Im Ruhrgebiet gibt es dieses beliebte Sprichwort: „Woanders is’ auch scheiße.“ Man sagt es am besten mürrisch-schulterzuckend. Und in Situationen, die ausweglos scheinen. Etwa, wenn man vielleicht nicht in der schönsten Stadt der Welt wohnt – sondern in einer Stadt, in der die Menschen sagen, was sie denken. Wie der Bochumer Kabarettist Frank Goosen mit herrlich bescheidenem Ruhrpott-Patriotismus: „Heimat, dat is’ hier oder halt woanders.“
Umso verwunderlicher mag es da erscheinen, dass ausgerechnet die Stadt Dortmund – im Herzen des Ruhrgebiets – weltweit zuletzt den zweiten Platz der beliebtesten Reisedestinationen belegte. Das sagen zumindest die aktuellen Daten der Urlaubsplattform Airbnb. Und, noch eine Einschränkung, auch nur auf den Sommer 2024 bezogen, in den Monaten Juni, Juli und August. Aber immerhin! Die Stadt liegt damit noch vor Metropolen wie Tokio, New York, London, Paris und wie sie alle heißen. Und auch vor deutschen Städten wie München oder Stuttgart. Nur Brighton and Hove in Großbritannien – noch so eine auf den ersten Blick eher unscheinbare Stadt also – konnte Dortmund in dem Ranking schlagen.
Bevor man aber als überheblicher Münchner oder Hamburger auf Dortmund herumhackt, mit seinen grauen Zechenhäusern, dem Sechzigerjahre-Übergangsbahnhof, dem Kanal mit der braunen Suppe, den nur äußerst optimistische Menschen als Fluss bezeichnen würden, den alten Ruhrpott-Frauen, die mit Blümchenkitteln und Kissen bewaffnet aus dem Fenster schauen: Natürlich gibt es auch hier schöne Ecken, keine Frage. Es gibt das Westfalenstadion, direkt daneben ein riesiges Naturschutzgebiet mitten in der Stadt (für Ruhrgebietskenner: die Bolmke), es gibt das Kreuzviertel mit seinen wunderschönen Altbauten und den urigen Kneipen, es gibt Clubs in alten Zechengebäuden. Und allen voran natürlich die Menschen, die sagen, was sie denken. Wer will da noch nach New York?
Und doch muss man einräumen, dass all das nicht verantwortlich war für den Touristenboom. Dortmund hatte diesen Sommer wohl einfach nur Glück.
Zum einen war da natürlich die Fußball-Europameisterschaft. 700 000 Fußballfans besuchten die Stadt während der EM-Wochen. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 verzeichnete Dortmund lediglich 900 000 Gäste. Und dann waren da noch die drei Konzerte von Popstar Taylor Swift in der Nachbarstadt Gelsenkirchen, das sich vermutlich wegen einer genialen Marketingstrategie eines Pressesprechers prompt in „Swiftkirchen“ umbenannte. Weil dort aber die Übernachtungsmöglichkeiten knapp wurden, wichen Fans einfach ins 30 Kilometer entfernte Dortmund aus.
Dortmunder würden nun wohl gehässig einwerfen, dass sie in Gelsenkirchen (oder auch: Herne West) nichts verpasst hätten. Woanders is’ halt noch schlimmer.