Süddeutsche Zeitung

Drohnen:Mit dem Volocopter ins Büro

Überall auf der Welt basteln Konzerne und Start-ups an Flugrobotern für den Stadtverkehr. Die kleine Firma E-Volo aus der badischen Provinz hat dabei die Nase vorn - ihr Volocopter hat den bemannten Erstflug schon hinter sich.

Von Stefan Mayr, Friedrichshafen/Bruchsal

Nein, so stellt man sich einen Testpiloten für den Jungfernflug eines sogenannten Lufttaxis nicht vor. Alexander Zosel, Schlabber-Jeans, Kapuzenpulli und Tätowierung am Hals, wiegt nach eigenen Angaben "knapp 130 Kilo", man sieht ihm das auch an. "Ich bin zwei Testpiloten", sagt er und lacht. Doch der studierte Bauingenieur Zosel ist nicht nur Testpilot. Er ist einer der Gründer der Firma E-Volo aus dem badischen Städtchen Bruchsal bei Karlsruhe, die ein ehrgeiziges Ziel hat: E-Volo will den Verkehr in den Großstädten dieser Welt in eine ganz neue Dimension führen. In die dritte Dimension.

Lufttaxi, Flugauto, bemannte Drohne: Überall in der Welt basteln Ingenieure an Vehikeln, die den Sprung von der Straße in die Luft schaffen und Großstadtbewohner flott von A nach B bringen sollen. Der japanische Autobauer Toyota plant für Ende 2018 den ersten bemannten Flug seines dreirädrigen Projekts Cartivator. Konkurrent Daimler kann sich ebenfalls vorstellen, irgendwann in die Luft zu gehen. "Einen fliegenden Mercedes kann ich derzeit nicht ausschließen", sagte Axel Harries, Leiter der Daimler-Zukunftssparte, kürzlich der Automobilwoche. Der US-Fahrdienstvermittler Uber treibt die Entwicklung eines Fluggeräts namens Puffin voran, der Flugzeughersteller Airbus das Projekt Vahana, in China wird der Flieger Ehang getestet. Und vor Kurzem brachte das Start-up Lilium Aviation aus Gilching bei München einen Prototypen seines Lilium Jets in die Luft - allerdings unbemannt.

Alexander Zosel und seine 20-Mann-Firma sind da schon einen Schritt weiter: Ihr Prototyp hat bereits eine Zulassung für bemannte Flüge im öffentlichen Raum und war auch schon in der Luft - mitsamt dem 130-Kilo-Chef.

Zosels Volocopter ist eine Mischung aus Hubschrauber und Drohne. Mit 18 kleinen Rotoren, die an einer ringförmigen Konstruktion über der Kabine mit den zwei Sitzplätzen surren. Eine vollständig elektrisch betriebene Taxidrohne, die keine Start- oder Landebahn braucht. Sie fliegt ohne Lärm, ohne Emissionen - und bald auch ohne Pilot. Zukunftsmusik? Eine Vision verrückter Nerds? Zosel schüttelt den Kopf: "Das kommt jetzt. Es wird ernst."

Der Volocopter hat seinen Erstflug im März 2016 auf einer Wiese bei Bruchsal hingelegt. Zosel saß dabei am Steuer. Als die Drohne abgehoben hatte, ließ er den Knüppel, eine Art Joystick, vor Freude einen Moment lang los und rammte beide Fäuste in die Luft. Dennoch schwebte das Gerät stabil weiter. Das Youtube-Video wurde millionenfach geklickt. Zosel spricht von einer neuen Ära der Luftfahrt und berichtet von Anfragen diverser Museen, die das "historische" Fluggerät ausstellen wollen.

Im Oktober hat der US-Fahrdienstvermittler Uber eine Studie zur Zukunft des innerstädtischen Luftverkehrs veröffentlicht. Ergebnis: Der Betrieb von Taxidrohnen ist technisch und finanziell machbar. Vor allem in sogenannten Megastädten mit zehn Millionen oder mehr Einwohnern sei das Potenzial groß. Weil die Menschen dort lange im Stau stehen und genügend Geld verdienen, um sich einen Taxiflug oder gar einen eigenen Privatsenkrechtstarter leisten zu können. Uber denkt dabei an das Geschäftsmodell "On-Demand-Lufttaxis". Die US-Firma könnte hierfür die App-Plattform einrichten.

E-Volo könnte das Fluggerät dazu liefern. "Wir wollen das werden, was Siemens bei Straßenbahnen ist", sagt Zosel. Er spricht von Hochhäusern, die Landeplattformen auf dem Dach haben oder gar an der Außenfassade - also den "Landebalkon" direkt vor der Wohnung. Wer genug Geld hat, kann den Stau unter sich lassen und zum Flughafen oder ins Büro fliegen. Und irgendwann braucht er dafür nicht einmal einen Piloten. Sondern muss sein Ziel nur noch auf dem Bildschirm antippen. "Den autonomen Personenflug wird es in zwei, drei Jahren geben", sagt Zosel.

Tatsächlich ist autonomes Fliegen in gewisser Hinsicht viel einfacher als autonomes Autofahren. Denn in der Luft gibt es keine Ampeln oder Fußgänger, die einem in die Quere kommen. Allenfalls andere Flugobjekte. Eine Software, die Kollisionen mit anderen Drohnen verhindert, ist aber das geringste Problem. Schwieriger dürfte es wohl sein, die verständlichen Ängste und Sicherheitsbedenken abzubauen - vor allem, wenn es um Menschen geht. Doch ein autonom fliegendes Gerät, das keinen Piloten mehr braucht, ist nicht nur flexibler, sondern auch deutlich kostengünstiger. Wer dann die besten Drohnen anbietet, kann viel Geld verdienen.

Mehr als 300 Anfragen von Privatleuten hat die Firma schon vorliegen

E-Volo führt nach eigenen Angaben bereits Gespräche mit Vertretern diverser Millionenstädte über Pilotprojekte. 2018 sollen die ersten innerstädtischen Testflüge mit Sondergenehmigung starten. Zosel sieht "Tausende" Einsatzmöglichkeiten. Einen Shuttlebetrieb über einen Fluss etwa, um das Nadelöhr Brücke zu umgehen. Oder einen Linienbetrieb vom Bahnhof zum Flughafen.

Die Firma E-Volo gibt es erst seit 2012. Zosel gründete sie mit einem Freund, dem Softwareentwickler Stephan Wolf. Die beiden bauten schon im Sandkasten gemeinsam möglichst futuristische Städte und Straßen. Als Wolf 2010 im Laden eine Spielzeugdrohne sah, hatte er die Idee, so etwas in groß zu bauen, sein Kumpel Alex Zosel war begeistert. Ein Jahr später, 2011, brachten sie einen grauen Hüpfball mit Rotoren in die Luft. Es war eine abenteuerlich anmutende Konstruktion. Doch der erste bemannte und elektrisch betriebene Drohnenflug klappte. "Wir haben damals schon gesagt, wir fliegen damit durch die Städte", erzählt Zosel. "Sie haben uns nur belächelt."

Seit März 2016 lächelt niemand mehr. Mehrere Unternehmer und Wagnisfinanzierer haben sich beteiligt und Kapital zugeschossen, das Team wird derzeit aufgerüstet: Von Airbus Helicopters wurde der Entwicklungschef für elektrische Systeme, Jan-Hendrik Boelens, abgeworben. Er ist nun Chief Technology Officer von E-Volo. Und der neue Chef Florian Reuter hat zuvor bei Siemens den Aufbau von Technologie-Start-ups verantwortet.

Im April hat die Firma auf der Aero-Messe in Friedrichshafen erstmals ihren Volocopter 2X vorgestellt. Er hat eine Reichweite von einer knappen halben Stunde, bei 100 km/h Höchstgeschwindigkeit. Schon 2018 will Zosel die ersten Volocopter an Privatpersonen verkaufen. Für etwa 300 000 Euro könnten dann Hobbyflieger ein Exemplar erwerben, als Alternative zum Sportflugzeug. Laut Zosel gibt es inzwischen schon 300 Privatleute, die sich so ein Teil anschaffen wollen. "Viele davon würden sogar einen Sonderpreis zahlen, wenn sie unter den ersten zehn sind", sagt er.

Vor dem ungewöhnlichen weißen Flugobjekt bleiben fast alle Passanten stehen, viele machen Fotos und fragen: "Wann kann ich den kaufen?" Manche sind dagegen skeptisch und fragen: "Fliegt das Teil wirklich?" Deshalb zeigt E-Volo auf großen Bildschirmen den Film vom Jungfernflug. Der erste bemannte und autonome Flug ist laut Zosel nur noch eine Frage der Zeit: "In zehn Jahren ist das in den Megacitys Teil der Mobilität", sagt er. "Die Welt ist bereit, die Kommunen schieben das an."

Das Rennen um die Lufttaxis hat längst begonnen. Haben die Start-ups ein Chance, wenn Konzerne wie Airbus, Uber oder Toyota einsteigen? Vor den Autoherstellern hat Zosel am wenigsten Angst: "Ich glaube nicht an fliegende Autos." Solange Autos Crashtests überstehen müssten, seien sie viel zu schwer, sagt er. Deshalb seien fliegende Autos erst dann sinnvoll, wenn der Verkehr komplett autonom ablaufe. "Sie vorher in die Luft zu heben, ist wirtschaftlich Schwachsinn."

Wer also wird das erste kommerzielle Lufttaxi auf den Markt bringen? "Wir sind weiter als die anderen", gibt sich Zosel zuversichtlich. Aber er sagt auch: "In unserer Branche sieht die Welt alle drei Monate ganz anders aus."

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Quelle:
SZ vom 08.06.2017
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