Süddeutsche Zeitung

Discounter:Aldi räumt den Laden auf

Hauptsache billig? Mit dieser Strategie ist Aldi jahrelang gut gefahren. Aber die Konkurrenz hat aufgeholt. Jetzt will der Discounter mit Kaffee-Automaten und Toiletten Kunden zurückgewinnen.

Von Laura Terberl und Michael Kläsgen

Die Paletten verstecken sich jetzt hinter einer Blechverkleidung unten am Boden, aber es gibt sie noch. Und darauf reihen sich in Kartons Mehl, Zucker, Milch, Kompott und so weiter in langen Reihen, alles wie gehabt. Am Eingang steht ein Automat mit fair gehandeltem Kaffee. Aber den gibt's nebenan bei Lidl auch. Klar, die Fenster reichen jetzt bis zum Boden.

Aber trotzdem: Aldi hat sich hier in dieser renovierten Filiale im Gewerbegebiet von Unterhaching nicht neu erfunden. Und das war auch gar nicht beabsichtigt. Bloß nicht "zu schick oder zu edel wirken", lautete die Devise, sagt die Geschäftsführerin für den Zentraleinkauf Jeannette Thull. Man will die Kunden ja nicht verschrecken. Und Aldi will unbedingt weiterhin als günstig wahrgenommen werden. Andererseits kosten hinten in der neu gestalteten Obst- und Gemüse-Abteilung die einzelne Mango 1,59 Euro und die Avocado 1,39 Euro. Beides gibt es in manchen Supermärkten billiger.

An diesem neuen Konzept der "Filiale der Zukunft" hat Aldi fast zwei Jahre gewerkelt. Bis Ende 2019 sollen alle Aldi Süd Filialen so ähnlich aussehen wie in Unterhaching bei München. Mal mit Toiletten, mal mit Wickeltischen, mal mit Sitzbänken. Bisher galt bei Aldi nur: Billig sollte es sein.

Immer weniger Verbraucher wollen in zwei Geschäften einkaufen

In kaum einem anderen europäischen Land geben die Verbraucher so wenig Geld für Lebensmittel aus wie in Deutschland. Der Marktanteil der Discounter liegt bei über 40 Prozent. Doch neuerdings soll es nicht nur billig sein. "Verbraucher legen mehr Wert auf Qualität, sie möchten in einem angenehmen, wertigen Umfeld einkaufen", sagt Wolfgang Adlwarth, Marktforscher bei der GfK.

Qualität in einem ansprechenden Umfeld - dafür waren bislang die Supermärkte zuständig. Viele Kunden nutzen die Preis- und Qualitätsunterschiede, in dem sie in zwei Geschäften einkaufen: erst zu Aldi für die Schnäppchen und dann zu Rewe für die Auswahl. Das machen aber immer weniger Verbraucher, erklärt Adlwarth. "Der zusätzliche Gang zum Discounter lohnt sich für viele Kunden nicht mehr."

Die Handelsmarken der großen Supermärkte bieten ebenfalls Qualität zum Aldi-ähnlichen Preis - oder sogar günstiger. Dafür haben sie aber eine größere Auswahl. Kein Wunder also, dass die Supermärkte den Discountern Marktanteile abgeknöpft haben. Vor allem die von selbständigen Kaufleuten geführten Läden sind erfolgreich.

Auch Aldis Erzrivale Lidl hat in den vergangenen Jahren einiges besser gemacht. Lidl eröffnete europaweit Hunderte neue Läden und verringerte so Aldis Umsatzvorsprung auf drei Milliarden Euro. Lidl erneuert ebenfalls im Moment alle Filialen in Deutschland, kommuniziert das nur nicht so offensiv wie Aldi Süd. Lidl orientiert sich dabei an seinen Läden in Verona und investiert dafür mehr als sechs Milliarden Euro. Bei älteren Kunden hat Aldi zwar noch die Nase vorn und kann auf eine loyale Kundschaft vertrauen. Doch jüngere Konsumenten machen keinen Unterschied mehr zwischen den Discountern.

Um wieder attraktiver zu werden, hat Aldi mehr Marken wie Wagner-Pizza, Milka-Schokolade oder Red Bull eingeführt. Der Discounter wählt dabei genau die Produkte aus, zu denen viele Verbraucher eine starke Bindung haben, um sie wieder in die Läden zu locken.

Diesen Kampf führt Aldi nicht nur in Unterhaching, sondern in der ganzen Welt. Vier Jahrzehnte jagte Lidl Aldi hinterher. Jetzt treten beide zum Endspurt an. Aldi investiert Milliarden in die Filialen im In- und Ausland. Die Mülheimer expandieren in Australien, in Großbritannien und nach langem Zögern auch in den USA. Bis 2018 will Aldi dort mehr als 2000 Märkte eröffnen - und zwar nicht im bisherigen Ramsch-Look sondern mit dem neuen Filial-Konzept. Lidl modernisiert derweil seine Läden in Großbritannien und will von 2018 an die USA erobern.

Aldi leidet darunter, jahrelang zu sehr gegeizt zu haben. So geriet das Unternehmen in die Defensive. Das gilt vor allem für Aldi Nord. Dort war der Widerwille vor allzu viel Modernisierung noch stärker ausgeprägt als im Südteil. Jetzt beharkt sich der Norden zu allem Überfluss noch mit persönlichen Querelen. Unter den Erben ist ein lähmender Machtkampf um Pfründen und Einfluss ausgebrochen. Aldi Süd hingegen macht Tempo.

Kein Abschied vom Billigprinzip

So neu ist der Ansatz der Mülheimer aber nicht, wie sie glauben machen wollen. Der Discounter Penny hat die Entwicklung schon hinter sich: 2012 begann der Mutterkonzern Rewe damit, sämtliche Märkte umzubauen: Breitere Gänge, niedrigere Regale und ein attraktiveres Sortiment sollten dazu führen, dass sich Kunden bei Penny wohlfühlen und gerne einkaufen. Es gibt Snacks im Kühlregal, saisonale und regionale Produkte. Heute kommen zu Penny mehr Kunden als früher, die auch mehr Geld ausgeben.

So werden sich Supermärkte und Discounter immer ähnlicher. Experten sprechen von Trading-up. Dem Kunden wird mehr geboten und eine kleine Anzahl ist auch bereit, für Qualität mehr zu zahlen. Unterhaching ist bereits die elfte Filiale, die Aldi umgebaut hat. 200 sollen allein in diesem Jahr noch folgen. Trotzdem ist die Annäherung kein Abschied vom Billigprinzip. Die Preiskämpfe werden bleiben. Sie werden jetzt verstärkt bei Markenartikeln ausgefochten. Und damit hat Lidl angefangen. Bei Lidl in Unterhaching sieht man vielleicht auch deswegen die Aldi-Offensive gelassen. "Schau'n wir mal", sagt ein Mitarbeiter ausgesprochen entspannt.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2016
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