Dass die Sache schiefgehen würde, schwante Chiara Colangelo bereits seit längerer Zeit. Begonnen hatte sie, als der italienische Wirtschaftsminister Adolfo Urso im vergangenen Sommer Kaufanreize für E-Autos in Aussicht stellte. Im Dezember präsentierte Urso dann endlich eine Tabelle mit der gestaffelten Förderung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen und auch von Verbrennern. Colangelo entschloss sich, auf ein E-Auto umzusteigen. Beim Vertragshändler von Stellantis in der mittelitalienischen Stahlstadt Terni guckte sich die Pendlerin den neuen Opel Mokka Electric aus. Dann aber geschah: nichts. Mit Colangelo warteten in Italien, wo sich die Stromer auf den Straßen noch besonders rarmachen, Zigtausende auf den verlockenden „Öko-Bonus“ der Regierung. Ein weiteres halbes Jahr später war es tatsächlich so weit.
In der Zwischenzeit hielt der Autohändler die Kaufaspirantin mit Sprachnachrichten in ihrem Whatsapp-Chat bei der Stange. „Noch kann ich Ihnen kein Angebot machen, es ist alles blockiert“, sagt er. Oder: „Ich bin gelähmt, alles hängt an den staatlichen Prämien.“ Auch die Hersteller hatten ihre Rabatte einstweilen gestoppt. Dann kam der 3. Juni, der schwarze Montag der Autowende in Italien. Um zehn Uhr morgens schaltete das Ministerium die Website zur Beantragung der Prämie frei. Um 18 Uhr war das Geld weg. „Das Förderprogramm dauerte nur acht Stunden“, spricht der Verkäufer nun auf Band. Sein Autohaus war leer ausgegangen. 30 Prozent der 201 Millionen Euro Subventionen hatten sich die Autovermietungen gegriffen, um ihren Fuhrpark zu erneuern. „So ein Bluff“, schreibt Colangelo wütend. Verlegen antwortet der Stellantis-Händler nur noch mit einem Emoji: dem Affengesicht mit zugehaltenen Augen.
Der Regierung ist der Flop keineswegs peinlich. Die rechtspopulistische Koalition von Giorgia Meloni hält die teure Elektromobilität für einen Irrweg.
Der Schaden ihrer Hinhaltetaktik ist unübersehbar. Verschaukelt fühlen sich nicht nur die potenziellen Autokäufer. Angeschmiert sind auch die Hersteller, deren Absatz auf dem italienischen Markt vor fast einem Jahr durch Ursos Ankündigung der Kaufprämien abgewürgt wurde. Im April wurden sie in ganz Italien 3173 E-Autos los. In den ersten fünf Monaten des Jahres ging der Verkauf von einem sehr niedrigen Niveau um 19 Prozent zurück. Nur 2,8 Prozent der knapp 41 Millionen in Italien zugelassenen Fahrzeuge sind batteriebetrieben. Damit hinkt Italien in Europa weit hinterher.
Italiens Regierung will das Verbrenner-Aus rückgängig machen
Die römische Regierung wird kaum Anstrengungen unternehmen, daran etwas zu ändern. Im Gegenteil: Meloni hatte in das Programm ihrer Partei Fratelli d’Italia zu den Europawahlen am 9. Juni geschrieben: „Der Green Deal ist ein ideologischer Wahnsinn und die erste Aufgabe der neuen EU-Kommission muss es sein, ihn vollständig zu überarbeiten.“ Die Koalitionsparteien in Rom fordern den Abschied vom Verbrenner-Aus bis 2035.
Das Nachsehen hatten auch die Beschäftigten in den italienischen Fabriken des Stellantis-Konzerns, der 2021 aus der Fusion von Fiat Chrysler mit der französischen PSA (Peugeot, Citroën, Opel) hervorgegangen ist. Ihre Aussichten auf sichere Arbeitsplätze schwinden zusehends.
Nirgends fällt die Agonie der italienischen Autoindustrie so klar ins Auge wie in Turin. Im Fiat-Stammwerk Mirafiori, das einmal die größte Automobilfabrik Europas war, werden heute nur noch zwei Maserati-Modelle und der Fiat 500e gefertigt. Die massiv geschrumpfte Belegschaft arbeitet seit Jahren mit reduzierter Stundenzahl. Als die Nachfrage nach dem Elektro-500 einbrach, standen die Montagebänder im Monat zwei Wochen komplett still. Seit April wird die Arbeitszeit der 2800 Beschäftigten in der Endmontage sogar um bis zu 80 Prozent gekürzt. Naht das Ende der Autonation Italien? Die Mailänder Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore titelt: „Für das italienische Automobil läuten die Totenglocken“.
Statt in die Entwicklung und Produktion wettbewerbsfähiger Elektroautos in Italien zu investieren, setzt Stellantis lieber auf den Verkauf günstiger Modelle aus China. Europas zweitgrößter Autokonzern beteiligte sich Ende 2023 mit 21 Prozent am E-Auto-Hersteller Leapmotor aus Hanghzou. Die italienische Hoffnung, das Gemeinschaftsunternehmen mit den Chinesen könne die leer stehenden Fabriken südlich der Alpen mit Leben erfüllen, zerschlug sich. Es werde keine gemeinsame Produktion geben, sagte Stellantis-Chef Carlos Tavares im Mai. Die in Hanghzou hergestellten E-Autos sollen in Europa von den 500 Stellantis-Händlern verkauft werden. Loslegen würde man mit dem Kleinwagen T03 für weniger als 20 000 Euro und mit dem SUV C10 für 38 000 Euro.
Auch die geplante Batteriefabrik in Italien liegt auf Eis
Als dann die EU-Kommission die Einführung von europäischen Importzöllen für E-Autos aus China beschloss, warfen die neuen Partner ihre Strategie über den Haufen. Jetzt verlegt Leapmotor die Produktion für den europäischen Markt doch in ein Stellantis-Werk. Allerdings fingen sich die Italiener in der vergangenen Woche gleich wieder eine Ohrfeige ein. Nicht in Turin, sondern im Fiat-Werk im polnischen Tychy werden die E-Autos von Leapmotor hergestellt. In Mirafiori seien die Montagekosten mit 1000 Euro mindestens doppelt so hoch wie in Polen, hieß es.
Begraben hat Stellantis auch das Vorhaben, in Termoli an der süditalienischen Adria Ende 2026 eine Batteriefabrik zu eröffnen. Die Verhandlungen mit Mercedes und dem französischen Energiekonzern Totalenergies über das Gemeinschaftsprojekt wurden vor zwei Wochen abgebrochen – wieder eine Absage an die saubere Mobilität der Zukunft. Man begründete das Scheitern mit der Absatzflaute bei E-Autos in Europa und der Notwendigkeit einer technologischen Weiterentwicklung der Batteriezellen. Der Rückzieher ist jedoch problematisch. Die italienische Regierung hatte eine staatliche Beihilfe zum Bau der Gigafactory in Höhe von 370 Millionen Euro zugesichert. Das Geld stammt nicht aus römischen Kassen, sondern aus dem europäischen Wiederaufbaufonds und ist längst von Brüssel bewilligt worden. Das 194 Milliarden Euro schwere EU-Konjunkturprogramm für Italien ist ein wunder Punkt in den Beziehungen zwischen Meloni und den europäischen Partnern. Seit ihrem Antritt im Oktober 2022 ist Italien mit der Umsetzung des Plans schwer in Verzug geraten.
Umso eifriger treiben die Verbrennerfreunde in Rom ihre Kampagne gegen die Elektromobilität voran. Finanzminister Giancarlo Giorgetti kündigte neulich auf einem Autohändler-Treffen in Verona an, dass sein Haus bereits konkret über die Einführung einer Lade-Steuer nachdenke. Schließlich müsse sich der Staat auf die sinkenden Einnahmen aus den Spritsteuern vorbereiten. Ob Giorgetti nicht weiß, dass der Strom in Italien besteuert wird wie Benzin und Diesel? Oder wollte er den Leuten zurufen: Lasst bloß die Finger von den E-Autos!