Zerstörung, immer wieder Zerstörung. Sie muss einfach sein. Im Herzen des Kapitalismus dreht sich ein Kreislauf, den der Ökonom Joseph Schumpeter berühmt gemacht hat. Die „kreative Zerstörung“ ermöglicht technischen Fortschritt – und damit mehr Wohlstand. Sie führt zu Firmenpleiten, Entlassungen und dem Abstieg von Konzernen oder gar Staaten. Und sie führt zum Aufstieg von Start-ups mit neuen Erfindungen, vom Webstuhl über die Waschmaschine bis zur künstlichen Intelligenz (KI). In den Worten von Tim Wu, Juraprofessor und ehemaliger Berater von US-Präsident Barack Obama: „ein erbarmungsloser Kreislauf aus Vernichtung und Geburt, so unerbittlich wie der Weg allen Fleisches“.
Wie relevant die Theorie ist, zeigte sich diese Woche. Die Ökonomen Philippe Aghion und Peter Howitt erhielten den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sie haben Schumpeters Modell mathematisch nachgewiesen.
Aber wie genau kommt es in diesem kreativen Chaos zu Fortschritt – und warum hört er immer wieder auf? Das hat der schwedisch-deutsche Ökonom Carl Benedikt Frey in seinem aktuellen Buch „How Progress Ends: Technology, Innovation, and the Fate of Nations“ (erscheint am 26. Februar 2026 auf Deutsch) untersucht. Das Buch könnte Friedrich Merz im zähen Ringen um neues Wachstum in Deutschland helfen und erklärt auch einige Vorgänge in den USA. Dort bindet Donald Trump Hightech-Unternehmen wie Nvidia, Intel, Open AI und Meta eng an sich. Eben waren sie noch Start-ups, die Neues in die Welt brachten. Nun dienen sie den politischen Interessen eines Mannes, an den sie sich anbiedern müssen oder wollen. Selbst das Silicon Valley, der vermeintlich ultimative Ort der Innovation, könnte seine Ideenkraft verspielen. Frey sagt im Gespräch mit der SZ: „Das Management von Unternehmen wird sich wahrscheinlich ändern, weil man Manager und CEOs von Firmen will, die Politik können statt Technologie.“ Die derzeitige US-Regierung tue ihr Bestes, „um die Säulen der amerikanischen Dynamik zu untergraben“.
Frey beschreibt, dass Gesellschaften historisch auf zwei Arten Fortschritt anregen: In dezentralen, eher wilden Strukturen haben Erfinder viel Freiheit, um zu forschen und zu entdecken. So kommen neue Ideen in die Welt. Um die aber zu skalieren und zu etablieren, braucht es zentralisierte Strukturen – Regierungslabors, bürokratische Planung.

Ein Beispiel für den dezentralen Fortschritt war Frey zufolge die Erforschung der mRNA durch Katalin Karikó und Drew Weissman, die schließlich zu den Covid-Impfstoffen führte. Jahrelang wurde vor allem Karikó von anderen Forschern verlacht. Am Ende behielt die Außenseiterin recht. Die Start-ups Biontech und Moderna setzten ihre Forschung um und entwickelten die Impfstoffe. Etablierte Pharmakonzerne hatten die Innovation nicht gesehen. Experimentieren sowie Versuch und Irrtum über Jahre leisten sie sich nicht, zu wichtig ist das existierende Geschäft. Oft schaffen brillante, zähe Außenseiter den Durchbruch, von Katalin Karikó bis Elon Musk, der mit seinen riskanten Wetten auf Elektroautos und Raketen richtig lag (auch wenn die Begriffe Innovation und Fortschritt umstritten sind, weil sie von kommerziellen oder politischen Interessen aufgeladen sein können).
Es gibt keinen Kutschenhersteller, der in der Autoindustrie reüssierte
Frey sagt: „Regierungsplaner und Konzernmanager haben beide Probleme damit, Erfinder zu motivieren, deren Expertise tiefer geht als die von irgendwem sonst.“ Plakatives Beispiel für die Trägheit der Etablierten: Führende Kutschen- oder Fahrradhersteller taten sich schwer, Autos zu bauen. Henry Ford schaffte es, ein damals völlig neues Geschäft hochzuziehen.
Fortschritt ist kein Naturgesetz. Heute etwa sei Stagnation wieder überall, sagt Frey: „Innovation erschafft keine neuen Dinge mehr wie noch Mitte des 20. Jahrhunderts. So ziemlich jedes Gerät, das heute in unseren Küchen steht, wurde damals erfunden.“ Auch die USA und China seien nicht besonders innovativ, selbst wenn das den Europäern manchmal so vorkommt. Das erinnert ein wenig an den Investor Peter Thiel. Er beklagt sich, dass kommerzielle Flugzeuge immer noch genauso schnell fliegen wie Ende der 1950er-Jahre.
Frey ist aber kein Kreuzzügler gegen die Bürokratie wie die Tech-Oligarchen Thiel und Musk, im Gegenteil: In bestimmten Phasen könne der Staat Fortschritt erfolgreich managen, wie er am Beispiel von oben gelenkter Modernisierungen in Preußen und Japan im 19. Jahrhundert zeigt. Die mussten damals gegen Großbritannien aufholen, so wie es China in den vergangenen Jahrzehnten gegen den Westen tat. Den Fortschritt zentral per „Revolution von oben“ zu steuern, bietet sich für aufstrebende Nationen an. Dagegen müssten die schon führenden Staaten wie heute die USA und Deutschland Frey zufolge auf dezentrale „Erkundung“ setzen: unabhängige Erfinder, Start-ups, funktionierende Patentsysteme. Zum Glück stehen in schon erfolgreichen Ländern mehr Geld und bessere Infrastruktur zur Verfügung, um zu forschen.
Eine erfolgreiche Bürokratie kann Fortschritt auch behindern. Wegen seiner verkrusteten Strukturen stieg China im 15. Jahrhundert ab, nachdem das Land lange der wohl modernste Staat der Erde gewesen war.
Es geht nicht um Verbesserung des Bestehenden, sondern um weite Sprünge nach vorn, sagt Frey. „Wenn alles, was wir seit 1800 getan hätten, bloße Automatisierung gewesen wäre, hätten wir eine produktive Landwirtschaft und Textilindustrie, aber das wäre es auch schon. Wir hätten keine Impfstoffe, Antibiotika, Raketen, Computer, Autos.“ Trotz des Hypes sieht er bei KI noch keinen Durchbruch. „Jede Anwendung von KI, die mir einfällt, besteht im Wesentlichen darin, etwas, das wir bereits tun, ein bisschen schneller zu machen.“ Die Frage sei: „Nutzt man KI, um neue Dinge zu entdecken, die zu neuen Industrien werden, oder um E-Mails ein wenig effizienter zu machen?“
Was bedeutet das für Deutschland 2025? Im Digitalen liege Deutschlands Schwäche, sagt Frey. Die internen Barrieren für Dienstleistungen innerhalb der EU wirkten wie enorm hohe Zölle: Wer ein Start-up in einem Staat gründe, habe es anderswo in der EU schwer. Der Binnenmarkt existiert hier faktisch nicht. Frey fordert Deregulierung – zum Beispiel bei den EU-Regeln für KI und Datenschutz. Deutschland müsse in eine Phase der dezentralen Erkundung eintreten.
Er verweist darauf, dass das erfolgreichste Techunternehmen des Landes SAP ist – gegründet vor mehr als 50 Jahren, und das von ehemaligen IBM-Mitarbeitern. So wenig Zerstörung war selten.

