E-Mobilität:Rad als Kleinlaster

E-Mobilität: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Onomotion will mit seinem emissionsfreien Transporter in den europäischen Markt - das Kapital dazu hat das Start-up.

Von Steffen Uhlmann

Berlin fährt Rad, in Corona-Zeiten sowieso. Und die Leute, längst nicht nur in Berlin, kaufen mehr und mehr online ein. Das macht den Laden-Betreibern das Überleben schwer und treibt den Transport-Dienstleistern und Paketzustellern den Schweiß aus allen Poren. Schließlich müssen die Zusteller im Corona-Jahr 2020 deutschlandweit ungefähr vier Millionen Pakete transportieren. Vor nicht mal drei Jahren waren es noch rund eine Million Pakete weniger. Beres Seelbach, 36, schnalzt da mit der Zunge. Der Betriebswirtschaftler hat noch ganz andere Zahlen parat, wenn er über das für ihn so wichtige Marktsegment Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) doziert. Allein der europäische KEP-Markt habe schon vor zwei Jahren ein Volumen von 58 Milliarden Euro gehabt, rechnet er hoch. "Und er wächst jährlich um mindestens acht Prozent - das ist doch ein Markt, was."

Ein Mobilitätsmarkt, der kräftig in Bewegung geraten ist. Vor allem, weil der Transportverkehr gerade in den Innenstädten dringend neue Lösungen braucht - umweltgerechtere, kostengünstigere, intelligentere und welche, die einfach trendiger sind. Und das ist Seelbachs Thema. Doch während andere Transportpioniere abheben und nun Pakete mittels Drohne per Luftfracht zum Empfänger bringen wollen, sind Seelbach und seine Kompagnons mit ihren Transportideen ganz bodenständig geblieben. Sie setzen auf das gute alte Tretrad, was zunächst einmal nicht besonders kreativ erscheint. Schließlich ist der Velo-Bestand in Berlin inzwischen schon dreimal so hoch wie die hauptstädtische PKW-Flotte. Und so mancher der Fahrradbauer ist schon längst auch auf den pedalgetriebenen Lastesel gekommen. Nur habe ihr Ono Pat (Pedal Assisted Transporter) so gar nichts mehr mit den bislang üblichen Transport-Tretern zu tun, versichert Seelbachs Mitstreiter Philipp Kahle, 37. "Unser als E-Bike klassifizierter elektrische Transporter verbindet die Flexibilität eines Lastenfahrrads mit der Belastbarkeit eines Kleinlasters."

Was da so sperrig daherkommt hat drei Räder und einen abnehmbaren Frachtcontainer am Heck, der über einen reichlich zwei Kubikmeter großen Laderaum verfügt. Angetrieben werden muss das futuristische wie schnittige Ungetüm per Muskelkraft mit Pedalen, die mit einem starken Elektromotor verbunden sind. Der dazugehörige Akku verschaffe dem Transporter eine Reichweite von mindestens 60 Kilometern. Was das Fahrzeug dabei so flexibel einsetzbar macht, ist nicht zuletzt seine Zulassung als Lastenrad. "Der Fahrer", so Kahle, benötige keinen Führerschein, könne die Fahrradwege nutzen und sogar mit dem Ono Pat direkt bis vor die Haustür fahren. Was wohl die Wut über in zweiter Reihe parkende Transporter dämpfen könnte, dafür Ärger unter den Fahrradweg- und Trottoir-Nutzern provozieren dürfte.

Seelbach und Kahle betonen erst einmal die Vorteile ihres Transporters. Leise, emissionsfrei und effizient sei ihr Ono Pat, das dem wachsenden Bedürfnis nach sauberen innerstädtischen Transport Rechnung trage, sagt Seelbach, der während seines einjährigen Studienaufenthalts in China fast täglich auf dieses Transportproblem gestoßen ist. Was ihn überraschte, waren die unzähligen E-Motorroller und -Mopeds auf den innerstädtischen Straßen der chinesischen Innenstädte. "Die Chinesen sind uns in Sachen E-Mobilität um Jahre voraus", sagt Seelbach.

Nach seiner Rückkehr aus China beschäftigte er sich mit diesem Thema unternehmerisch. Bald mit dabei der Fahrzeugtechniker Kahle und Murat Günak, der als Designer für große Autobauer wie Daimler, Volkswagen oder Peugeot diverse Karossen entworfen hatte und mehr und mehr die Lust verspürte, auf seinem Fachgebiet einmal etwas "grundlegend Neues" zu kreieren. Heraus kam das Ono Pat, für deren Bau und Markteinstieg das Trio in Berlin ihr Unternehmen Onomotion gründeten. Das Gründungskapital für ihr Start-up hatten sie selbst, das Geld für den eigentlichen Firmenaufbau, für Entwicklung und Marketing in Höhe von bislang zwei Millionen Euro wurde in zähen Finanzierungsrunden eingeworben, in deren Verlauf weitere Investoren bei Onomotion einstiegen. Die haben, wie Seelbach betont, ihren Einstieg noch nicht bereut.

Warum auch, haben doch zwei Prototypen ihres Lastenmulis einen ausgiebigen Test im Sommer vergangenen Jahres erfolgreich bestanden. Der Logistiker Hermes und dessen Tochter Liefery hatten die beiden E-Transporter ohne große Störungen im Dauereinsatz gehabt. Ein reichliches Jahr später nun ist gerade die Serienfertigung angelaufen. Montiert wird der Pedal-Transporter dabei von einem mittelständischen Automobilzulieferer in Süddeutschland. Viel mehr dazu will Seelbach aus "Wettbewerbsgründen" nicht verraten. Nur: "Wenn alles wie geplant klappt, werden noch in diesem Jahr bis zu 70 Ono Pats auf die Straße bringen. Im nächsten Jahr werden es dann schon einige Hundert sein", ist Seelbach überzeugt. Schließlich hätten jetzt schon allein in Berlin sieben Logistiker mehr als 60 Bikes bestellt. Und ab 2021 werde man auch Kunden in Leipzig und München bedienen.

Der Zeitpunkt ihres Markteinstiegs passt. Nicht nur weil die Pandemie den Online-Handel antreibt und das Fahrrad weiter einen Boom erlebt. Umweltzonen, Halteverbote, die Einführung von immer besser geschützten Radwegen und der alltägliche Verkehrskollaps in den Innenstädten machen den Lieferdiensten mit ihren herkömmlichen Transportern (derzeit 120 000 bundesweit) das Leben schwierig. "Immer mehr Städte in ganz Europa experimentieren mit neuen Verkehrslösungen und wollen dabei den städtischen Raum neu aufteilen", sagt Seelbach. "Wir liefern eine smarte Lösung dafür. Schließlich will allein Hermes bis 2025 die Pakete in 80 großen Innenstädten emissionsfrei ausliefern."

So haben die Gründer, deren junges Unternehmen mehr als 30 Mitarbeiter hat, nun bereits ganz andere Entwicklungszahlen in ihren Computern. Ab 2022 soll die europaweite Auslieferung ihrer Ono Pats beginnen, in drei Jahren will man dann bis zu 15 000 E-Fahrzeuge in mindestens 60 europäischen Städten haben. Die Öko-Transporter (Kostenpunkt bis zu 18 000 Euro) sollen nicht verkauft, sondern ausschließlich verleast werden - für knapp 600 Euro monatlich. Dafür soll es aber auch einen Rundum-Service für Wartung und Versicherung geben.

Derzeit sind die Onomotion-Leute dabei, die ersten Stationen ihres künftigen Service-Netzes zu konzipieren und aufzubauen. Für ihre ehrgeizigen Expansionspläne brauchen sie natürlich neues Kapital. Gerade hat Onomotion in einer neuen Finanzierungsrunde drei Millionen Euro vom Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT InnoEnergy) eingesammelt. Der Einstieg der niederländischen Beteiligungsgesellschaft, die sich auf Start-ups im Bereich nachhaltige Energie spezialisiert hat, kommt für Seelbach zur rechten Zeit. "Wir können jetzt in den nächsten zwei, drei Jahren wie geplant wachsen", sagt er. "Das Geld dafür ist nun da."

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