Doku-Reihe "Homo Digitalis":So will Audi verhindern, dass Roboter den Menschen die Jobs wegnehmen

  • Die SZ präsentiert in Kooperation mit Bayerischem Rundfunk, Arte und ORF die Doku-Reihe "Homo Digitalis". In dieser Woche geht es um die Zukunft der Arbeit. Sehen Sie oben die Episode und lesen Sie hier den Artikel zum Thema.
  • Eine Million Menschen arbeiten in der deutschen Autobranche. Viele dieser Jobs stehen auf dem Spiel.
  • Das Problem sind nicht Tesla oder der Dieselskandal, sondern Roboter.
  • Bei Audi wollen Betriebsräte und Manager gemeinsam verhindern, dass menschliche MItarbeiter durch Maschinen ersetzt werden.

Von Alexander Hagelüken

Sie machen es einem schon am Bahnhof klar: Ingolstadt minus Audi wäre nicht mehr Ingolstadt. Der Besucher besteigt einen Bus, der als Ziel "Audi Tor 10" angibt. Die Endstation ist nicht nach einer Straße benannt, nicht nach einem Platz, sondern nach einem Fabriktor. Verschwindet die Fabrik, müssen sie die Endstation umtaufen. Das wäre aber Kleinkram verglichen mit den Problemen, die Ingolstadt minus Audi insgesamt hätte.

Der Bus ruckelt über Kopfsteinpflaster, was einlädt, über die Entwicklung von Städten nachzudenken. Ingolstadt erlebte harte Zeiten, Hunger, Seuchen. Im Jahr 1800 schleiften die Franzosen die Festung, die Uni verschwand nach Landshut. Die Bewohnerzahl halbierte sich.

Vor dem Fenster kommen jetzt die grauen Fabrikhallen in Sicht, denen Ingolstadt seinen aktuellen Boom verdankt. Die Stadt zählt 135 000 Einwohner; 45 000 Menschen arbeiten bei Audi. Wer an der Endstation Tor 10 aus dem Bus steigt, betritt mehr als eine Autofabrik. Er betritt eine eigene Welt. Es gibt sogar eine eigene Metzgerei, die prämierte Weißwürste fertigt.

Die Doku-Reihe „Homo Digitalis“

Wie werden wir in Zukunft leben und lieben, denken und spielen? SZ.de präsentiert als Medienpartner die aufwendig produzierte Web-Doku-Reihe "Homo Digitalis" von Bayerischem Rundfunk, ARTE und ORF. Von Mittwoch an bis Dezember veröffentlichen wir im Wochenrhythmus sieben Videos und sieben Artikel zu Themen, die unser digitales Leben in der Zukunft betreffen. SZ-Autoren haben recherchiert: Wie sehen Beziehungen, Arbeit, Freizeit, Denken und Sex in der Zukunft aus? Eine Reise zu Sex-Robotern, Geliebten, die nur in sozialen Medien existieren, und zum neuen Menschen, der mit den Maschinen verschmilzt. Außerdem können unsere Leser testen, wie digitalisiert ihr eigenes Leben schon ist.

Es ist eine reiche, behagliche Welt, in der Betriebsräte in der Kantine auf weichen Sesseln Kaffee trinken. Die Betriebsräte treffen sich, weil ihre Welt bedroht ist. Wie 1800 geht es um eine Halbierung, diesmal sind aber nicht die Franzosen schuld. Sondern das Digitale. Die Ökonomen Michael Osborne und Carl B. Frey sagen in einer Studie voraus, Computer und Roboter könnten in den Industriestaaten jeden zweiten Arbeitsplatz ersetzen.

Eine Million Jobs in der Autobranche stehen auf dem Spiel

Bisher raubt die Digitalisierung bei Audi keine Jobs, betont ein Betriebsrat. "Aber Osborne/Frey ist definitiv ein Schocker". Und eine Gefahr, die die Audianer genauso angeht wie andere Autowerker - und im Übrigen alle deutschen Arbeitnehmer. Für die eine Million Jobs in der Autobranche ist es aber nicht die einzige Bedrohung.

Elektrofahrzeuge, die nach und nach Benzin- und Diesel-Pkw ersetzen könnten, lassen sich mit weniger Personal fertigen. Oder die E-Autos laufen gleich bei Tesla vom Band statt in Ingolstadt. Oder das große Geld wird künftig von Internetkonzernen mit Mobilitätslösungen verdient, die Autohersteller zu Zulieferern degradieren. Wird davon etwas wahr oder gleich alles zusammen, verschwinden massenhaft Jobs. Auch hier. Das wäre Ingolstadt minus Audi, zumindest minus große Teile.

Die Herren auf den weichen Sesseln setzen etwas dagegen. "Es wäre eine Illusion, die Digitalisierung aufhalten zu wollen", sagt Betriebsratschef Peter Mosch. "Es wäre aber auch eine Katastrophe, wenn wir uns von ihr überrollen lassen." Arbeitnehmervertreter stehen bei manchem im Verdacht, immer nur Nein zu sagen. Diese hier tun das Gegenteil. Gemeinsam mit der IG Metall werkeln sie an einer "Vision Ingolstadt 2030".

Was könnten die Jobs der Zukunft sein, was die Produkte? Sie laden Fachleute von Unis und Fraunhofer-Instituten ein, um Antworten zu finden. Kürzlich kam sogar Bundesarbeitsministerin Katarina Barley zu einem Kongress. Weil die Sorgen der Audianer die Sorgen vieler deutscher Arbeitnehmer sind, hat es exemplarische Bedeutung, was sie hier machen.

Die Roboter schweißen, die Menschen kontrollieren

"Wir können nicht sagen", so Mosch, "was in zehn oder 15 Jahren genau auf uns zukommt." Aber was immer es sein wird, der 45-Jährige will es gestalten. Oft sprechen ihn Kollegen an, die Bammel vor der Digitalisierung haben. Redet er ein wenig, erkennen sie: Sie stecken mittendrin.

Nach einem Austausch mit Sicherheitsleuten im Audi-Sprech ("das ist mit PI geklärt, wir gehen in die N60-2"), darf der Besucher in eine große Halle. Er sieht orange Roboter, deren Schwingarme aufeinanderkrachen wie im Science-Fiction-Film. Was er nicht sieht: Menschen. Da, vom Ende der Halle kommt einer mit Fahrrad. Früher schweißte er, nun tun es die Roboter. Sie schweißen die Karosserien des A4 zusammen. Und die Menschen? Machen Logistik, Wartung, kontrollieren, ob die orangen Riesen die Schweißpunkte treffen. Der Karosseriebau ist zu 98 Prozent automatisiert.

Einige Meter weiter schießt ein Kuka-Roboter Nieten in Schiebedächer. Ein Mechatroniker tut das Gleiche. Er drückt dem Besucher seinen Schrauber in die Hand. Ein paar Nieten ins Schiebedach bohren geht schnell. Dann wird es anstrengend. Das den ganzen Tag? "Der Roboter nimmt körperliche Belastung weg", sagt der 26-Jährige. Sie machen jetzt parallel, was er zuvor alleine machte. Und er greift ein, wenn der Roboter stockt. Nimmt der ihm irgendwann die Arbeit weg? "Der schafft uns nicht ab." Er denkt nach. "Momentan."

Der Betriebsrat will eine Jobgarantie bis 2025

Technisch könnte der Roboter den Job weitgehend alleine erledigen, als Vollzeitkraft braucht Audi hier keinen Menschen mehr. Womöglich würden die Manager Roboter stärker alleine einsetzen, doch der Betriebsrat drängt darauf, dass sie Teams bilden. Diese Kooperation ist einer der Pfeiler ihrer Vision "Ingolstadt 2030". Die Arbeitnehmer sollen dabei neue Qualifikationen lernen, etwa das Reparieren.

Audi nennt die Kooperation von Mensch und Roboter "beispielgebend". Der Mensch bleibe der Ursprung von Kreativität, sagt Produktionsvorstand Peter Kössler: "Bei allem Wandel wird deshalb auch in Zukunft der Mensch im Mittelpunkt stehen." Die Audi-Spitze erklärt es für besonders wichtig, dass keine Arbeitsplätze verloren gehen. Was die Betriebsräte gerne schriftlich fixieren wollen - durch eine Verlängerung der bisherigen Jobgarantie für die Mitarbeiter bis 2025.

Die Frage ist, ob ihnen das Audi-Management so entgegenkommt wie bisher, falls die Zeiten härter werden. Dabei geht es nicht nur um die Folgen der Abgasaffäre. Unternehmensberater sehen wegen Digitalisierung und Elektromobilität den größten technologischen Umbruch in der Geschichte der Industrie. Die E-Autos speziell bedrohen die herkömmliche Motorentechnik - also jeden vierten Job.

"Den Autobau macht uns so schnell keiner streitig"

Für Arbeitnehmer ist die Schlüsselfrage Qualifizierung, glaubt Betriebsratschef Mosch. Sich auf neue Tätigkeiten vorbereiten. Die Betriebsräte analysieren die Prozesse, um zu ermitteln, wo Jobs wegfallen. Sie entwickeln Ideen. Audi bietet Ingenieuren ein Kurzstudium für Elektroautos; so etwas wollen die Betriebsräte auch für andere Arbeitnehmer. Und sie schlagen eine interne Jobagentur vor, die Mitarbeitern rechtzeitig hilft, sich für neue Aufgaben zu qualifizieren - und sie zu bekommen. Beim Vorstand klingt das ganz ähnlich.

Mosch ist Optimist. Nachdem er vor 30 Jahren bei Audi gelernt hatte, erschrak er, weil die Mitarbeiter mit den Schweißzangen weniger wurden. Es ist der Job, den heute die orangen Roboter in Halle N60-2 erledigen. Mosch qualifizierte sich zum Meister. Später traf er manche Ex-Schweißer auf anderen Stellen an. Wandel ist normal, lernte er. Technologie ist nicht dein Feind. Bleibt es so?

Auf der Vorderseite seines Handys prangt das Logo der IG Metall, auf der Rückseite sind es die vier Ringe von Audi. Wie im Kleinen auf Moschs Handy führen Gewerkschaft und PS-Branche im Großen eine angenehme Ehe, ob in Ingolstadt, Wolfsburg oder Stuttgart. Die Arbeiter verdienen mehr als sonst, die Manager haben einen Partner für den Wandel. Diese Ehe ist in Gefahr, weil etwa Tesla mit E-Autos die Deutschen abhängen will. Mosch aber bleibt Optimist: "Den Autobau macht uns so schnell keiner streitig."

Es braucht immer weniger Menschen pro Auto

Die Betriebsräte hoffen, dass neue Konkurrenten nicht so tief in die Wertschöpfung einsteigen und daher Kooperationen brauchen. Und sie hoffen auf neue Geschäfte rund um Mobilität. Aber macht das nicht Google? "Audi hat sich eine neue Strategie gegeben", sagt Mosch. "Die Autohersteller erkennen die Zeichen der Zeit."

In der Messzelle der A8 Qualitaetssicherung im Karosseriebau tasten automatische Sensoren die Huelle

Die automatisierte Fabrik: Roboter überprüfen Auto-Karosserien mit Sensoren auf Unregelmäßigkeiten.

(Foto: imago/Stephan Görlich)

Aus Ideen sollen neue Jobs werden. Während er redet, wird klar, dass sie diese Strategie schon länger verfolgen. Durch die Automatisierung braucht es immer weniger Menschen pro Auto. Das wurde aufgefangen, weil Audi mehr und mehr Autos verkaufte. 2016 waren es 1,9 Millionen, fünf Mal so viel wie zu Moschs Lehrzeit vor 30 Jahren. So - und mit neuen Ideen - wollen sie auch künftig die Jobs sichern.

Hinter Moschs Schreibtisch hängt das Foto eines Vorkriegsmodells der Auto Union. Das ist ein Blick in die Geschichte. Nach dem Krieg enteigneten die Sowjets im deutschen Osten die Auto Union. Der Audi-Vorläufer startete in Ingolstadt neu - und begründete den aktuellen Aufstieg der Stadt. Von harten Zeiten zum Boom. Mosch hat einen Schaukasten mit kleinen Modellautos. Sein Liebling ist der A4. Den fährt er privat. Die Welt mag sich wandeln, für seine Leute und ihn soll es weiter so gut laufen.

Audi will auch in Zukunft Weißwürste aus der eigenen Metzgerei verkaufen

Was ist mit Forschern, die erwarten, dass immer intelligentere Roboter in ungeahntem Tempo menschliche Aufgaben übernehmen? Ex-VW-Personalvorstand Horst Neumann rechnete einmal vor, ein Roboter koste schon jetzt drei bis sechs Euro die Stunde, ein Autowerker 40 bis 50. "Diese Rechnung würde ich anzweifeln", sagt Mosch. "Aber ja, man muss drauf schauen, dass Kostendruck und Arbeitnehmerinteressen ausbalanciert werden."

Der Bus ruckelt über das Kopfsteinpflaster, zurück zum Bahnhof von Ingolstadt. Wird der Boom anhalten, oder kommen wieder schwerere Zeiten? Die Betriebsräte versuchen, gemeinsam mit den Managern an der Zukunft zu arbeiten. Es soll eine werden, in der die prämierten Weißwürste aus der eigenen Metzgerei nicht ausgehen.

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