Süddeutsche Zeitung

E-Fuels:Champagner im Tank

Benzin aus Strom soll das Klima schonen - und gleichzeitig das Aus für den Verbrennungsmotor hinausschieben. Doch der "Designer-Sprit" ist teuer und umstritten.

Von Joachim Becker

Chaostage in der deutschen Autoindustrie. Wieder einmal ist der Streit um den Antrieb der Zukunft eskaliert. Volkswagen will das Batterieauto als Leittechnologie durchsetzen: Kein Gasmotor, keine Brennstoffzelle - vor allem der Strom aus dem Akku soll den Pkw antreiben. Etwa 35 Milliarden Euro investiert allein der Mehrmarken-Konzern in den nächsten fünf Jahren in die E-Mobilität. Dass Otto- und Dieselmotoren künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, geht vielen Zulieferern im Verband der Automobilindustrie(VDA) zu weit. Schließlich verdienen sie ihr Geld hauptsächlich im Maschinenbau und versorgen allein in Deutschland elf Motorenfabriken mit den nötigen Komponenten. "Bei der Beschäftigung kann ein so fundamentaler Veränderungsprozess wie der zur Elektromobilität nicht von heute auf morgen gelingen", mahnt Volkmar Denner, Chef des Bosch-Konzerns, der weltweit führend in der Dieseltechnologie ist.

"Wir sind bereit", lautet die plakative Parole, mit der sich der VDA nun zu den Pariser Klimazielen bekennt: "Der schnelle Hochlauf der Elektromobilität hat für uns bis 2030 klare Priorität." Dahinter steckt jedoch eine Doppelstrategie: Die Wachstumschancen der Elektromobilität nutzen, ohne die alte Verbrenner-Welt abzukoppeln. "Der Weg zur emissionsfreien Mobilität muss technologieoffen sein. Nur so bleibt Mobilität auch für die breite Bevölkerung bezahlbar", meint Volkmar Denner. Eine Schlüsselrolle sollen sogenannte E-Fuels spielen: "Synthetische Kraftstoffe, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, können den Verbrenner CO₂-neutral machen", so der Bosch-Chef. Der Motor stößt dann nur die Klimagase aus, die bei der Kraftstoffproduktion vorher eingesammelt wurden (zum Beispiel CO₂ aus Biogasanlagen).

Anders als die (Bio-)Treibstoffe vom Acker lässt sich synthetischer Otto-Kraftstoff oder Diesel so maßschneidern, dass er in jeder beliebigen Zumischung in jeden Tank passt - auch als Kerosin. "Drop in" nennen das Experten: Tröpfchen für Tröpfchen Nachhaltigkeit für alles, was fährt, schwimmt und fliegt. Das ist ein großer Vorteil gegenüber grünem Wasserstoff, denn 2030 werden zweit Drittel der Fahrzeuge noch konventionell angetrieben sein. Weil E-Fuels weder Veränderungen an den Fahrzeugen noch an den Tankstellen erfordern, kann auch die Bestandsflotte einen Beitrag zur CO₂-Reduzierung leisten. Und weil das alles so schön einfach erscheint, folgert beispielsweise die Unternehmensberatung Stahl Automotive Consulting (SAC), dass die E-Fuels die effizienteste Variante seien, um CO₂ einzusparen. "Die Elektromobilität als Königsweg zur CO₂-Reduktion - dieser Schluss ist falsch." Je mehr Strom für den Betrieb einer wachsenden Flotte von Elektroautos benötigt werde, desto länger verzögere sich der Ausstieg aus der Kohleverstromung, so die zugespitzte These.

Bei der Energiebilanz ist jeder Elektroantrieb klar im Vorteil

Auch die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik kritisiert, dass die "einseitige Fokussierung auf Pkw mit Batterieantrieb die CO₂-Ziele gefährdet". In einer Studie empfiehlt der Verein deutscher Ingenieure zum Beispiel, die Batteriezellenfertigung schnell von China nach Europa zu verlagern. Die kürzeren Transportwege und der weniger kohlelastige Strommix als in China hätte einen deutlich positiven Einfluss auf den Ausstoß von Klimagasen. Tatsächlich stellen die deutschen Automobilhersteller ihre Batteriezell-Lieferketten auf Grünstrom um, damit sie wirklich nachhaltige Elektroautos anbieten können. Doch die VDA-Forderung nach einem "technologieoffenen und innovationsförderlichen Umfeld" geht weit darüber hinaus. Im Kern geht es um die Verteilung der Fördermilliarden unter den verschiedenen Antriebsalternativen. Im Klartext: Produktionsanlagen für E-Fuels sollen beispielsweise billigen Strom ohne die Umlage für erneuerbare Energien beziehen.

Bisher wird der klimafreundliche Wundersprit nur in kleinen Pilotanlagen hergestellt. Warum? Ganz einfach, weil sich die Produktion nicht rechnet. Dafür ist fossiles Öl viel zu billig, und die Abgaben pro erzeugter Tonne CO₂ sind noch viel zu gering, um eine Lenkungswirkung im Verkehrssektor zu erzielen. Ob der "Champagner unter den Treibstoffen" am Ende weniger als einen Euro pro Liter (vor Steuern) kostet, hängt nicht nur von den Strompreisen, sondern auch von den großindustriellen Prozessen ab. "Durch die hohen Energieverluste bei der Herstellung strombasierter Kraftstoffe werden die Kosten deutlich über denen des fossilen Pendants liegen", prognostiziert etwa die Nationale Plattform Mobilität. Die Expertengruppe, die die Bundesregierung berät, sieht die Kosten von E-Fuels "in der Größenordnung von ein bis zwei Euro pro Liter ohne Steuern". Zum Vergleich: Die Weltmarktpreise von konventionellem Benzin und Diesel liegen bei deutlich unter 50 Cent pro Liter vor Steuern.

Wie beim grünen Wasserstoff sind auch hier alle Studien noch weitgehend graue Theorie. Klar ist nur, dass E-Fuels in mehreren Umwandlungsschritten aus Wasserstoff und CO₂ entstehen. Und genau hier liegt der Flaschenhals: In Europa sind absehbar keine Kapazitäten an grünem Wasserstoff aus Elektrolyse für die Spritproduktion übrig. "Die EU-Wasserstoffstrategie, bis zu zehn Megatonnen nachhaltig erzeugten Wasserstoff bis 2030 zu produzieren, genügt gerade, um den Wasserstoff aus fossilen Quellen zu ersetzen", erklärt der Expertenrat des European Academies' Science Advisory Council (EASAC). Während die Batteriezellen am besten mit Grünstrom nah an den Autofabriken produziert werden, ist es bei synthetischen Kraftstoffen gerade umgekehrt. Saudi-Arabien will in sonnenreichen Wüstengebieten etwa Sonnenkraftwerke für E-Fuels betreiben, auch Windkraftanlagen im Süden Chiles oder in anderen Weltregionen könnten erneuerbare Energien günstig herstellen. Es wird allerdings Milliarden kosten, um eine entsprechende Erzeugungsinfrastruktur aufzubauen.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Kommt der Wundersprit, bevor Verbrenner verboten werden?

Die Wünsch-dir-was-Strategie des VDA ist also ein geschickter Schachzug. Mit E-Fuels bliebe die Motorenproduktion am Laufen, während der Energiesektor das wirtschaftliche Risiko für neue Kraftstoffsorten und deren Produktionsanlagen tragen müsste. Weil das derzeit kein Geschäftsmodell ist, müsste die Zeche - in Form von Fördermilliarden und Kreditbürgschaften - die Allgemeinheit zahlen. Aber welche Gesellschaft ist dauerhaft bereit und in der Lage, drei weitgehend neue Infrastrukturen für nachhaltigen Ladestrom, Wasserstoff und E-Fuels gleichzeitig zu finanzieren? Zumal noch gar nicht ausgemacht ist, welche Energiekette das Rennen macht? Denn der größte Schönheitsfehler des Designer-Sprits ist seine Energiebilanz: Von einer Kilowattstunde eingesetzter Energie bleiben bei E-Fuels am Ende höchstens 15 Prozent nutzbarer Energie am Rad übrig. Das liegt zum Teil am schlechten Wirkungsgrad des Verbrenners, der E-Fuels (wie jedes andere Gesöff) vornehmlich in Abwärme verwandelt. Außerdem müssen E-Fuels aus ihrem Vorprodukt Wasserstoff noch einmal energieintensiv umgewandelt werden, anstatt das Gas in Brennstoffzellen direkt zu nutzen.

Unerreicht bleibt der Gesamtwirkungsgrad (Well-to-Wheel) von Batterieautos. Mit etwa 70 Prozent sind sie viel bessere Futterverwerter als der Brennstoffzellenantrieb und etwa fünfmal so gut wie ein Verbrenner, der mit E-Fuel betankt wird. Das ist ein wesentlicher Grund, warum nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die Bundesregierung bei Pkws vor allem auf reine Stromer setzt. Thema durch? Nicht ganz, denn die hohe Energiedichte von Flüssigkraftstoffen bleibt weiterhin ein wesentlicher Vorteil für die Luftfahrt - und für das gesamte Energiesystem. Warum, das zeigt ein Blick auf das Wetter: Nach einem stürmischen Februar herrschte im Sommer dieses Jahres ziemliche Flaute. Im September produzierten Windräder weniger als 70 Prozent der erwarteten Leistung, während sie im Oktober mit 129 Prozent wieder deutlich über Plan lagen. Die Photovoltaik blieb zwar ganzjährig genau im Zielkorridor. Doch die Wetterextreme wirken immer kritischer, je mehr Windenergie eingespeist wird.

Weil sie zeitweise nicht wissen, wohin mit dem grünen Strom, sprechen Experten bereits von einer Energiespeicherungskrise. Die sich weiter verschärfen wird: Bis 2050 sollen rund um Nord- und Ostsee Offshore-Windparks mit einer installierten Leistung von 300 Gigawatt (GW) ans Netz gehen. Derzeit sind es - ohne Großbritannien und Norwegen - lediglich zwölf GW. Die EU-Kommission will den Offshore-Anteil also um den Faktor 25 erhöhen. Aus dem Mangel an alternativen Energien wird ein (temporäres) Überangebot. Je mehr Windparks ans Netz gehen, desto mehr setzen ihre Betreiber auf langfristige Stromlieferverträge mit industriellen Abnehmern. Wer große Mengen an Energie schnell verarbeiten kann, dürfte zu den Gewinnern zählen. Und hier kommen womöglich wieder die E-Fuels ins Spiel. Sie lassen sich einfacher und kostengünstiger speichern als gasförmiger oder tiefkalter Wasserstoff. Deshalb werden sie ihre Chance vor allem in der Luft- und Schifffahrt bekommen.

Planung und Bau von großindustriellen Anlagen dauern allerdings viele Jahre, da denken Experten eher in Dekaden. Bis der Champagner unter den Treibstoffen dann in ausreichendem Maße für den energie-hungrigen Straßenverkehr zur Verfügung steht, könnte es zu spät sein. In den Niederlanden und Großbritannien sollen bereits 2030 keine Neuwagen ausschließlich mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden, viele EU-Länder sowie Kalifornien und Kanada wollen ab 2035 nachziehen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: "Wenn wir jetzt nicht beginnen, werden wir auch in zehn Jahren keine nennenswerten Mengen an E-Fuels haben", beklagt deshalb Volkmar Denner. Ohne den Wundersprit dürfte der gute alte Explosionsmotor absehbar ausgedient haben.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2020
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