E-Book-Wettbewerb im Buchhandel:Das Papier verliert sein Leuchten

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Papierlose Bücher sind die Zukunft (Foto: Bloomberg)

Schlechte Zahlen, nur nicht im Digitalen: Unter dem Druck einbrechender Umsätze und der Stärke von Amazon gewöhnt sich die deutsche Buchbranche langsam an den Gedanken, dass Worte auch auf Servern und Readern noch etwas wert sind. Es ist erst der Anfang der Revolution.

Von Jannis Brühl

Im Dunkeln leuchtet es und während des Essens muss es nicht mit den Füßen offen gehalten werden. Zwei unschlagbare Vorteile, findet Kathrin Passig, die reichen sollten, um sich für das E-Book zu entscheiden. In einem Essay für die Zeit im Mai reflektierte Passig, Bachmann-Preisträgerin und Elektro-Erklärerin der digitalen Boheme, über die Revolution ihres Leseverhaltens.

Dank ihres E-Readers - mit dem sie sucht, runterlädt, liest - habe sie 80 Bücher im Jahr geschafft statt zuvor 30. Ohne die Transplantation der Worte vom Papier auf digitale Lesegeräte würde sie praktisch gar keine Bücher mehr lesen. An E-Reader hatte die Autorin anfangs nicht geglaubt. Was Passig hinter sich hat, steht den Buchhändlern und -verlagen noch bevor. Es ist ein Kampf um ihre Zukunft.

Viel zu langsam hatte sich die Branche in Deutschland um den Markt für E-Books gekümmert. Während der digitale Gemischtwarenkonzern Amazon schon seit 2011 mehr E-Books als gedruckte Bücher verkauft, schien in Deutschland das Papier lange heilig. Im vergangenen Jahr hat sich das geändert, zeigt die Jahresbilanz des Börsenvereins des Buchhandels. Mit 2,4 Prozent kann in diesem Jahr zum ersten Mal von einem ernstzunehmenden Marktanteil der E-Books die Rede sein - 2011 waren es 0,8 Prozent. Der Verband der Versandbuchhändler meldete vor Kurzem bereits, dass die E-Book-Verkäufe seiner Mitglieder im vergangenen Jahr um 125 Prozent angestiegen seien.

Noch macht Amazons "Kindle" den Marktforschern der GFK zufolge ein Drittel des Marktes für Reader aus. Fast die Hälfte aller E-Books in Deutschland verkauft der US-Konzern.

Seit einigen Monaten versuchen die Händler immerhin, sich zu wehren. Ihre Abwehrwaffe: der "Tolino" von Thalia, Hugendubel, Weltbild und Bertelsmann. Mit dem Lesegerät wollen sie den Kindle aufhalten. Und im vergangenen Jahr war dann da noch der Softporno-Roman 50 Shades of Grey. Der erschien zuerst elektronisch und sanierte schließlich fast ganz allein Bertelsmann die Bilanz.

Vom gehypten Datensatz zum gedruckten Bestseller - das dürfte immer häufiger passieren. Autoren wie der Berliner Jonas Winner haben im Alleingang Horror-Reihen auf Amazon veröffentlicht, die so oft heruntergeladen wurden, dass sie Verträge für mehrere gedruckte Bücher abschließen konnten.

Ein Vorteil der Bücher in Dateiform: Das Lesegerät, auf dem sie laufen, hat keinen Einband, über den Sitznachbarn in der S-Bahn auf den Inhalt schließen können. Vorteil für Groschenromane, Vorteil für Thilo Sarrazin. Die Vorliebe der Deutschen für gedruckte Bücher ist lauf Börsenverein zwar noch stark, geht aber kontinuierlich zurück. 72 Prozent der Befragten gaben an, Geld lieber in gedruckte Bücher zu investieren. 2009 hatte dieser Anteil noch 82 Prozent betragen.

In einer in dieser Woche veröffentlichten Studie der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers heißt es, in den USA würden Umsätze mit E-Books 2017 jene mit gedruckten Büchern übersteigen - zumindest wenn akademische Bücher und Lehrbücher nicht mitgezählt werden. Das liegt vor allem an den Verkäufen in angelsächsischen Ländern, zu denen es in Deutschland noch ein weiter Weg ist: Nur etwas mehr als die Hälfte der Verlage haben überhaupt E-Books im Angebot.

E-Books können, wenn es nach dem Börsenverein geht, gar nicht genug boomen. Schließlich ist ihre Hauptaufgabe, die Verluste im Print-Markt ausgleichen. Der gesamte Buchmarkt ist dem Börsenverein zufolge um 0,8 Prozent geschrumpft. In der Pressemitteilung verkauft er das als "Aufbruchstimmung" - schließlich musste er im Jahr zuvor noch ein Minus von 1,4 Prozent hinnehmen. Der Gesamtumsatz mit Büchern und Fachzeitschriften betrug 9,52 Milliarden Euro.

Die Pressemitteilung des Börsenvereins liest sich wie eine Verteidigungsschrift und benennt die Probleme. Zum einen ist da Amazon, der US-Konzern, der die bequemeren Kunden abwirbt und - je nachdem, wen man fragt - zwischen 17 und 40 Prozent Marktanteil hält; zum anderen die Tatsache, dass "Bücher immer stärker im Wettbewerb mit anderen Medien und Freizeitaktivitäten stehen".

Der Börsenverein spricht zwar noch von "hoher Beratungskompetenz und kulturellem Engagement" als Vorteile des stationären Handels. Doch wenn dass der Masse der Leser wichtig wäre, könnte Amazon nicht die Händler erdrücken und die Verlage zu hohen Rabatten drängen. Genau dies geschieht aber.

Versöhnen sich die Buchhändler nun zwangsweise mit dem einst gefürchteten technischen Fortschritt? Dafür sprechen die "Tolino"-Offensive - besser: Defensive - und die Tatsache, dass Buchhändler ihre Ladenflächen verkleinern wollen. E-Books brauchen keinen Platz. Die Digitalisierung, die Verlagen lange Angst gemacht hat, soll sie jetzt retten.

Schließlich sind die Zeiten vorbei, in denen selbst Technikoptimistin Kathrin Passig E-Reader mied, weil sie "so attraktiv wie Schwarzweißfernseher" wirkten.

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