Disney:Einsam mit der Maus

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Eine sehr spezielle Kultur: Bob Iger (Mitte) heizt die Stimmung an in Disneyland Paris.

(Foto: Eric Feferberg/AFP)

Mehr als zehn Jahre steuert Bob Iger den amerikanischen Unterhaltungskonzern. Doch es scheint schwer zu sein, einen Nachfolger zu finden.

Von Kathrin Werner, New York

Eigentlich sind Bob Iger und Tom Staggs Freunde. Mehr noch als das: Staggs hat Iger das Leben gerettet. Im Jahr 2003, Staggs war damals Finanzchef von Disney, aß er zusammen mit Iger und anderen Managern des Unternehmens zu Mittag. Ein Stück Hühnchenfleisch blieb Iger im Hals stecken. Er hustete, konnte nicht atmen, sein Kopf wurde immer roter. Ein Kollege klopfte ihm hilflos auf den Rücken. Staggs sprang auf, umklammerte Igers Bauch, drückte zu - und das Hühnchenstück schoss heraus wie im Lehrbuch für das Heimlich-Manöver. Staggs brach Iger eine Rippe dabei, aber Iger konnte wieder atmen, berichteten mehrere Zeitungen. "Du bist ein Held", schrieb ein Vorstandsmitglied an Staggs. Zwei Jahre später wurde Iger Disney-Chef - und ist es bis heute, mit riesigem Erfolg.

Der Kronprinz gibt auf. Er war nicht der Richtige, sagen Brancheninsider

Noch nicht einmal das hat gereicht, um Staggs seinen Job bei Disney zu sichern.

Eigentlich sollte der 55-Jährige in zwei Jahren der Nachfolger des heute 65-jährigen Iger an der Spitze des Konzerns mit der Maus werden. Iger hat seinen Lebensretter seit Jahren gefördert und ihn auf die zweitwichtigste Position im Unternehmen befördert: den Posten des Chief Operating Officers (COO), der für das Tagesgeschäft zuständig ist. Disney hat es nie bestätigt, aber seit Staggs COO wurde, galt es als ausgemacht, dass er 2018 Disney-Chef wird.

Iger und Staggs sind ähnliche Typen: jugendliche, sportliche, lockere, gutbürgerliche Familienväter mit Kindern in ähnlichem Alter und einer beinahe lebenslangen Karriere bei Disney. Doch jetzt hat Disney verkündet, dass Staggs das Unternehmen verlässt. Der 6. Mai wird sein letzter Arbeitstag als COO sein. Damit geht eine lange und hoffnungsvolle Karriere zu Ende - die hoffnungsvollste seit der von Iger. Der Aufsichtsrat und auch Iger selbst hätten Staggs nach langer Prüfung für nicht gut genug befunden, wird in der Branche kolportiert. Nur: Disney steht jetzt ohne Kronprinz da.

Es ist ein schwieriger und vielseitiger Job, das milliardenschwere Reich der Disney-Filmstudios, der Fernsehsparte mit Sendern wie ABC und ESPN, der Freizeitparks und der Sparte für T-Shirts, Kuscheltiere und sonstige Accessoires zu führen. Disney hat einen Börsenwert von 164,5 Milliarden Dollar, einen Jahresumsatz von 52,5 Milliarden Dollar und 185 000 Mitarbeiter weltweit - alles mit steigender Tendenz. Und der Konzern hat treue Fans, die es nicht verzeihen würden, wenn Disneyland die Preise erhöhen würde, die Eisprinzessinnen-Puppe zu Weihnachten ausverkauft wäre oder im "Star-Wars"-Film die Falschen stürben.

Disney teilte mit, nun breiter nach Kandidaten für die Nachfolge von Iger zu suchen. Der Konzern hat eine Tradition komplizierter Chefwechsel, auch Igers Antritt im Jahr 2005 gingen jahrelange Querelen voraus, mehrere Kandidaten mussten gehen. Am Ende schaltete sich sogar ein Enkel des Konzerngründers ein, um Iger an die Spitze zu hieven. Dessen Nachfolge dürfte noch schwieriger werden. Denn der Konzern steht im Moment zwar so gut da wie nie zuvor, doch es gibt Warnzeichen, dass auf das Unternehmen Probleme zukommen. Iger hinterlässt große Fußstapfen, aber auch Baustellen, denen sich erst sein Nachfolger widmen kann.

Die letzten Jahre waren glücklich für Disney: Vor allem kleine Mädchen auf der ganzen Welt lieben die Königin aus dem Film "Frozen", der in Deutschland als "Die Eiskönigin - völlig unverfroren" bekannt ist. Erst verdiente Disney an den Kinokassen mit Elsa und ihrer kleinen Schwester Anna, inzwischen kommen die meisten Einnahmen aus der Sparte für Elsa-und-Anna-Figuren, eisköniginnenblaue Kinderschuhe, Kuscheltiere und allerlei anderes Disney-Zubehör. Auch die Erlöse durch Urlaubsresorts, Freizeitparks und Kreuzfahrtschiffe steigen solide. Der Freizeitpark in China steht nach jahrelanger Bauzeit kurz vor der Eröffnung. Und das jüngste Quartal war dank des neuen "Star Wars"-Films das profitabelste aller Zeiten: 2,9 Milliarden Dollar Gewinn in den drei Monaten von Oktober bis Dezember. Als Krönung hat dann auch noch der Streifen "Inside Out" der Disney-Tochter Pixar den Oscar für den besten Animationsfilm gewonnen. Erfolge, die auch auf die geglückten Übernahmen der Ära Iger zurückzuführen sind: Lucasfilm, Pixar und Marvel sind heute Teil von Disney.

Andererseits steht die Fernsehsender-Sparte vor Schwierigkeiten, insbesondere der Sportkanal ESPN. Immer mehr Menschen verzichten aufs Fernsehen und schauen nur noch Filme und Serien im Internet, zum Beispiel bei Netflix. Die Abonnentenzahlen schrumpfen. Und Sportrechte werden immer teurer. Dabei war ESPN einst die Geldmaschine von Disney. Eine Lösung für die Probleme der Fernsehsparte ist nicht in Sicht - und wird eine der Hauptaufgaben des neuen Chefs sein.

Doch Staggs war einfach nicht "der richtige Typ für den Job", sagt Jeff Sonnenfeld von der Yale School of Management. "Ich glaube, dass der Aufsichtsrat bestens funktioniert hat. Es wäre einfach gewesen, die Sache laufen zu lassen und einen Typ zum Chef zu machen, der einen ordentlichen Job gemacht hätte - aber nicht kreativ ist." Disney brauche aber jemanden mit Vision. Jemanden wie Iger.

Der Betriebswirt Staggs hatte nach seinem Studium eine Weile an der Wall Street gearbeitet, er war Investmentbanker bei Morgan Stanley, was bei den Disney- Aktionären gut ankam. Vor 26 Jahren kam er zu dem Unterhaltungskonzern, fing als Manager für Finanzplanung an und arbeitete sich Schritt für Schritt hoch bis auf den Posten des Finanzvorstands. Später wechselte er an die Spitze der Sparte für die Freizeitparks und Kreuzfahrtschiffe, um zu lernen, wie das Geschäft funktioniert. Später wurde er dann COO - wieder, um zu lernen und sich zu beweisen. Doch er blieb in den Augen vieler Entscheider immer ein Zahlenmann.

Trotzdem gibt es keinen anderen Kandidaten, der Disney so gut kennt wie Staggs. Sein einstiger Rivale um den Chefposten, Finanzchef Jay Rasulo, ist schon im vergangenen Juni gegangen, nachdem klar wurde, dass Staggs der Favorit war. Es gehört zur Tradition bei Disney, dass der Vorstandschef intern gefunden werden und sich seit Jahrzehnten bei Disney bewährt haben soll. Das könnte diesmal schwer werden, Staggs galt als der bei Weitem beste Kandidat im aktuellen Management.

Als mögliche Kandidatin wird auch Facebook-Managerin Sheryl Sandberg genannt

Jetzt spekulieren Beobachter über mögliche Nachfolger von außen. Sie dürften es schwer haben in Disneys sehr spezieller Unternehmenskultur, wo Konzernchefs auch mal in bunten Kurzarmhemden neben Mickey Mouse posieren müssen, gute Laune quasi Vorschrift ist und der Vorstand in einem orangefarbenen Gebäude sitzt, dessen Dach von den sieben Zwergen getragen wird. Facebook-Managerin Sheryl Sandberg, die im Aufsichtsrat von Disney sitzt, wird immer wieder genannt. Sie kennt sich mit Werbung und Technik aus, allerdings nicht mit den kreativen Inhalten. In Betracht käme auch Peter Chernin, ehemaliger Topmanager beim Medienkonzern News Corp. "Disney zu führen ist wie ein Land zu führen", zitiert die Hollywood-Nachrichtenwebsite The Wrap einen Medienmanager und schlägt - augenzwinkernd - Barack Obama als Iger-Nachfolger vor, der ja nach der anstehenden Präsidentschaftswahl seinen Job los ist.

Vielleicht wäre es das Beste, wenn Iger einfach länger im Amt bliebe, glauben viele Beobachter. Eigentlich hätte der 65-Jährige schon bald in Rente gehen sollen, 2014 hatte er seinen Vertrag verlängert. Eigentlich hatte sich Iger vorgenommen, ein Football-Team nach Los Angeles zu holen. Beobachter hatten vermutet, dass er sich nach seiner Rente mit einem Teilzeitjob als Vereinsmanager beschäftigen wollte - doch dann scheiterten seine Pläne, ein anderer Bewerber bekam den Zuschlag der Football-Liga NFL. Er hätte also Zeit, Disney-Chef zu bleiben, ein Job, den er "ein Privileg" nennt. "Der beste Nachfolger für Bob Iger", schrieb Anthony DiClemente, ein Disney-Analyst bei der Bank Nomura, "könnte Bob Iger heißen."

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