Süddeutsche Zeitung

Discounter in England:Die Deutschen kommen

Großbritanniens Einzelhändler stecken in der Klemme. Ausgerechnet zwei deutsche Discounter profitieren vom harten Kampf der Händler. Aldi und Lidl erobern die Insel.

Andreas Oldag

Für alteingesessene Londoner aus dem wohlhabenden Kensington und Chelsea ist es eine Art nationale Katastrophe. Vor kurzem musste das traditionsreiche Boutique-Kaufhaus The General Trading Company einen Administrator einbestellen. Das ist nach britischem Insolvenzrecht ein Verwalter, der ein Unternehmen vor einem drohenden Konkurs retten soll. General Trading Company, bei der Prinzessin Diana und Kronprinz Charles' neue Gattin Camilla Parker Bowles ihre Hochzeitsgeschenke-Liste auslegten, ist in die roten Zahlen gerutscht.

"Kommt nun das Ende für General Trading?", fragte ängstlich die Zeitung Evening Standard. Auch der reichen britischen Kundschaft sitzt das Geld nicht mehr so locker. Immerhin ist aber nun offenbar ein vermögender Investor eingesprungen, um das Haus mit seinen feinen Geschenke- und Designer-Waren in der Nähe des Londoner Sloane Square zu retten.

Ende des Booms

Die Hiobsbotschaften aus dem britischen Einzelhandel häufen sich: Jahrelang hat die erfolgsverwöhnte Branche von einem Konsumrausch auf der Insel profitiert. Angetrieben durch eine starke Konjunktur und ebenso durch einen beispiellosen Immobilienboom, der die Briten reich machte, waren zweistellige Wachstumsraten die Regel.

Doch jetzt verbreitet sich Katerstimmung. Deutlich geringere Bonuszahlungen in der Finanzindustrie, aber auch sinkende Reallöhne in anderen Branchen dämpfen die Kauflust. Im Juni sind die Einzelhandelsumsätze so stark wie noch nie gesunken. Die Statistikbehörde National Statistics vermeldete einen Rückgang von 3,9 Prozent gegenüber dem Vormonat - der größte Einbruch seit Beginn der Aufzeichnungen 1986.

Kürzlich trat der Chef der britischen Warenhauskette Marks & Spencer (M&S), Sir Stuart Rose, mit zerknittertem Gesicht vor die Presse und warnte vor einem trüben Konsumklima, das noch mindestens bis Ende 2009 anhalten werde. "Wir stellen uns auf schwierige Marktbedingungen ein", sagte Rose. Strikte Kostenkontrolle sei oberstes Gebot für das Unternehmen, das inzwischen etwa 40 Prozent seines Umsatzes mit Lebensmitteln erzielt.

Harter Kampf im Einzelhandel

Dabei hat das 125 Jahre alte Traditionsunternehmen M&S ohnehin mit besonderen Problemen zu kämpfen: Ähnlich wie in Deutschland wird das klassische Kaufhaus auch in Großbritannien von Megamärkten auf der grünen Wiese verdrängt. Während sich Traditionsmarken wie Marks & Spencer und John Lewis in der Vergangenheit auf üppigen Margen ausruhen konnten, ist der Kampf um Marktanteile durch große Gegenspieler wie Tesco und die zum US-Supermarkt-Konzern Wal-Mart gehörende Asda-Gruppe entbrannt.

Experten erwarten, dass die Konsumflaute den Konzentrationsprozess im britischen Einzelhandel anheizen wird. Schwächere Mitspieler werden zu Übernahmekandidaten. Auch für M&S könnten die Tage als eigenständiges Unternehmen gezählt sein. Die Cooperative Group (Co-op) schluckte vor kurzem Somerfield für 1,6 Milliarden Pfund (etwa 2,1 Milliarden Euro) und rückt damit zum fünftgrößten Supermarktbetreiber des Landes auf. Der britische Einzelhandelsunternehmer Malcolm Walker hat ein feindliches Übernahmeangebot für die krisengeschüttelte Kaufhauskette Woolworths abgegeben.

Noch sind die Marktführer Tesco und Asda mit einem Anteil von 31,2 beziehungsweise 16,8 Prozent im britischen Lebensmitteleinzelhandel unangefochten. Doch sie fürchten den Aufstieg der deutschen Discounter Aldi und Lidl, die auf der Insel nach Angaben des britischen Marktforschers TNS derzeit einen Marktanteil von 2,9 beziehungsweise 2,3 Prozent haben.

30 Prozent gespart

Tesco-Chef Sir Terry Leahy spricht bereits neidvoll von einem "Aldi-Effekt". Er meint damit, dass immer mehr britische Kunden die Vorteile der deutschen Billigheimer entdecken: Die Waren werden zwar auf schmucklosen Paletten angeboten, sind jedoch deutlich günstiger als die der Konkurrenz. Außerdem setzen die beiden deutschen Handelskonzerne auf ein Angebot von nur etwa 1000 verschiedenen Produkten, während Tesco und Asda auf eine Zahl von etwa 25.000 pro Supermarkt kommen. Das verteuert Logistik und Lagerhaltung.

"Sie sparen bei uns 30 Pfund für Ihren wöchentlichen 100-Pfund-Einkauf", verkündet Großbritanniens Aldi-Chef Paul Foley selbstbewusst. Die 430 Aldi-Märkte auf der Insel verzeichneten Brancheninformationen zufolge ein Umsatzplus von 21 Prozent im zweiten Quartal. Das Unternehmen trotzte damit dem allgemeinen Trend.

Kein Wunder, dass Aldi auf der Insel weiter aggressiv wachsen will. Um den Vormarsch der Deutschen zu stoppen, arbeitet nun auch Tesco an einem ähnlichen Konzept. Noch ist alles streng geheim. Doch wie in der Branche zu hören ist, will der Konzern schon bald Billigmärkte eröffnen. Das wird den Kampf um Marktanteile anheizen.

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SZ vom 21.08.2008/tob
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