Diskussion um Altersarmut:Bundesregierung erwartet steigende Kosten für arme Alte

Altersarmut kommt in der deutschen Statistik bislang praktisch nicht vor. Doch nun zeigen neue Zahlen, dass die Bundesregierung deutlich höhere Milliarden-Ausgaben für die staatliche Grundsicherung im Alter erwartet.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Armut im Alter ist in Deutschland "kein Massenphänomen". Das sagte der neue Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Zumindest die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes geben ihm recht: Derzeit erhalten gerade einmal 2,7 Prozent der 65 oder mehr Jahre alten Menschen die staatliche Grundsicherung im Alter, sozusagen das Hartz IV für Senioren.

Bundesweit waren das 2012 knapp 465 000. Hinzu kommen 435 000 jüngere Personen, die zu krank sind, um noch arbeiten zu können. Ihre Erwerbsminderungsrente ist so niedrig, dass sie ebenfalls diese Grundsicherung vom Staat zum Überleben brauchen.

In Zukunft dürften deutlich mehr Ruheständler die Hilfe vom Steuerzahler benötigen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet damit, dass 2025 bereits jeder zehnte Rentner auf die Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird. Der Rentenpräsident selbst nennt lieber keine Zahlen, aber auch er befürchtet eine wachsende Altersarmut, ob bei Solo-Selbständigen mit einem geringen Einkommen, Langzeitarbeitslosen oder Arbeitnehmern mit dauerhaft geringen Löhnen.

Nun hat die Bundesregierung Zahlen vorgelegt, die neuen Stoff für die Diskussion um die Altersarmut liefern. Demnach erwartet das Bundesarbeitsministerium in den nächsten vier Jahren weiter kräftig steigende Kosten für die Sicherung der Existenz von armen alten Menschen. Dies ergibt sich aus der Aufstellung des Haushalts für 2014 und Antworten des Ministeriums auf Fragen der Linken-Bundestagsfraktion, die der SZ vorliegen.

Binnen vier Jahren werden die Kosten um 1,6 Milliarden Euro zulegen

Die Bundesregierung, über deren Haushaltspläne in dieser Woche im Bundestag diskutiert wird, kalkuliert so: Die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind in den vergangenen fünf Jahren jährlich um etwa sieben Prozent gestiegen. Die Anzahl derjenigen, die von diesen Leistungen profitieren, wuchs von 2011 bis 2012 ebenfalls um 6,6 Prozent. Also rechnen die Fachleute im Arbeitsministerium, dass die Ausgaben bis 2018 weiter um jährlich sieben Prozent zunehmen.

Und das kostet einen ziemlich großen Batzen zusätzliches Geld: Im laufenden Jahr 2014 muss der Bund voraussichtlich 5,493 Milliarden Euro lockermachen, um die Existenz von 65-Jährigen und Älteren sowie von Erwerbsgeminderten zu sichern. 2018 werden es nach den Planungen des Arbeitsministeriums bereits 7,154 Milliarden Euro sein - etwa 1,7 Milliarden Euro zusätzlich. Nimmt also die Altersarmut schon in den nächsten Jahren rasant zu?

Arbeitsministerium warnt vor voreiligen Schlüssen

Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) warnt vor voreiligen Schlüssen: "Der Finanzplan geht nicht von einem deutlichen Anstieg der Altersarmut aus", sagt er und weist darauf hin, dass der Anteil der Empfänger von Grundsicherung im Alter von 65 Jahren und älter an der entsprechenden Bevölkerung in den vergangenen Jahren nur leicht von knapp 2,5 auf 2,7 Prozent gestiegen sei.

Ein Hauptgrund für die höheren Ausgaben ist für das Ministerium die demografische Entwicklung. "In den kommenden Jahren wird die Anzahl der 65-Jährigen und Älteren an der Gesamtbevölkerung weiter ansteigen und damit auch die Anzahl der Anspruchsberechtigten", sagt der Sprecher. Außerdem könnten sich die Kosten auch vergrößern, ohne dass die Anzahl der armen Alten entsprechend zunimmt, etwa weil wegen steigender Mietpreise Unterkünfte teuer werden.

2013 belief sich die Grundsicherung im Alter im Durchschnitt auf 707 Euro im Monat. Die Höhe hängt aber stark von den Kosten fürs Wohnen und damit vom Wohnort ab sowie vom anrechenbaren eigenen Einkommen. Trotzdem hält der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias Birkwald, die Haushaltszahlen für alarmierend: "Das Rentenpaket ändert nichts an der deutlich hörbar heranrauschenden Welle neuer Altersarmut", sagt der Bundestagsabgeordnete. Das allgemeine Rentenniveau werde durch das Rentenpaket, für das alle Ruheständler durch geringere Rentenerhöhungen zahlen müssten, sogar "noch tiefer sinken".

Auch deshalb plant die Bundesregierung von 2017 eine sogenannte solidarische Lebensleistungsrente. Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, doch wegen seines niedrigen Verdiensts mit seinen Beiträgen nur auf eine Minirente kommt, soll dann zumindest ein Altersgeld von 850 Euro erhalten.

Verglichen mit dem Rentenpaket, das jährlich zwischen neun und elf Milliarden Euro kosten wird, sind die Ausgaben dafür am Anfang sehr niedrig angesetzt. Die Zugangshürden für die neue Rente für Geringverdiener, mindestens 40 Beitragsjahre, sind nicht leicht zu erreichen. In den ersten Jahren nach ihrer Einführung dürften zunächst nur wenige Tausend Rentner davon profitieren. So sind gemäß den Haushaltsplänen für die Lebensleistungsrente 2017 lediglich 22 Millionen Euro vorgesehen, 2018 sind es 49 Millionen Euro.

Birkwald hält die geplante neue Rente als Beitrag gegen die Altersarmut daher nur für "ein Placebo". Ähnlich bewertet dies Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Er sieht mit der Rente ab 63 die Prioritäten bei der Reform der Alterssicherung falsch gesetzt und kritisiert: "Die Berechnungen der Bundesregierung machen unzweifelhaft deutlich, dass in den nächsten Jahren weder von einer wirksamen Bekämpfung der Altersarmut noch von einer durchschlagenden armutspolitischen Wirkung der neuen Lebensleistungsrente ab dem Jahr 2017 ausgegangen wird."

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