DRV-Präsident Rische im Interview:"Rüttgers' Vorschlag ist leider daneben"

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Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, über Altersarmut, ihre Gründe, Lösungen und eine neue Renten-Formel.

Guido Bohsem

Der 60-jährige Herbert Rische ist seit 2005 Präsident der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Rische hat einen Trick entwickelt, um die Altersversorgung eines Landes schnell zu beurteilen: Er geht zu McDonald's. Arbeiten dort vor allem ältere Angestellte hinter der Theke, weise das auf ein Rentenproblem hin.

Herbert Rische ist seit 2005 Präsident der Deutschen Rentenversicherung (Foto: Foto: dpa)

SZ: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers warnt vor einer neuen Altersarmut. Deckt sich das mit Ihrer Einschätzung?

Rische: Armut ist heute woanders, bei Alleinerziehenden etwa, bei Kinderreichen, bei Langzeitarbeitslosen. Altersarmut ist zur Zeit kein Thema, und ich denke, sie wird auch auf absehbare Zeit keines sein.

SZ: Rüttgers verweist darauf, dass in NRW die Zahl der Menschen in Grundsicherung in den vergangenen drei Jahren um 30 Prozent gestiegen ist.

Rische: Dafür sind im Wesentlichen zwei Effekte verantwortlich. In die Grundsicherung rutschen zum einen häufig diejenigen, die keine oder nur eine sehr geringe Rente haben. Hierzu gehören vielfach die Selbständigen. Zum anderen gilt die Grundsicherung auch im Fall der Erwerbsunfähigkeit. In dieser Gruppe steigt die Zahl der Grundsicherungsempfänger deutlich stärker. Über die Hälfte der Empfänger von Grundsicherung hat keine Ansprüche aus der Rentenversicherung erworben.

SZ: Also kein Grund zur Aufregung.

Rische: Der Punkt, den Herr Rüttgers macht, muss sicherlich beachtet werden. Wesentlich scheint mir aber, erst einmal abzuschätzen, welche Ursachen die Entwicklung hat und welche Personengruppen künftig von Altersarmut bedroht sein können.

SZ: Wen wird es denn treffen?

Rische: Es entstehen neue Formen selbständiger Tätigkeit. Das sind die Leute, die auf eigene Verantwortung für Unternehmen arbeiten und das oft für sehr wenig Geld tun. Die haben zwischendurch häufig mal eine reguläre Beschäftigung und wechseln dann wieder. Diese Leute sorgen in der Regel nicht fürs Alter vor. Sie sollten deshalb verpflichtet werden, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Wenn wir diese Gruppe einbeziehen, haben wir das Thema Altersarmut schon etwas eingegrenzt. Das gilt natürlich nicht für Selbständige, die über berufsständische Versorgungswerke abgesichert sind, wie Anwälte oder Ärzte.

SZ: Haben Sie schon mal vorgefühlt, ob das auch politisch gewollt ist?

Rische: Ich weiß, ich bin nicht alleine mit dieser Überlegung. Insofern gehe ich davon aus, dass man sich in der nächsten Legislatur über eine Erwerbstätigenversicherung Gedanken machen wird.

SZ: Den Invaliden hilft das nicht.

Rische: Das stimmt. Wir müssen die betriebliche Vorsorge in diesem Bereich stärken, weil mit dem Niveau der Rentenversicherung auch das der Invaliditätsrente sinkt. Hier entsteht ein Problem. Deshalb muss die Politik an die privaten Versicherer herantreten und einfordern, Produkte auf den Markt zu bringen, die die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzen, und zwar zu erschwinglichen Preisen und akzeptablen Konditionen. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass in diesem Zusammenhang Riester-Produkte besser gefördert werden, die auch einen Invaliditätsschutz beinhalten.

SZ: Was ist mit den Leuten, die dauerhaft nicht genug verdienen, um ausreichend in die Rentenkassen einzuzahlen?

Rische: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Rentenversicherung im Alter keine Löhne ausgleichen kann, die unter dem Existenzminimum liegen. Das kann man über eine steuerfinanzierte Sozialhilfe machen, das ist die Grundsicherung im Alter. Läuft es über die Rente, geht es zu Lasten aller anderen.

SZ: Das klingt nach einem Ruf nach Mindestlohn, wie ihn Arbeitsminister Scholz (SPD) gegen Altersarmut fordert.

Rische: Ich bin nicht derjenige, der für Mindestlohn plädiert. Aber es ist doch verrückt: Es gibt Leute, die den ganzen Tag arbeiten und einen Lohn kriegen, der nicht ausreicht, um ihre Familie zu unterhalten. Sie brauchen deshalb Zuschüsse vom Staat. Darüber schweigt man, fängt aber das Jammern an, wenn man sieht, dass diese Leute auch im Alter arm sein werden. Heraus kommt dann die Aussage, ja, wenn die lange genug gearbeitet haben, dann sollen die schon eine auskömmliche Rente bekommen. Das wird nicht funktionieren.

SZ: Das ist der Kern der Rüttgers-Vorschläge. Werfen Sie ihm eine gewisse Scheinheiligkeit vor?

Rische: So kann man das formulieren. Es ist aber auch Ausdruck meiner persönlichen Grundphilosophie: Die Rente kann Fehler, die woanders passieren, nur sehr bedingt ausgleichen. Die Rente ist nicht der Nabel der Welt.

SZ: Was halten Sie denn konkret von seinem Vorschlag?

Rische: Der Vorstoß von Herrn Rüttgers ist ein gutes Beispiel für den Fall: Gut gemeint, aber leider daneben. Man kann die Rentenversicherung in Grund und Boden reden, indem man sagt, wie schlecht ihre Leistungsfähigkeit ist. Man kann sie aber auch kaputtmachen, indem man ihr zu viel zumutet. Und das scheint mir in diesem Vorschlag enthalten zu sein.

SZ: Und im Einzelnen?

Rische: Ich will mich gar nicht konkret äußern, weil mir kein konkretes Konzept von Herrn Rüttgers auf dem Tisch liegt. Insofern treffen auch Äußerungen aus Nordrhein-Westfalen nicht zu, wir hätten diesen Vorschlag berechnet und Zahlen genannt. Ja, vor einiger Zeit haben wir verschiedene Modelle durchgerechnet. Aber der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, ist mir in seiner Einzelausführung nicht bekannt.

SZ: Ärgert Sie die Debatte?

Rische: Ich ärgere mich darüber, weil ich nicht weiß, was diese Diskussion bezwecken soll. Wo soll sie hinführen? Soll sie vielleicht dazu führen, dass die Leute immer mehr verunsichert sind und nicht mehr an die Zukunftsfähigkeit der Rente glauben?

SZ: Teilen Sie die Einschätzung, dass die Diskussion über Altersarmut nur deshalb aufgekommen ist, weil die Regierung die Renten außergewöhnlich stark hat ansteigen lassen mit der Begründung, die Ruheständler müssten am Aufschwung teilhaben?

Rische: Ich weiß nicht, wer die Diskussion ausgelöst hat. Vielleicht war es Professor Rürup, der einen ähnlichen Vorschlag wie Herr Rüttgers schon Anfang des Jahres in die Welt gesetzt hat, ohne ihn weiter zu verfolgen.

SZ: Um die Renten um 1,1 Prozent steigen zu lassen, will die Koalition den Berechnungsweg zeitweise aussetzen, nach dem die Zuwächse bestimmt werden. Haben Sie den Eindruck, die Politik steht noch hinter der Rentenformel?

Rische: Die Politik hat entschieden, für dieses und das nächste Jahr eine außerplanmäßige Erhöhung der Renten vorzunehmen. Das war gerade vor dem Hintergrund der Belastungen der Rentner richtig. Es werden auch künftig immer wieder Verteilungsentscheidungen zu treffen sein, die sich aber im vorgegebenen Zielkorridor bewegen müssen.

SZ: ... und die Rentenformel?

Rische: Wir werden niemals eine Formel finden, die ewig Gültigkeit hat. Man muss womöglich über die konkrete Ausgestaltung der Formel noch einmal nachdenken. Das heißt nicht, dass ich die Reformziele in Frage stellen will. Die Frage ist: Wie können wir das besser vermitteln? Durch die Formel ist die Darstellung sehr schwierig. Wenn der Einzelne nicht mehr versteht, warum er so viel oder so wenig bekommt, dann ist das ein Problem.

Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, die Rentenanpassung folgt grundsätzlich den Löhnen, aber wir sind nicht in der Lage, die volle Lohnsteigerung weiterzugeben, sondern beispielsweise nur die Hälfte, wenn dies innerhalb des vorgegebenen Zielkorridors liegt. Vielleicht wären solche Dinge leichter zu vermitteln, als eine Kaschierung durch eine unübersichtliche Formel.

© SZ vom 26.04.2008/ aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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