Diskussion um Reform des Stabilitätspakts:Einfallstor für Rechenkünstler und Trickser

Diskussion um Reform des Stabilitätspakts: Bau einer Brücke in Griechenland: Europäische Sozialdemokraten fordern, staatliche Investitionen, die Jobs schaffen oder für Reformen anfallen, aus den erlaubten Defizitzahlen herauszurechnen.

Bau einer Brücke in Griechenland: Europäische Sozialdemokraten fordern, staatliche Investitionen, die Jobs schaffen oder für Reformen anfallen, aus den erlaubten Defizitzahlen herauszurechnen.

(Foto: AP)

Angriff auf den Stabilitätspakt: Europas Sozialdemokraten fordern, dass Länder mehr Schulden machen dürfen, wenn sie das Geld im Kampf gegen eine Krise investieren. Das ist gefährlich. Sinnvoller wäre es, wenn die Krisenländer mehr Zeit bekommen - und Deutschland mehr Verantwortung übernimmt.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Theo Waigel hat, als Bonn noch Bundeshauptstadt und er noch Bundesfinanzminister war, die wichtigste Schuldenregel in Europa mal in einem prägnanten Satz zusammengefasst: "3,0 ist 3,0 ist 3,0." Der CSU-Politiker wollte damit sagen, dass nur jene Länder der Währungsunion angehören dürfen, die sich pro Jahr Kredite in Höhe von allenfalls drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts leisten. Alles darüber ist verboten.

Griechenland hat dann vorgemacht, dass man diese Regel mit einer kreativen Buchführung durchaus umgehen kann - und auch Deutschland und Frankreich haben vor einem Jahrzehnt die Drei-Prozent-Grenze mehrfach gebrochen. Sie reformierten daraufhin flugs den Stabilitätspakt, der die Mitglieder der Euro-Zone eigentlich zum Maßhalten zwingen soll. Rund ein Jahrzehnt später tönt erneut der Ruf durch Europa, man möge den Stabilitätspakt doch bitte noch weiter lockern. Vor allem Frankreich und Italien drängen darauf - zwei Länder, die von sozialdemokratischen Regierungen geführt werden. Sie wurden in ihrem Ruf vom mächtigsten deutschen Sozialdemokraten unterstützt: von Sigmar Gabriel, SPD-Chef, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. Und ebenso von den Sozialisten im Europäischen Parlament.

Der Aufschrei ist groß - aber auch berechtigt?

Die Forderung aus Paris, Rom, Brüssel und dem Willy-Brandt-Haus läuft darauf hinaus, dass künftig Investitionen, die Wachstum und Jobs schaffen sollen, aus den staatlichen Schulden herausgerechnet werden sollen. Denn Investitionen seien, so das Argument, nötig, um Europa aus der Krise herauszubringen; Investitionen seien, so muss man das verstehen, gute Ausgaben, weshalb man sie anders behandeln müsse als schlechte Ausgaben, etwa für Soziales oder Beamtengehälter.

Der Aufschrei deswegen ist groß - vor allem bei all jenen in Deutschland, die seit Jahrzehnten ohne Rücksicht auf makroökonomische Zusammenhänge stur das deutsche Stabilitätsdogma predigen: bei den Wirtschaftsverbänden, vielen Ökonomen, den konservativen Kräften in CDU und CSU. Gabriel ruderte deshalb prompt etwas zurück. Aber ist dieser Aufschrei berechtigt? Oder steckt hinter den Reformplänen nicht doch ein richtiger Gedanke?

Hier muss man unterscheiden zwischen dem Problem, das es zu lösen gilt, und dem, was Matteo Renzi und François Hollande (und zunächst auch Gabriel) als Lösung vorgeschlagen haben. Das Problem ist offenkundig: Mit Sparen allein kommt Europa nicht aus der Krise. Im Gegenteil. Allzu rigide Einschnitte verschärfen die Lage der Krisenländer, weil dadurch zwar ihre Kreditaufnahme sinkt, die Wirtschaftsleistung aber ebenso - und sie in eine Abwärtsspirale geraten können.

Europa braucht mehr Wachstum

Selbst Wolfgang Schäuble hat deshalb schon vor Monaten betont, Griechenland brauche nicht bloß eine Sparpolitik, sondern nötig seien auch Maßnahmen, die das Wachstum fördern. Ein Problem, das - weil Europas Wirtschaft vernetzt ist - die gesamte Euro-Zone betrifft: Der Internationale Währungsfonds fordert schon seit Langem, Europa möge mehr investieren - vor allem jene Länder, die sich dies leisten können. Sprich: Deutschland.

Fraglich ist allerdings, ob die richtige Antwort auf dieses offenkundige Problem darin besteht, einfach den Stabilitätspakt so zu ändern, dass er allen Rechenkünstlern und Tricksern Tür und Tor öffnet. Denn darauf liefe es ja hinaus, wenn die nationalen Finanzminister künftig ihre Etats in gute Ausgaben (Investitionen!) und schlechte aufteilen könnten. Investitionen, die Wachstum fördern - das ist ein dehnbarer, unscharfer Begriff.

Richtig interpretieren statt umschreiben

Bedenklich ist zudem, dass nun ausgerechnet jene Länder auf eine Änderung des Pakts drängen, die in den letzten Jahren deutlich weniger Reformeifer gezeigt haben als die Griechen: nämlich Frankreich und Italien. Offenkundig geht es den dortigen Regierungen darum, jene Anpassungsschritte zu vermeiden, die nötig sind, aber Sympathien kosten.

Am Stabilitätspakt selber sollte man, das hat inzwischen auch Gabriel eingesehen, deshalb nichts ändern. Was man hingegen diskutieren kann und soll, ist die Frage, ob die Krisenstaaten mehr Zeit für ihre Reformprozesse bekommen sollten - und damit für das (Wieder-)Erreichen der Drei-Prozent-Grenze. Und auch, welche Länder mehr investieren sollten, um die Wirtschaft in Europa anzukurbeln - eine Frage, die sich vor allem an Deutschland richtet. Es muss also darum gehen, den bestehenden, hinreichend flexiblen Stabilitätspakt angesichts der Krise richtig zu interpretieren; schließlich ist er ja - dieser Zusatz wird gern weggelassen - ein Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es darf aber nicht darum gehen, dass man künftig nicht mehr weiß, ob 3,0 vielleicht in Wahrheit nicht 4,0 oder gar 5,0 sind.

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