Süddeutsche Zeitung

E-Auto-Firma Faraday:Absturz aus großer Höhe

Faraday Future wollte das Auto der Zukunft bauen. Ein reicher Chinese charmierte einen Ex-Vorstand der Deutschen Bank, bei ihm anzuheuern. Heute steht das Milliarden-Start-up am Abgrund.

Von C. Giesen, J. Schmieder und M. Schreiber, Peking/Los Angeles/Frankfurt

Ein reicher Chinese, eine Vision, das Auto der Zukunft zu bauen, und das im sonnigen Kalifornien. Was für eine Offerte für Stefan Krause! Faraday Future, so heißt das Unternehmen, die Zukunft trägt es bereits im Namen. Bis Oktober 2015 hatte Krause als Finanzvorstand der Deutschen Bank gearbeitet. Im Zuge der Neuausrichtung musste er das Geldhaus verlassen. Jetzt also wieder Autos. Gleich nach dem Studium hatte er 1987 bei BMW angeheuert und sich bis in den Vorstand hochgearbeitet. Ein car guy, wie man so sagt.

Ende 2016 gab es den ersten Kontakt. Ein Headhunter aus München meldete sich, dieser sollte für Faraday Future in der deutschen Automobilbranche wildern, so erzählen es Leute aus Krauses Umfeld. Schnell war man sich einig. Anfang 2017 fing Krause an. Als Finanzvorstand. Und Jia Yueting, der reiche Chinese, als Vorstandschef. Die gemeinsame Mission: Ein Frontalangriff auf Tesla, BMW und Daimler. "Die Automobilindustrie muss komplett ersetzt werden", hatte im Januar Entwicklungschef Nick Sampson auf der Technikmesse CES in Las Vegas angekündigt: "Bei uns geht es um extreme Technologie."

Elf Monate danach ist nicht mehr viel übrig. Das Milliarden-Start-up steht am Abgrund. Stefan Krause hat gekündigt. Und ein Wirtschaftsdrama ist dabei, sich zu entfalten. Im Zentrum: jener reiche Chinese, Jia Yueting.

Jia Yueting legte einen märchenhaften Aufstieg hin. Zunächst

Geboren wurde er während der Kulturrevolution in der Kohle-Provinz Shanxi, im Landkreis Linfen. Ein Landstrich, den Umweltschutzorganisationen für eine der schmutzigsten Gegenden der Welt halten. Der Smog ist hier so dicht wie nirgendwo sonst in der Volksrepublik, überall rauchende Schlote, Kokereien, Stahlwerke, Kohleflöze. Die Lebenserwartung in Linfen ist um etliche Jahre geringer als im Rest des Landes. Dort im Herzen der chinesischen Schwerindustrie arbeitete Jia in der örtlichen Steuerverwaltung. Bis er auf einmal kündigte und einen märchenhaften Aufstieg hinlegte. Von der alten, schmutzigen, harten Arbeit in die Welt des Digitalen. Leshi Internet nannte er seine Firma.

Seine Internetfernsehen, er kaufte die Rechte an Serien und die Lizenzen für Sportereignisse. 2008 stieg eine Beteiligungsgesellschaft ein. An der Spitze des Unternehmens ein Mann namens Ling Wancheng, dessen Bruder damals die rechte Hand von Staats- und Parteichef Hu Jintao war. 2010 bekam Jias damals vollkommen unbekannte Firma einen der begehrten Plätze an der Börse. Der Kurs stieg und stieg. 2015 schätzte der Hurun-Report, Chinas Reichenliste, Jias Vermögen auf umgerechnet etwa sechs Milliarden Euro. Platz 25 unter den reichsten Chinesen. "Jia Yueting ist charismatisch. Ein Mann mit unglaublichem Geschäftssinn", sagt Rupert Hoogewerf, ein Brite, den in China nur alle nur Hu Run nennen. Seit fast 20 Jahren gibt er die Reichenliste heraus. Kaum jemand kennt Chinas Milliardäre besser als er.

Diesem Charisma scheint auch Stefan Krause erlegen zu sein. Als er seinen Job antrat, fand er keine Traumfabrik vor, sondern Chaos. Keine richtige Buchführung, keine Rechnungslegung, keine Personalsoftware. Doch YT, wie sie Jia in Kalifornien alle rufen, war voller Komplimente für sein neues Management. Krause legte also los. Er ordnete die Strukturen und versuchte sich im Fundraising. Mehr als 35 Investoren sprach er an, etwa zwanzig schauten sich das Unternehmen sogar an. Niemand stieg ein.

Derweil musste Faraday Future monatlich 13 Millionen Dollar für die Gehälter der Mitarbeiter aufbringen. "Man fing also an, Vermögenswerte zu verkaufen", sagt ein Insider. "Man hat sich dann nur noch durchgewurschtelt." Bis die Situation schließlich so schlimm wurde, dass die Pleite im Raum stand. Oder technisch gesprochen, bis eigentlich eines unausweichlich war: Die Eröffnung eines Insolvenzverfahren nach amerikanischem Recht. "Chapter 11" nennen sie das in den USA - eine vom Gericht überwachte Reorganisation der Finanzen. Dazu sind Firmen verpflichtet, wenn ihnen das Geld auszugehen droht. Für Jia soll dies jedoch "ein rotes Tuch" gewesen sein. Er sei weder zugänglich gewesen in persönlichen Gesprächen noch habe er sich von seinen eigenen Anwälten überzeugen lassen.

"Jia ist wahnsinnig ambitioniert. Er will ganz groß werden. Wie Alibaba oder Tencent. 100 Milliarden Dollar aufwärts", sagt Rupert Hoogewerf. Sport- und Filmrechte, das reichte irgendwann nicht mehr. Er ließ Smartphones bauen und setzte auf Elektroautos: Faraday Future. Milliarden-Investitionen. Ein gewaltiges Risiko.

Als Leshi Internet seine Kreditlinien bei einem Dutzend chinesischer Banken ausgeschöpft hatte, verpflichtete sich Jia, Aktien seiner Unternehmen als Sicherheit für weitere Kredite einzusetzen. Mindestens 2,1 Milliarden Dollar nahm er so bei Schattenbanken auf. Laut New York Times hat Jia die Aktien von mindestens sechs Unternehmen an Kreditgeber verpfändet.

Im jüngsten Reichen-Ranking hat Jia es deshalb nur noch knapp auf die Liste geschafft. 300 Millionen Dollar, so lautet die Bewertung von Hoogwerfs Truppe heute.

Selbst das, findet Dan Schwartz, sei zu viel. Schwartz ist Finanzminister des US-Bundesstaates Nevada und Kandidat für das Amt des Gouverneurs. Faraday Future wollte im Norden von Las Vegas eine Eine-Milliarde-Dollar-Fabrik bauen und im Gegenzug Zuschüsse und Steuervergünstigungen bekommen. "Ich habe von Anfang an bezweifelt, dass die das ernst meinen - es wäre ein schlimmer Deal für Nevada gewesen", sagt Schwartz nun über das Geschäft, das nach zahlreichen Gerüchten über nicht bezahlte Rechnungen und nicht hinterlegte Garantien im Juli endgültig geplatzt ist. Stefan Krause war es, der den Bau absagte.

Der Finanzminister von Nevada spricht von einem "Schneeballsystem"

Schwartz habe die Unternehmensstruktur überprüft und sei nach China gereist, um die lange Zeit geheimnisvollen Investoren kennenzulernen. "Jia hatte weder das Geld noch die Erfahrung. Er hat immer nur Versprechen gemacht, von denen er keines halten konnte", sagt Schwartz.

Schwartz bezeichnet das Vorgehen von Jia als "Ponzi scheme", also als Schneeball-system, bei dem die finanzielle Schieflage der einen Firma mit nicht vorhandenem Geld der anderen Firma ausgeglichen und über scheinbar intakte Finanzen immer neue Investoren angelockt werden sollen.

Am 14. Oktober machte Stefan Krause Schluss und reichte seine Kündigung ein. Erst vor ein paar Tagen wurde das publik. Zunächst ließ Jia verbreiten, er sei es gewesen, der Krause rausgeworfen habe. Der SZ liegen jedoch Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass Krause kündigte. Inzwischen schweigt das Unternehmen beharrlich.

Am Firmensitz im Süden von Los Angeles wollen die Angestellten nichts sagen, nicht einmal zur Stimmung im Unternehmen oder möglicherweise verspätet bezahlten Gehältern, äußern sie sich. Einer empfiehlt, es doch bei der Presseabteilung zu versuchen. Ein Katalog mit Fragen geht natürlich per E-Mail beim Unternehmen ein, unter anderem heißt es darin: Ist es richtig, dass Faraday Future Probleme hatte, die Forderungen von Gläubigern zu bedienen oder die Gehälter der Mitarbeiter zu bezahlen? Trifft es zu, dass Finanzvorstand Stefan Krause am 14. Oktober gekündigt hat? Und stimmt es, dass mit Jia Yueting über "Chapter 11", also die Insolvenz des Unternehmens gesprochen worden ist?

Die Antwort erfolgt nicht einmal eine halbe Stunde später, es ist genau ein Satz: "Wir geben zur Zeit keinen weiteren Kommentar ab."

Funkstille bei jenem Unternehmen, das so wortreich angetreten ist, um die Autoindustrie aufzumischen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2017
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