. Meist werden damit Strecken zurückgelegt, die man sonst gelaufen wäre. Nur acht Prozent der Befragten gaben an, den Tretroller anstatt eines Autos genutzt zu haben. Die durchschnittliche Fahrtdauer lag bei 19 Minuten, was einen Preis von 3,85 Euro bedeutet - rund doppelt so viel, wie ein Metroticket kostet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4488400
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.