Drohende Klagen:Rente mit 63 vor Gericht

Lesezeit: 2 Min.

  • Die Ausnahmeregelungen bei der Rente mit 63 könnten eine Klagewelle auslösen.
  • Es geht darum, ob Zeiten der Arbeitslosigkeit kurz vor Rentenbeginn angerechnet werden oder nicht.
  • Im Normallfall werden die letzten zwei Jahre nicht miteinbezogen, um Frühverrentungen zu vermeiden.
  • Ist ein Versicherter "unfreiwillig" arbeitslos geworden, greifen jedoch die Ausnahmeregeln - deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz umstritten ist.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Fast 200 000 Anträge für die Rente ab 63

Seit einem guten halben Jahr gibt es die abschlagsfreie Rente ab 63, und sie kommt gut an: Bis Ende November wurden bereits 186 000 Anträge gestellt. 141 000 hat die Deutsche Rentenversicherung bereits abgearbeitet und in der Regel bewilligt. Dennoch zeichnet sich schon jetzt neuer Ärger mit der neuen vorzeitigen Rente ab: Die in letzter Minute aufgenommenen Ausnahmen werden wohl bald die deutschen Sozialgerichte beschäftigen.

Die Rente ab 63 ohne Abzüge vom Altersgeld erhält, wer 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung nachweisen kann. Dabei werden auch Zeiten anerkannt, in denen Arbeitslosengeld I (nicht Hartz IV) bezogen wurde. Es gibt aber eine Ausnahme, die den Wirtschaftsflügel der Union besänftigen sollte: Bei den letzten zwei Jahren vor dem jeweiligen Rentenbeginn werden Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht angerechnet, um Frühverrentungen mit 61 zu vermeiden.

Ist aber ein Versicherter in den entscheidenden zwei Jahren durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe seines Arbeitgebers unfreiwillig arbeitslos geworden, wird diese Phase bei den 45 Jahren berücksichtigt. Nach betriebsbedingten Kündigungen gilt dies allerdings nicht, um missbräuchliche Absprachen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verhindern.

Die Gewerkschaften bereiten bereits Musterverfahren vor

Wie diese Ausnahme von der Ausnahme zu verstehen ist, hat die Deutsche Rentenversicherung genau aufgelistet: In ihren Arbeitsanweisungen heißt es, der Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe sei "eng auszulegen". Davon sei nur auszugehen, "wenn der Arbeitgeber seine gesamte Betriebstätigkeit auf Dauer eingestellt hat". Stelle er nur einen Betriebsteil, eine Filiale oder einen Standort ein oder lege Betriebe zusammen, sei dies "nicht ausreichend, um den Tatbestand der vollständigen Geschäftsaufgabe zu begründen". Auch bei einem Inhaberwechsel liege eine solche Geschäftsaufgabe nicht vor. Damit ist eindeutig geregelt: Wer aus genau diesen Gründen seinen Job verliert, ist sicher nicht freiwillig arbeitslos geworden. Trotzdem werden ihm die letzten zwei Jahre der Arbeitslosigkeit auf die nötigen 45 Jahre für die Rente ab 63 nicht angerechnet.

Für Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, ist deshalb bereits "absehbar, dass es zu einer Klagewelle vor den Sozialgerichten kommen wird". Spätestens nach Bekanntwerden der Arbeitsanweisungen sei nun klar: "Die Regelung ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, da nicht eindeutig zwischen unfreiwilliger und missbräuchlicher Arbeitslosigkeit unterschieden werden kann", sagt Kurth.

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Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte bereits im Juli 2014 gewarnt, dass die Ausnahmen bei der Rente ab 63 wohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verstoßen würden. Die Rentenversicherung kennt das Problem. Man habe sich beim Formulieren der Arbeitsanweisungen "an den Gesetzeswortlaut gehalten", sagt ein Sprecher. Das Arbeitsministerium teilt wiederum mit, die Auslegung der Rechtsvorschriften "obliegt den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung".

Noch ist deshalb keine Klage bekannt geworden. Die Gewerkschaften bereiten aber Musterverfahren vor. Die IG Metall sammelt bereits Fälle für mögliche Klagen. Die Gewerkschaft spricht von einer "willkürlichen Ungleichbehandlung", die man vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen wolle. Kurth empfiehlt der Bundesregierung schon jetzt, "der Peinlichkeit einer Entscheidung durch Karlsruhe zuvorzukommen und die Stichtagsregelung zurückzunehmen". Dazu kommen dürfte es eher nicht. In solchen Fällen sitzt die Bundesregierung das Problem lieber aus, bis die Verfassungsrichter ein Machtwort gesprochen haben.

© SZ vom 08.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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