E-Books im Aufschwung:Geist in der Maschine

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Noch liest die Mehrheit der Deutschen gedruckte Bücher, doch E-Books legen rasant zu. Ein Gewinner dieser Revolution steht schon fest: Amazon. Doch auch der kleine Buchhändler an der Ecke rüstet auf.

Jannis Brühl

Als neuer Nachbar sollte man bescheiden auftreten. Es sei denn, man heißt Jeff Bezos und ist der Chef von Amazon. Dann lässt man erst einmal die Straße nach sich benennen.

Auch er kommt im Amazon-Päckchen: das Lesegerät Kindle. (Foto: AFP)

Graben, ein kleiner Ort bei Augsburg. An der Amazonstraße im Gewerbegebiet liegt das riesige Amazon-Logistikzentrum. Hier im bayerischen Schwaben zettelt der amerikanische Konzern eine Revolution auf dem Buchmarkt an. Dutzende Mitarbeiter holen sie aus dem Lager und schubsen sie dann aufs Fließband. Päckchen an Päckchen an Päckchen schießt sie das Fließband hinab, Hunderte pro Minute. Draußen warten schon die DHL-Transporter, um die Revolution unter das Volk zu bringen.

Amazon verändert nicht nur Straßennamen der Dörfer, in denen der Konzern investiert - sondern den Konsum ganzer Länder. Erst nahmen Ketten die kleinen Buchläden in die Mangel, dann machte das bequeme Zuhause-Bestellen von Amazon wiederum den Ketten das Leben schwer. Die sitzen nun auf ihren Riesenfilialen, die Tausende Quadratmeter zu groß sind.

Nach dem Online-Versandhandel plant Amazon nun auf die nächste Revolution des Buchmarkts. Dazu braucht der Konzern nicht einmal mehr Päckchen, sie wird unsichtbar: E-Books, zum Herunterladen per Mausklick. Für sie muss der Konzern kein Logistikzentrum mehr bauen, sondern nur ein paar Server aufstellen. Selbst das Porto entfällt.

Kleine wie große Buchhändler ziehen auf diesem neuen Wettbewerbsfeld nach. Das lohnt sich zunehmend, zeigen die neuen Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die der Branchenverband an diesem Montag präsentierte. Demnach fangen die Läden durch E-Books und einen eigenen Online-Versand einen Teil der Verluste im Ladengeschäft auf. Insgesamt machte die Branche 1,4 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahr. Der Internet-Versand dagegen wuchs und setzte noch einmal fünf Prozent mehr um, nach zweistelligen Wachstumsraten in den Jahren zuvor.

Enorme Wachstumsraten zeigt dagegen das Geschäft mit E-Books. Fast fünf Millionen Elektro-Exemplare wurden 2011 verkauft - doppelt so viele wie 2010. Der Umsatz mit E-Büchern macht zwar immer noch nur ein Prozent des Buchmarktes aus. Die Buchhändler aber sind gefordert, den Wachstumsmarkt nicht schon wieder an Amazon oder andere Giganten wie Apple zu verlieren. "Verlage und Buchhandlungen fragen sich deshalb nicht mehr ob, sondern wann sie ins E-Book investieren", sagt Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Auch wenn sich das E-Book-Geschäft derzeit für die wenigsten Marktteilnehmer rentiere.

Ein Profiteur steht schon fest: Amazon. Der Konzern verkauft in den USA nach eigenen Angaben bereits mehr E-Books als Taschenbücher oder gebundene Ausgaben, im Verhältnis 105 zu 100. Zahlen für den deutschen Markt nennt das Unternehmen nicht.

Werden noch gekauft: Bücher aus Papier. (Foto: Catherina Hess)

Die Uni Hamburg hat im Januar eine repräsentative Umfrage zu E-Books erstellt ( PDF-Datei). Demnach haben 14 Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr mindestens ein E-Book gekauft. Ihre Leser sind der Studie zufolge in der Mehrzahl männlich, gutverdienend und technikaffin. Davon profitieren große US-Konzerne: 57 Prozent der E-Book-Käufer haben bei Amazon bestellt. Zweitgrößter Händler ist Apples Online-Shop iTunes, dann kommt lange nichts. Große deutsche Einzelhändler wie Thalia oder Weltbild folgen mit großem Abstand.

Doch das soll nicht so bleiben: Auch der Börsenverein setzt auf E-Books, investiert in einen eigenen Online-Shop namens libreka.de. Außerdem ermuntert der Verband auch kleine Buchläden dazu, eigene Online-Angebote anzubieten und stellt dafür sogenannte White-Label-Software zur Verfügung. Mit ihr können Geschäfte eine professionelle Lösung einfach in ihre eigene Webpräsenz einbinden. Die Hoffnung der Branche: Das Vertrauen der Kunden in den kleinen Laden, der das Buch als Kulturgut pflegt, soll ins digitale Zeitalter transplantiert werden. Das soll einen Teil der Verluste im Ladengeschäft auffangen.

Dass E-Books noch nicht so häufig gekauft werden wie gedruckte Bücher, hat Gründe. Viele Menschen wollen weiterhin Papier atmen, wenn sie lesen. Demnach können sich die Läden immerhin die Hoffnung machen, durch E-Books und einen eigenen Online-Versand einen Teil der Verluste im Ladengeschäft aufzufangen. Die Menschen lesen ungern auf einem Display, sie wollen Bücher ins Regal stellen können, ergab die Umfrage der Uni Hamburg. Elektronische Bücher werden "das Leseerlebnis bei gedruckten Büchern" nicht ersetzen können. "Haptische Aspekte" nennt das Tim Prostka, einer der Autoren der Studie.

Doch dieses Bild bröckelt. Zwar bestätigen die neuen Zahlen des Börsenvereins, dass für viele diese eher romantischen Argumente für das Buch wichtig sind. Allerdings werden die Traditionalisten von Jahr zu Jahr weniger: Zwei Drittel der Deutschen sehen mittlerweile einen Vorteil darin, dass elektronische Bücher umweltfreundlich sind, weil sie Papier sparen.

Ein häufiger Kritikpunkt an E-Books: Der Preis sei zu hoch. Aus Sicht des Kunden kostet das gekaufte Exemplar den Verlag praktisch keine Material- oder Vertriebskosten. Wegen des Kopierschutzes kann es weder kopiert noch verliehen werden - ein Nachteil für den Konsumenten. Und schon für das Lesegerät hat der Kunde viel Geld ausgegeben.

E-Books sind laut Uni Hamburg etwa zehn Prozent billiger als das entsprechende Taschenbuch. Bei Hardcovern liegt die Differenz bei etwa 20 Prozent. Der Analyse des Börsenvereins zufolge kostete ein E-Book 2011 im Schnitt 8,07 Euro.

Auch für elektronische Bücher gilt die Buchpreisbindung, der Börsenverein hat sie zum "verlagstypischen Produkt" erklärt. 18 Monate lang muss der vom Verlag festgelegte Preis stehen. Die Preisbindung hindert finanzstarke Konzerne wie Amazon daran, andere Buchhändler zu unterbieten und so vom Markt zu drängen, um sich noch mehr Marktanteile zu sichern.

Wird das am Markt funktionieren? Prostka, einer der Autoren der Hamburger Studie, hat seine Zweifel. Ihn erinnert die nicht gerade kundenfreundliche Politik mit hartem Kopierschutz und relativ hohen Preisen an die Reaktion der großen Musik-Label auf die Digitalisierung, die in den vergangenen Jahren deutlich an Umsatz verloren haben: "Ähnliche Fehler werden wieder gemacht."

Auch Schriftsteller machen sich Gedanken. Autorin Juli Zeh klagte erst vergangene Woche in der Zeit, E-Books seien zu teuer. So erziehe man die Leser zum Klauen. "Sie sind nicht bereit, für ein E-Book mehr als 20 Euro auszugeben, also machen sie Raubkopien." Die kriminelle Energie entstehe erst durch das Gefühl, abgezockt zu werden.

Amazon hat dafür schon eine Strategie parat. Die Lesegeräte werden zu dumpingähnlichen Preisen angeboten. Der Konzern drückt das Lesegerät Kindle und das Tablet Kindle Fire billig in den Markt, um Apples iPad und andere Geräte auszustechen - das Fire angeblich unter Produktionspreis. So will Amazon die Menschen an sich binden, um dann E-Books zu verkaufen.

Diese Subventionen kosten. Im ersten Quartal stieg der Umsatz von Amazon zwar deutlich, aber der Gewinn schrumpfte um ein Drittel. Das Unternehmen macht kein Geheimnis daraus, dass es demnächst auch mal Verlust machen könnte. Alles für die Expansion - das ist das Motto des Firmenchefs Bezos.

Schon macht sich der nächste große Spieler auf, den Buchmarkt anzugreifen. Microsoft kooperiert mit der US-Buchhandelskette Barnes & Noble. Obwohl die Kette unter der Branchenkrise leidet, hat sie es geschafft, ihr Lesegerät Nook neben dem Kindle und Apples iPad zu etablieren. Microsoft will den Nook als Sprungbrett für den Markt nutzen.

Amazon bleibt die treibende Kraft dieses Wandels, der Konzern ist das Symbol für die Krise der Buchbranche. Dabei werden aus Sicht des amerikanischen Unternehmens gedruckte Bücher schon wieder zweitrangig. Amazon macht jetzt schon deutlich mehr Umsatz mit dem Versand von Produkten, die nicht zur Sparte Medien gehören, die also keine Bücher, E-Books oder CDs und DVDs sind. Das wird sich noch verstärken, dieser Bereich wächst doppelt so stark. Im bayerischen Versandzentrum in Graben baut Amazon derzeit neue Regale. Hier sollen bald Kühlschränke gelagert werden.

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