100-Dollar-Laptop für Entwicklungsländer:Die Welt wird gerechter mit dem XO1

Per Computer die Welt verändern: Der Billig-Laptop könnte schon bald der meistverkaufte Rechner der Welt werden. Bei einem Preis zwischen 100 und 150 Dollar soll der Billigcomputer die Ausbildung von Kindern in Entwicklungsländern revolutionieren. Doch es melden sich vermehrt kritische Stimmen.

Paul Trummer

In zehn Jahren könnte die Computerwelt, die wir heute kennen, total anders aussehen: Windows könnte ein unbedeutendes Betriebssystem für Server sein, und in den Technikmärkten unterbieten sich die Laptop-Anbieter mit Preisen um 79,90 Euro.

100-Dollar-Laptop für Entwicklungsländer: Auch praktisch zu Tragen: der XO-1.

Auch praktisch zu Tragen: der XO-1.

(Foto: Foto: One Laptop per Child/Fuse Projekt)

Der Startschuss für diese mögliche Revolution am Computermarkt fiel von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt Mitte November in Thailand. Vom Fließband der Firma Quantas, die aktuell rund ein Drittel aller Notebooks weltweit ausliefert, rollten die ersten Tausend Stück des Laptops XO-1.

Besser bekannt unter dem Namen Label "100-Dollar-Laptop", soll der Billigcomputer bereits ab Mitte 2007 an Schüler in Argentinien, Brasilien, Lybien, Nigeria und Thailand ausgegeben werden.

Clevere Technik

Die technischen Details erregten bereits bei der Vorstellung des Projektes im Jänner 2005 beim World Economic Forum in Davos Aufsehen. Keine Festplatte, sondern nur ein AMD Flash Memory, ein kleines Display, das in der Produktion statt 100 Dollar nur 35 kostet; als Betriebssystem die Open-Source-Software Linux statt Microsoft.

Stolz ist man auf den geringen Energieverbrauch des Laptops, der notfalls auch manuell per Kurbel oder Fußpedal aufzuladen ist sowie zahlreiche Möglichkeiten, eine Internetverbindung herzustellen: via Satellit, Handynetz oder einem eigens entwickelten "Mesh"-System, das Kollegen im Umkreis von einer halben Meile als Internet-Repeater verwendet.

Doch der Wirbel, der um die ganzen technischen Details gemacht wird, ist den Initiatoren eigentlich gar nicht recht. In der New York Times beschwert sich Nicholas Negroponte, Vorsitzender der Organisation "One Laptop per Child": "Es ist, als ob Leute all ihre Aufmerksamkeit dem Boot von Columbus gewidmet hätten und keiner sich dafür interessiert hätte, wohin er segelt."

Das eine Produkt zur Weltverbesserung

Nicholas Negroponte will mit seinem Projekt nichts Geringeres als die Welt verändern. Der Mitbegründer des äußerst angesehenen Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston suchte mit seinen Kollegen nach dem einen Produkt, welches das nützlichste Lern-Tool für Kinder in Entwicklungsländern wäre.

Nachdem sich die Experten auf den Billig-Laptop geeinigt hatten und diesen für wichtiger als Handys oder Bücher erachteten, gründeten sie die Initiative One Laptop per Child (OLPC).

Ziel der Non-Profit-Organisation: Der Staat solle zu leistbaren Preisen Laptops in großem Stil kaufen, um Schülern in Entwicklungsländern ein effizientes Werkzeug zur Verfügung zu stellen, mit dem die Bildung verbessert werden kann. Wenn es den Kids nebenbei noch Spaß macht - perfekt.

Kritische Stimmen werden laut

Doch eben dieser zentrale Ansatz wird mittlerweile heiß diskutiert. Die Regierung Indiens lehnte die Teilnahme an dem Projekt ab, weil sie der Meinung war, man könne das Geld sinnvoller direkt in die Ausbildung der Schüler investieren.

Umweltschützer warnen vor Bergen von giftigem Elektroschrott aus kaputten Billig-Laptops, und die Entwicklungshelfer kritisieren, viele Schulen bräuchten zuerst einmal Bücher, bevor man sie mit Laptops beglückt.

Die Welt wird gerechter mit dem XO1

Die schärfsten Kritiker kommen jedoch aus der Industrie. Zu Beginn des Projektes taten sie es als Hirngespinst ab mit dem Argument, man könne keinen Laptop zu diesen niedrigen Kosten bauen. Nun, kurz vor dem Eintritt in die Massenproduktionsphase, wird die Kritik globaler.

Die Diskussion dreht sich um den Wert von Computern für das Lernen und die wirtschaftliche Entwicklung armer Regionen. Microsoft-Gründer Bill Gates stellt z.B. in Frage, ob es reicht, "einfach das zu übernehmen, was wir in der reichen Welt machen." Intel hingegen findet nur den Ansatz falsch und will statt der Schüler die Lehrer mit Billig-Laptops ausrüsten, die 400 Dollar kosten sollen.

Möglicher Umbruch des Marktes

Der Widerstand der großen Fische der Computerwelt ist verständlich: Bis Mitte 2007 möchte OLPC verpflichtende Zusagen für fünf Millionen Stück erhalten haben. Verhandlungen mit weiteren Ländern laufen.

Der XO-1 könnte damit bald Dell als meist-verkaufte Laptop-Marke ablösen: Der Marktführer konnte 2005 laut Heise 10,29 Millionen tragbare Computer absetzen.

Doch nicht nur der Hardware-Industrie drohen Umwälzungen: Durch die Auslieferung mit dem Gratis-Betriebssystem Linux wird diese Open-Source-Software schlagartig die Verbreitung erhöhen und damit die Vormachtstellung von Windows zumindest in den Entwicklungsregionen in Frage stellen.

Preisstruktur wird in Frage gestellt

Zudem stellt das Projekt die gesamte Preisstruktur der Computerindustrie auf die Probe: Eine Verbreitung von Billig-Rechnern um den Preis von 100 bis 150 Dollar wird es den profit-maximierenden Anbietern schwer machen, den an diese Preise gewöhnten potentiellen Konsumenten erheblich teurere Produkte zu verkaufen.

Nach der anhaltenden Kritik versucht OLPC nun selbst, sich aus der Schusslinie zu nehmen: Der 100-Dollar-Laptop werde nur an Schüler ausgegeben, mache damit am freien Markt keine Konkurrenz.

Dort sollten Leute weiterhin ihre Dell-Laptops kaufen. "Und falls jemand wie Intel uns preislich herausfordern möchte, sind das die besten Nachrichten für unser Projekt", so Negroponte zum International Herald Tribune.

Bis sich der Sturm gelegt hat, werden die Techniker bei OLPC etwas mit den 100-Dollar-Laptops tun, das wohl auch die Kritiker gerne tun würden: Sie lassen sie aus zwei Meter Höhe fallen, beschmieren sie mit Schmutz und schütten Wasser darüber.

Negroponte: "Wir müssen diese Maschine testen, testen, testen; unter den Bedingungen extremer Kälte, extremer Hitze, Schmutz, Staub, Dschungel und tägliche Misshandlung durch Kinder." Denn schließlich wird der XO-1 nur ein Erfolg, wenn er im Wüstenzelt in Lybien genauso problemlos funktioniert wie im Regenwald von Brasilien.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: