Oetker-Familie:Meine Pizza, dein Sekt

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Tiefkühlpizza-Produktion in Wittenburg. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Jahrelang stritt Familie Oetker über die Zukunft des Unternehmens mit den bekannten Marken. Nun steht die Lösung, die die Geschwisterstämme befrieden soll. Wie im Lehrbuch zeigt der Fall das Dilemma von Familienunternehmen.

Von Elisabeth Dostert und Benedikt Müller-Arnold

Ausgezogen sind sie schon. In familiären Dingen verhalten sich reiche Menschen bisweilen ziemlich gewöhnlich: Wenn die Familie auseinanderfällt, zieht ein Teil aus. Vor ein paar Wochen haben Alfred, Ferdinand und Julia, die Kinder aus der dritten Ehe des Lebensmittelfabrikanten Rudolf-August Oetker, mit ihrer Firma "Geschwister Oetker Beteiligungen" die alte Oetker-Welt in Bielefeld verlassen. Das geht aus Einträgen im Handelsregister hervor. Ihr Unternehmen residiert jetzt eine Viertelstunde Autofahrt entfernt, in einem anderen Viertel. Distanz kann einer Beziehung guttun.

Der Auszug ist Teil jener Aufspaltung, welche die Familie im Sommer angekündigt und nun vollzogen hat. Das haben die beiden, fortan getrennten Firmen am Dienstag mitgeteilt. So soll die jahrelange Fehde zwischen den fünf Kindern aus den ersten beiden Ehen Rudolf-August Oetkers und den drei jüngsten Nachkömmlingen enden. Intern ist von "G5" und "G3" die Rede, das liest sich so, als handelte es sich um Staatenbündnisse. Am Jahresumsatz gemessen bekommen die Familienstämme der fünf älteren Kinder den größeren Happen von mehr als fünf Milliarden Euro. Dennoch: Die Oetker-Welt, eines der bekanntesten Familienunternehmen Deutschlands, schrumpft.

Der Fall zeigt wie aus dem Lehrbuch das Dilemma von Familienunternehmen. Schon im Wort prallen Welten aufeinander: Familie und Unternehmen. Es ist ein System voller Paradoxe. In der Firma geht es um die Sache, um Produkte und Dienstleistungen, die effiziente Erledigung von Aufgaben. Familien sind das Gegenteil. Sie werden im Idealfall nicht für nüchtern kalkulierte Zwecke gegründet, sondern aufgrund großer Gefühle. "Die Stärke eines Familienunternehmens liegt genau da, wo auch sein Risiko liegt - in der Familie", derlei Weisheiten verbreitet Alfred Oetker gerne, einer der "G3". Er muss es wissen: In seiner Doktorarbeit hat er sich mit "Stakeholderkonflikten in Familienkonzernen" beschäftigt - und auch damit, wie man sie löst.

Die Fehde begann nach dem Tod von Rudolf-August Oetker im Jahr 2007. Schon im Namen trägt der Patriarch die ganze Vergangenheit: die Vornamen seines Großvaters, des Firmengründers August, und seines im Ersten Weltkrieg gefallenen Vaters Rudolf. Rudolf-August Oetker wünschte sich Harmonie unter den Erben. Anfang des Jahrtausends schenkte er jedem seiner Kinder 12,5 Prozent an der Firma.

Bei wichtigen Entscheidungen blockierten sich die Familienstämme gegenseitig

"Acht Kinder mit gleichen Anteilen ist eine absolute Katastrophe", sagt der Würzburger Experte Dieter Salch, 81: "Jedem Kind den gleichen Anteil zu vermachen, hat nichts mit Liebe oder Gerechtigkeit zu tun. Da ist die Munition mit dem Tod des Erblassers mitgeliefert." Der Jurist hat viele Jahre an der Universität Würzburg gelehrt und in seiner Kanzlei und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein paar Hundert Familienunternehmen beraten. Inzwischen führt er die Kanzlei allein. Oetker gehört nicht zu seinen Kunden. Unternehmer sollten, rät Salch, bei der Erbfolge immer "einem die Herrschaft geben, einer muss bestimmen". Das müsse in Verträgen und im Testament klar formuliert sein. "Klare Verträge verhindern Streit", sagt Salch. Wenn sich die Familie streitet, drohe Stillstand. "Familienunternehmen, die stillstehen, haben keine Chance mehr." Zu groß sei der Wettbewerbsdruck in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung.

Die Oetkers machten sich gegenseitig das Leben schwer. Die "G5" verhinderten mehrmals, dass einer der "G3" in die Geschäftsführung rückt. Als August Oetker, der die Geschicke fast drei Jahrzehnte lenkte, aus Altersgründen aus der Geschäftsführung ausscheiden musste, übernahm 2010 sein jüngerer Bruder Richard. Dessen Nachfolge hat 2017 erstmals ein Familienfremder angetreten: Finanzchef Albert Christmann rückte an die Spitze.

Die "G3" wiederum verhinderten 2013 die Fusion der eigenen Reederei Hamburg Süd mit dem Konkurrenten Hapag-Lloyd, welche die älteren Halbgeschwister angestrebt hatten. Denn für jeden Beschluss, der die Struktur der Gruppe ändert, ist in der Gesellschafterversammlung eine Dreiviertelmehrheit nötig. Noch so eine Erblast. Die "G3" bringen es zusammen auf 37,5 Prozent. Wenn sie nicht mitziehen, geht gar nichts. Vier Jahre später ging Hamburg Süd an den dänischen Konzern Maersk; die Oetker-Gruppe halbierte damals ihren Jahresumsatz. Mittlerweile hat der Konzern auch sein Bankhaus Lampe verkauft an Hauck & Aufhäuser, eine Tochter des chinesischen Fosun-Konzerns. Der Zerfall hat schon vor der Aufspaltung begonnen.

Mit der Trennung von "G5" erfüllen sich die Brüder Alfred und Ferdinand Oetker nun den lang gehegten Wunsch, als Geschäftsführer Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen ihr neues Unternehmen um Sekt und Chemie, Hotels und Kunst als Co-Chefs "partnerschaftlich führen", heißt es in einer Mitteilung. Ihre Schwester Julia wolle zwar "als Gesellschafterin" an der Strategie mitwirken, aber nicht in die Geschäftsführung einziehen. "Mit dem heutigen Tag beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Unternehmerfamilie Oetker", sagt Alfred Oetker. Die Firma namens Geschwister Oetker kommt mit gut 8000 Beschäftigten auf einen Jahresumsatz von knapp zwei Milliarden Euro.

Oetker ist nicht die erste Unternehmerfamilie, die getrennte Wege geht

Die Aufspaltung der Oetker-Gruppe war kein leichtes Unterfangen, bestand diese doch aus mehr als 400 einzelnen Firmen. Mit ihren Geschäften bewegen sich die Oetkers auf umkämpften Märkten: Lebensmittel und Bier, Spirituosen und Hotels. Konkurrenten wie Nestlé oder Danone, Heineken oder Anheuser-Busch Inbev sind ein Vielfaches größer. Alle buhlen um Platz in den Regalen und Online-Portalen der Händler.

Eine Trennung muss nach Ansicht von Salch nicht der schlechteste Weg sein. Es gibt dafür verschiedene Weg: Die Firma wird verkauft und die Gesellschafter teilen sich den Erlös, ein Teil der Gesellschafter wird abgefunden oder man spaltet - wie im Falle von Oetker - die Firma auf. Die Abfindung von Gesellschaftern sei auch eine Frage der Kapitalkraft, sagt Salch. Sie dürfte die Firma finanziell nicht schwächen. Die schlechteste Lösung ist für Salch der Verkauf des Unternehmens, weil es dadurch in fremde Hände gerate und der Familienverband als Unternehmer endet. "Aber was machen die Gesellschafter dann mit dem Geld in der heutigen Zeit", sagt Salch: "Sie zahlen hohe Steuern und womöglich Negativzinsen. Und wo investieren? Die beste Investition ist immer noch das eigene Unternehmen."

Die Oetkers sind jedenfalls nicht die ersten, die getrennte Wege gehen, weil es zusammen nicht mehr klappt. Die Schuhmachersöhne Adolf und Rudolf Dassler hielten es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in einer Firma aus; der eine gründete Adidas, der andere Puma. Die Aldi-Brüder Karl und Theo Albrecht gingen von 1961 an getrennte Wege. Und die Bahlsen-Brüder hatten 1999 genug voneinander, sie teilten die Gruppe in Süßes und Salziges auf. Ein Leckerbissen für Schaulustige ist der öffentlich ausgetragene Streit zwischen den Fleischern Clemens Tönnies und Neffe Robert, momentan herrscht dort mal wieder Friede.

Es ist auch nicht die erste Trennung im Oetker-Reich. Die Familie hat damit gar nicht mal schlechte Erfahrungen gemacht. Ende der 1950er-Jahre trat Rudolf-August Oetker die Marmeladenfabrik Schwartauer Werke, den Safthersteller Altländer Gold und das Nähmaschinenwerk Kochs Adler an seine ältere Schwester Ursula ab. Deren Sohn Arend Oetker sanierte, verkaufte Säfte und Nähmaschinen. Mitte der 1990er-Jahre stiegen die Schwartauer Werke beim Schweizer Babynahrungshersteller Hero ein, später drehte Oetker das Ganze um und bugsierte die Schwartauer Werke steuersparend unter das Dach von Hero in der Schweiz. Zum Portfolio gehört auch eine Beteiligung am Saatguthersteller KWS. Während das Reich von Arend Oetker und seiner Familie wächst, zerbröselt das der Verwandten in Bielefeld.

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