Diskussion über Leistungsbilanzüberschuss:IWF fordert mehr Investitionen in Deutschland

Verschärft die Stärke der deutschen Wirtschaft die spanische Krise? Nein, sagt IWF-Chefökonom Olivier Blanchard im Interview und erklärt, warum die Exportüberschüsse der Bundesrepublik kein Problem sind - aber der Staat mehr Geld ausgeben sollte.

Von Bastian Brinkmann und Simone Boehringer

2009 Global Financial Stability Report - Press Conference

IWF-Chefökonom Olivier Blanchard (Archivbild von 2009)

(Foto: Getty Images)

Olivier Blanchard ist ein sehr höflicher Mann. Franzose eben, zudem Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Als solcher muss der 64-Jährige auch Diplomat sein - und wortkarg, wenn's brenzlig wird. In diesen Tagen war der Mann aus Washington in Europa unterwegs und spricht im Interview über den Kampf gegen die Krise. Für Spaniens Reformen hat er Lob, für Frankreichs Zaudern Kritik übrig. Und er kündigt an, die IWF-Hilfen zu reduzieren, sobald die Lage in Südeuropa besser wird.

SZ: Herr Blanchard, wie beurteilen Sie die Lage in der Euro-Zone? Ist das Schlimmste überstanden?

Olivier Blanchard: Die Euro-Zone erholt sich. Es ist zwar eine schwache Erholung, aber immerhin. Vorerst wird zwar die Haushaltskonsolidierung fortgesetzt, aber mit geringerem Tempo, und die Banken genesen auch langsam. Aufgrund dieser zwei Faktoren erwarten wir nächstes Jahr ein positives Wachstum um ein Prozent. Aber es gibt natürlich große Unterschiede zwischen den Ländern. Einige brauchen mehr Haushaltskonsolidierung als andere. Einige haben auch schwächere Banken. Das Ergebnis ist eine schwache Konjunktur und eine schwerfällige Erholung.

Welche Länder meinen Sie?

Nehmen wir zum Beispiel Spanien. Das Land hat gute Arbeit geleistet bei der Bereinigung der Bankbilanzen und Altbestände. Aber weil die Konjunktur nach wie vor schwächelt, häufen sich weiterhin Ausfälle gefährdeter Kredite, was wiederum die Banken in Mitleidenschaft zieht und dies wiederum verlangsamt die Konjunkturerholung.

Demnächst steht für die Banken ein neuer Stresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Erwarten Sie, dass neue Lücken in den Bilanzen auftauchen?

Die Stresstests werden gemacht, um genau das herauszufinden. Ich werde mich nicht dazu verleiten lassen, die Ergebnisse vorherzusagen. Mein Gefühl ist aber, dass diese Risiken tragbar sein werden.

Was passiert, wenn die Bankenunion kommt und die Institute sich zusätzliches Geld beschaffen müssen?

Im Moment ist es wichtig, die Stresstests durchzuführen. Wenn diese aufzeigen, dass es Bedarf nach mehr Kapital gibt, habe ich keine Zweifel, dass das Kapital gefunden werden wird. Teils durch Rettungsgelder von Gläubigern, teils durch nationale Regierungen und hoffentlich teilweise durch den Euro-Rettungsfonds ESM.

Ist das eine gute Lösung?

Die Zusammensetzung der Finanzierung wird sicherlich ein Kompromiss - ausreichend, aber nicht perfekt. Aber angesichts der Komplexität der Probleme und der unterschiedlichen Ansichten in den Ländern, ist dies für Europa nicht untypisch.

Je nach Höhe der Kapitallücke würde eine solche Lösung aber die Verschuldung der betroffenen Staaten nach oben treiben.

Ja, wenn die Rekapitalisierung aus Staatsmitteln kommt, dann erhöht sich die öffentliche Verschuldung. Deswegen meinen wir, dass eine direkte Finanzierung durch den ESM wünschenswert ist. Es gibt keine magische Verschuldungsgrenze, weder bei 90 Prozent der Wirtschaftsleistung noch einer anderen Größe, bei deren Überschreitung Investoren einfach aufhören, ein Land zu finanzieren. Ausschlaggebend ist, ob es einen glaubwürdigen Plan zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen gibt.

Die Glaubwürdigkeit von Regierungen hängt stark von der Glaubwürdigkeit der EZB ab, die ja versprochen hat, im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen und alles zu tun, um den Euro zu retten.

Ich bin anderer Meinung. Die EZB spielt eine wichtige Rolle, aber ersetzt nicht die Glaubwürdigkeit der Regierungen. Würden Regierungen unverantwortlich handeln, würde auch das Anleihekaufprogramm der EZB nicht helfen. Dies hat lediglich die Möglichkeit einer Liquiditätskrise beseitigt, bei der Investoren in Panik geraten und plötzlich deutlich höhere Zinsen verlangen, die kein Staat mehr zahlen kann. Sollte es ernsthafte Bedenken ob der Zahlungsfähigkeit von Staaten geben, könnte auch die Zentralbank wenig tun. Aber fast überall sehen wir vernünftige Regierungen. Die Sparprogramme waren oft extrem unpopulär und schmerzhaft, aber sie wurden umgesetzt.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Griechenland ein?

Das ist mit Sicherheit das Euro-Land, welches die schwierigste Anpassung durchmachen muss.

Im Juni 2014 laufen die Hilfen der Euro-Länder für Athen aus, aber im Haushalt fehlen mehrere Milliarden. Wie geht es dann weiter?

Die Verhandlungen laufen, wir werden dann sehen, wo wir am Ende stehen.

Aus Frankreich, Ihrem Heimatland, häuften sich zuletzt ebenfalls schlechte Nachrichten. So hat der französische Haushaltsminister Bernard Cazeneuve gerade erklärt, dass die Regierung mit Steuerausfällen von fünf Milliarden Euro rechne.

Die Situation dort ist nicht rosig, aber nicht so schlimm, wie manchmal beschrieben wird. Das Staatsdefizit Frankreichs ist ja dieses Jahr schon deutlich reduziert worden durch eine starke Haushaltskonsolidierung. Das Hauptproblem ist eher die hohe Staatsquote und die Steuerbelastung. Beide sollten reduziert werden.

Im Oktober hat die Ratingagentur Standard & Poor's Frankreichs Bonität heruntergestuft.

Ich glaube nicht, dass das Risiko von Zahlungsausfällen bei französischen Schulden besonders groß ist. Dies scheint auch die Meinung der Märkte zu sein, die bereit sind, Frankreich zu Zinssätzen zu finanzieren, die sich nahe der deutschen Zinsen bewegen und die auch nach der Herabstufung nicht stiegen.

Sie sagen, die Herabstufung war falsch?

Ich sage, obwohl sich Frankreich nicht vollständig erholt hat, sehe ich keinerlei bedeutendes Risiko, dass französische Schulden nicht bedient werden könnten oder dass es etwa ein höheres Risiko dafür gibt. Also, ja, in diesem Sinne denke ich, dass die Herabstufung nicht gerechtfertigt war.

Auch Deutschland bekommt zurzeit sein Fett ab. Die EU-Kommission moniert den Leistungsbilanzüberschuss. Der Vorwurf lautet, das Land exportiere zu viel und importiere zu wenig. Wie soll Deutschland den Überschuss abbauen?

Vielleicht bin ich hier deutscher als Sie. Ich sehe es nicht als selbstverständlich an, dass Deutschland seinen Leistungsbilanzüberschuss reduzieren muss. Es geht dabei doch um den Unterschied zwischen Sparen und Investieren. Obwohl die deutsche Sparquote mit denen anderer entwickelter Länder in Einklang ist, ist die Investitionsquote deutlich niedriger. Die Deutschen sollten sich daher die Frage stellen, ob dies gerechtfertigt ist. Öffentliche Investitionen etwa sind sehr niedrig - gerade jetzt, wo Kapital kostengünstig ist. Gibt es nicht gute öffentliche Investitionsprojekte, die es wert sind finanziert zu werden? Wenn die Antwort ja lautet, sollte mehr investiert werden. Dies wiederum würde zu einem kleineren Überschuss führen - und Deutschland ginge es besser.

Diskussion über Leistungsbilanzüberschuss: Öffenliche Ausgaben: eine Autobahn-Baustelle

Öffenliche Ausgaben: eine Autobahn-Baustelle

(Foto: Marco Einfeldt)

Wenn die EU-Kommission die deutschen Zahlen überprüft hat, könnten am Ende möglicherweise Sanktionen gegen die Bundesrepublik stehen. Denn ein Überschuss gilt aus europäischem Blickwinkel durchaus als schlecht, genau wie ein zu hohes Haushaltsdefizit.

Deutschlands Überschuss hat aber nicht viel mit Spaniens Krise zu tun. Es ist wahr: Wenn Deutschland die Binnennachfrage anschiebt, wird die Wirtschaftsleistung steigen, was wiederum die spanischen Exporte nach Deutschland ankurbeln würde. Aber der Effekt wäre gering - und es gibt bessere Möglichkeiten, wie Deutschland anderen Ländern Europas helfen kann: Erstens, indem Deutschland die Geldpolitik der EZB unterstützt. Zweitens, indem Deutschland hilft, die Bankenunion mit aufzubauen und die Banken in den Peripherieländern der Euro-Zone zu stabilisieren, ohne deren Staatsfinanzen zu gefährden.

Das sind klare Worte. Erst hat sich der IWF in der Euro-Krise zu wenig eingemischt, nun sind die Einlassungen zu Europa manchen in Brüssel und Berlin schon zu viel. Wie gehen Sie damit um?

Am Anfang der Krise war keiner darauf erpicht, den IWF dabei zu haben. Dann kamen die europäischen Regierungen zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeit des IWF doch von Hilfe sein könnte. Unser Finanzbeitrag ist relativ gering im Vergleich zu den Beiträgen der Europäer, aber wir geben Hilfestellung und Expertise bei der Umsetzung der Programme. Die Euro-Länder Griechenland, Portugal und Irland haben wir mit höheren Beiträgen unterstützt als es normalerweise in Standardprogrammen der Fall ist. Aber sobald sich die Situation verbessert, erwarten wir, dass sich unser finanzielles Engagement verringert.

IWF-Chefin Christine Lagarde wird als Kandidatin für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso nach den Europa-Wahlen 2014 gehandelt. Gibt es schon Diskussionen um ihre Nachfolge?

Blanchard (lacht): Erwarten Sie wirklich, dass ich diese Frage beantworte?

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