Süddeutsche Zeitung

Vergnügungsindustrie:Erstaunlich leere Galaxie namens Disneyland

  • Der Disney-Konzern hat sein Disneyland kürzlich um das "Star Wars: Galaxy's Edge" erweitert.
  • Angeblich kommen nun allerdings viel weniger Besucher als geplant.
  • Doch womöglich kommen entsprechende Berichte dem Unternehmen, das gewöhnlich nichts dem Zufall überlässt, gerade recht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es wird nun um Geld und Größe gehen, deshalb sei kurz angemerkt, dass die Wohnung von Walt Disney in Disneyland gerade mal 45 Quadratmeter groß gewesen ist. Wer den Freizeitpark in Los Angeles besucht, der findet diese Wohnung gleich am Eingang links, über dem Feuerwehrhaus. Disney hat dort gearbeitet, geschlafen, und manchmal, da hat er aus dem Fenster gesehen und zufrieden die vielen Leute beobachtet, wie sie zur Hauptstraße und von dort aus zu den Attraktionen gelaufen sind.

Es soll "The happiest place on earth" sein, der fröhlichste Ort auf diesem Planeten, es ist Druckbespaßung mit einer Präzision, die sonst nur auf Kreuzfahrtschiffen zu bestaunen ist. Zur Disney Cruise Line gehören vier Schiffe, bis 2023 kommen drei weitere dazu. Es muss immer irgendwo was los sein, möglichst an vielen Orten gleichzeitig - nicht deshalb, damit die Gäste immer was zu tun haben und irgendwann gar nicht mehr wissen, wohin mit all der Heiterkeit und all dem Frohsinn. Disneyland funktioniert nur dann, wenn sich die Leute (mehr als 720 Millionen seit der Eröffnung im Jahr 1955) auf die verschiedenen Bereiche verteilen und nicht verrückt aneinander werden.

"Für Disneyland-Verhältnisse fühlt es sich an wie eine Geisterstadt."

Die Vergnügungsfläche lag im Jahr 2019 bei 40 Hektar. Das sind 56 Fußballfelder. Sie haben den Park immer wieder vergrößert, vor sechs Wochen um das gigantomanische "Star Wars: Galaxy's Edge". Auf einer Fläche von 14 Hektar betreten Besucher den fiktiven Planeten Batuu in den äußeren Regionen der Star-Wars-Galaxie, es gibt eine Fahrt im Raumschiff Millennium Falcon, und in Oga's Cantina werden zum ersten Mal auch alkoholische Getränke ausgeschenkt. Das Problem: Es gibt Berichte, dass der Freizeitpark nun verlassen wirken würde, in der Zeitung Orange County Register steht sogar: "Für Disneyland-Verhältnisse fühlt es sich an wie eine Geisterstadt."

Die Firma hatte zunächst Maßnahmen ergriffen, um den prognostizierten Anstieg der Besucher in den Wochen nach Eröffnung des Star-Wars-Landes am 31. Mai verarbeiten zu können. Es gab neue Züge zur effizienteren Beförderung der Gäste vom Parkhaus zum Eingang. Und der Tagespass-Preis wurde um durchschnittlich zehn Prozent erhöht. Die Besitzer von Jahreskarten durften diese zunächst nicht nutzen. Disney blockt Tage, an denen viele Besucher erwartet werden, bereits seit Jahren - nun waren sämtliche Tage bis Mitte August geblockt, Mitarbeiter hatten keinen kostenlosen Zugang zum Park.

Dieser erwartete Anstieg der Besucherzahlen blieb offensichtlich aus, Gäste berichteten von leeren Bereichen, Mitarbeiter von gekürzten Arbeitszeiten. Auf dem gewöhnlich sehr gut informierten Blog Micechat gab es einen Bericht über Entlassungen und Einstellungs-Stopps, Einsparungen bei Shows wie Lion King und dem Ende von Attraktionen wie den Newsboys auf der Buena Vista Street. Zusätzlich befeuert wurden die Spekulationen dadurch, dass Mitarbeiter nun doch ohne Bezahlung in den Park dürfen und dass es rabattierte Eintrittskarten gibt.

Das Unternehmen veröffentlicht keine Zahlen zu Besuchern, in einem Statement heißt es über die Eröffnung des Star-Wars-Universums nur: "Durch diesen Bereich ist die Kapazität des Parks um 20 Prozent erhöht worden - gemeinsam mit neuen Angeboten, vorausschauender Planung und innovativer Technologie hat es für unglaubliches Feedback und Zufriedenheit unserer Gäste gesorgt." Es kann keinen Satz mit mehr Floskeln darin geben. Nun, es gibt auch Berichte von Gästen, die enttäuscht darüber gewesen sind, dass die zweite große Attraktion im Star-Wars-Land (Rise of the Resistance, eine interaktive Achterbahnfahrt) erst im Januar kommenden Jahres eröffnet werden soll, Reservierungen für Galaxy's Edge nötig waren und die Besucherzeit auf vier Stunden beschränkt war.

Als untrügliches Indiz dafür, wie voll Freizeitparks wirklich sind, gelten die Wartezeiten an den Achterbahnen und anderen Attraktionen. Die Los Angeles Times hat die Wartezeiten von knapp 85 000 Besuchern verglichen (Gäste können sie auf der Disneyland-Webseite veröffentlichen) und festgestellt: Im Juni vergangenen Jahres waren sie viel länger als exakt ein Jahr später, bei Splash Mountain etwa sanken sie von durchschnittlich 53 auf 21 Minuten, bei Buzz Lightyear von 29 auf zehn Minuten und bei Space Mountain von 64 auf 45 Minuten. Patrick Finnegan, Manager beim benachbarten California Adventure Park, der ebenfalls dem Disney-Konzern gehört, sagte dem Orange County Register, dass die Wartezeiten so kurz seien wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es sei deshalb ratsam, die beiden Parks in den kommenden Wochen zu besuchen.

Moment mal: Nichts passiert zufällig in diesen Freizeitparks, auch das gehörte zur Vision von Walt Disney, als er mit seinen Töchtern damals im Griffith Park in Los Angeles gespielt und festgestellt hatte, dass er außer Erdnüsse essen nicht viel zu tun hatte. Er wollte einen Ort kreieren, an dem Erwachsene und Kinder immer was zu tun haben. Ein Besucher jedoch, der in einer Schlange ansteht, der langweilt sich, und er gibt beim Warten kein Geld aus. Alles ist geplant, bis ins kleinste Details, der Konzern fand zum Beispiel schon vor Jahren heraus, dass Menschen durchschnittlich 27 Schritte gehen, ehe sie Abfall auf den Boden fallen lassen. Aus diesem Grund muss kein Besucher, gleich wo im Park er sich aufhält, mehr als 27 Schritte bis zum nächsten Abfalleimer machen.

Die Sparte "Parks and Ressorts" ist die umsatzstärkste des Konzerns

Könnte es sein, dass der Konzern dieses eine Milliarde Dollar teure Projekt nicht nur deshalb geplant hat, um Besuchern eine neue Attraktion zu bieten und die Kapazität des Gesamtparks zu erhöhen - sondern dass es diese Berichte über einen möglicherweise verhaltenen Start ganz bewusst in Kauf genommen hat, weil die Leute nun aufgrund der verkürzten Wartezeiten trotz der höheren Ticketpreise nach Disneyland kommen? Dass sie mehr bezahlen und dort dann ordentlich Geld ausgeben, am Abend zufrieden nach Hause fahren und denken, dass sie den Tag am fröhlichsten Ort der Welt verbracht haben?

Walt Disney war nicht nur ein Visionär, er war auch ein Meister im Geldverdienen. Die Sparte "Parks and Ressorts" ist die umsatzstärkste des Konzerns, die Einnahmen haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt auf mittlerweile 6,2 Milliarden Dollar im Vierteljahr. Das Unternehmen hat Franchises wie die Marvel-Superhelden (2009 für 4,24 Milliarden Dollar) oder das Star-Wars-Universum (2012 für 4,05 Milliarden Dollar) nicht nur gekauft, um Rekorde an den Kinokassen zu brechen, sondern auch, um die Freizeitparks attraktiver zu machen. Das scheint trotz, oder gerade wegen der Berichte über nicht besonders gefüllte Parks zu funktionieren. Würde Walt Disney noch leben und das hören, würde er in seiner 45-Quadratmeter-Wohnung über dem Feuerwehrhaus stehen, direkt am Eingang von Disneyland, und er würde sich zufrieden die Hände reiben.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2019/hgn
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