Aufgeschreckt vom Unmut in Teilen der Wirtschaft fordert die Unionsfraktion im Bundestag eine Art gesetzgeberischen Feuerwehreinsatz. Weil am kommenden Freitag die Datenschutzgrundverordnung in Kraft tritt, fürchten einige Unternehmen, dass sie von systematischen Abmahnungen überzogen werden.
"Wir müssen dringend Mittelständler und Vereine vor den Folgen zum Teil absurder und gar nicht umsetzbarer Regeln schützen", sagte Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) am Dienstag. "In einem ersten Schritt müssen wir die drohenden Abmahnungen unterbinden, und zwar sofort." Sie hätten deshalb die Bundesregierung gebeten, an diesem Mittwoch im Kabinett einen entsprechenden Beschluss zu fassen.
Voßhoff kritisiert "Fehlinformationen" in der Debatte
Aus Fraktionskreisen hieß es, dass zuvor führende Innen-, Rechts- und Wirtschaftspolitiker der Unionsfraktion sich vertraulich mit Vertretern des Bundesinnenministeriums getroffen hätten, um die Probleme rund um die Einführung der Datenschutzgrundverordnung zu besprechen. Dort sei auch der Vorschlag für einen Kabinettsbeschluss gemacht worden, um Abmahnungen im großen Stil noch verhindern zu können.
Die Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Andrea Voßhoff (CDU), kritisierte dagegen "Fehlinformationen", welche die Debatte um die neuen Regeln prägten. "Die Aufsichtsbehörden sind nicht mit der Registrierkasse unterwegs", sagte sie am Dienstag. Vielmehr stehe ein Bußgeld erst am Ende vieler Sanktionsmöglichkeiten. Bevor ein Unternehmer zahlen müsse, würde er von Aufsichtsbehörden gewarnt oder abgemahnt.
Sie empfahl, die Leitfäden der Datenschutzbehörden im Internet durchzulesen, um Antworten auf kursierende Missverständnisse und Fragen zu finden. Im Netz stünden auch Muster für Datenschutzrichtlinien zur Verfügung, die Firmen nun auf ihren Webseiten veröffentlichen sollen. So viel könnten Firmen dabei gar nicht falsch machen, beschwichtigte Voßhoff: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sei das bisherige deutsche Datenschutzrecht schon heute besonders streng.
Wer seine Kunden per Whatsapp anschreibt, gibt deren Daten unerlaubt an Dritte weiter
Laut der neuen Verordnung müssen Firmen ihre Kunden künftig darüber informieren, wer ihre persönlichen Daten wie Name, Adresse oder E-Mail-Adresse aus welchem Grund erhebt - und diese müssen zustimmen. Zudem muss klar sein, wie lange die Daten aufbewahrt werden sollen. Eine Weitergabe von Informationen an dritte Unternehmen, sagte Voßhoff, sei jedoch schon dann geschehen, wenn ein Mitarbeiter seine Kunden per Whatsapp anschreibe. Der Messenger gehört zum Facebook-Konzern und erhebt die im Smartphone gespeicherten Kontaktdaten. Firmen müssen die Daten ihrer Kunden künftig so sicher speichern, dass sie weder gestohlen noch versehentlich verloren gehen können. Bei Verstößen drohen ihnen Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.
Im Verbraucherzentrale Bundesverband sieht man solche hohen Bußgelder jedoch nicht kommen. Derart massive Strafen seien angedacht, wenn Verstöße die Tragweite des jüngsten Facebook-Skandals hätten, sagte der Digitalreferent Fabian Glatzner. Auch eine neue Welle von Abmahnanwälten, die Firmen reihenweise verklagten, hält er für unwahrscheinlich. Schließlich seien die Mandanten solcher Advokaten entweder gemeinnützige Datenschutzvereine oder aber konkurrierende Unternehmen. Diese fielen auch heute nicht mit Datenschutzbeschwerden auf.
Aus der Opposition kam massive Kritik am Agieren der Bundesregierung in Sachen Datenschutzgrundverordnung. Die zweijährige Übergangsfrist habe die Regierung nicht genutzt, "um für die nötige Rechtsklarheit zu sorgen", sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Andreae, der Süddeutschen Zeitung. "Diejenigen, die sich nun fragen, wie die Vorgaben konkret umzusetzen sind, hat die Bundesregierung allein gelassen, statt sie durch Aufklärung und Hilfestellung an die Hand zu nehmen." Nun aber, wenige Tage vor Inkrafttreten, schüre die Kanzlerin "durch unbedachte, weder politisch noch juristisch durchsetzbare Äußerungen zusätzliche Ängste".
Vor knapp zwei Wochen hatte Angela Merkel (CDU) eingeräumt, die Umsetzung der Richtlinie sei teilweise eine "Überforderung"; gleichzeitig verwies sie auf Österreich, wo bei Verstößen zunächst nur eine Verwarnung statt einer Geldbuße geplant ist.
Die Grünen-Politikerin Andreae betonte, die Verordnung bringe "viele Vorteile, auch und gerade für die deutsche Wirtschaft". Allerdings dürften kleine und mittlere Unternehmen nicht alleine gelassen werden, etwa durch die Bereitstellung von Informationen und eine angemessene Ausstattung der Aufsichtsstrukturen.