Süddeutsche Zeitung

DIW-Studie:Ungleichheit wächst wieder

Die Einkommen in Deutschland sind seit 1991 unterschiedlich gestiegen. Die Reichen werden reicher.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland geht weiter auseinander. Von 1991 bis 2016 sind die verfügbaren Jahreseinkommen der privaten Haushalte real, also um die Inflation bereinigt, insgesamt um 18 Prozent gestiegen. Bei den Gut- und Spitzenverdienern war der Zuwachs aber deutlich stärker als bei den Geringverdienern. Dies geht aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Die DIW-Forscher sprechen darin von einem signifikanten "Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland", der 2016 seinen bisherigen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht habe.

"Über den gesamten Zeitraum von 1991 bis 2016 zeigt sich seit der Jahrtausendwende eine sich öffnende Schere. Dabei sind die Einkommen im oberen Bereich der Verteilung am stärksten gewachsen", heißt es in der Studie, die das Institut am Dienstag in Berlin vorlegte. Die Wissenschaftler Markus Grabka, Jan Goebel und Stefan Liebig unterteilten dafür die Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens in zehn gleich große Gruppen auf, in sogenannte Dezile. Das unterste Zehntel gibt die Einkommenssituation der ärmsten zehn Prozent wieder, das oberste das der reichsten zehn Prozent.

Top-Verdiener profitierten am stärksten vom Zuwachs der Einkommen

Das Ergebnis: Die verfügbaren Realeinkommen der höchsten Einkommensgruppe, des zehnten Dezils, haben sich seit der Wiedervereinigung bis 2016, dem Jahr mit den aktuellsten verfügbaren Daten, um immerhin 35 Prozent erhöht. Tatsächlich könnte der Zuwachs noch höher sein, weil die Topverdiener bei den zugrunde liegenden Haushaltsbefragungen unterrepräsentiert sind und ihre Einkommen damit vermutlich eher unterschätzt sind. Für das dritte bis neunte Dezil fallen die Zuwächse hingegen mit einem Plus von acht bis 19 Prozent deutlich geringer aus. Noch dürftiger blieb der Zuwachs bei den finanziell am schlechtesten Gestellten: Im zweiten Dezil stiegen die Realeinkommen in diesem Zeitraum um gerade einmal zwei Prozent. Und ganz unten, im ersten Dezil, nahmen die realen Einkommen laut DIW seit 2010 sogar ab, trotz Wirtschafts- und Beschäftigungsbooms in Deutschland.

Die Forscher führen dies vor allem auf die Zuwanderung zurück. Die Zahl der Ausländer in Deutschland hat sich dem DIW zufolge seit 2010 um gut drei Millionen auf zehn Millionen im Jahr 2016 erhöht. Bis die Migranten auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, vergehe aber Zeit. In den ersten Jahren nach ihrer Ankunft seien sie oft noch nicht erwerbstätig und "erzielen entsprechend niedrige Einkommen", heißt es in der Untersuchung. Andererseits profitierten die obersten 30 Prozent in der Einkommensskala seit 2010 von deutlich gestiegenen Mieteinnahmen. "Das ist einer der Faktoren, warum die Schere bei der Ungleichheit auseinandergeht", sagte Grabka.

Die Bürger haben dem DIW zufolge durchaus wahrgenommen, dass sich ihre finanzielle Situation verbessert hat. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Haushaltseinkommen weise "im Jahr 2017 im Vergleich zu 2007 und 1997 einen Höchststand auf".

Für ihre Studie hatten die DIW-Forscher das sozioökonomische Panel ausgewertet. Dabei wurden 2017 etwa 45 000 Menschen in mehr als 10 000 Haushalten unter anderem nach ihrer finanziellen Situation befragt. Trotz der gestiegenen Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen, gab eine knappe Mehrheit der Erwerbstätigen an, dass sie ihren Verdienst als zu niedrig ansehen. Knapp die Hälfte (43 Prozent) ist der Meinung, ihr Nettoverdienst sei, so wie er ist, gerecht.

In der Untersuchung legt das DIW auch Zahlen vor, wie hoch das Risiko ist, arm zu werden. Dies habe vor allem in den Großstädten zugenommen, was nach Einschätzung der Forscher auch an der Zuwanderung in die Städte liegen dürfte. Diese Entwicklung sei vor dem Hintergrund der steigenden Mietkosten "besorgniserregend". Die Politiker sollten sich wieder stärker um den Bau von bezahlbarem Wohnraum kümmern, "um Armut bei einkommensschwachen Personen zu vermeiden", fordern die Wissenschaftler.

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SZ vom 08.05.2019
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