Süddeutsche Zeitung

Förderung:Digitalisierung per Losverfahren

Peter Altmaier hatte viel vor mit seinem Digitalisierungsprogramm. Doch statt den Mittelstand zu stärken, wurden Investitionen vermutlich sogar gestoppt. Die Unternehmer sind frustriert.

Von Nils Wischmeyer, Köln

Als Peter Altmaier im September vor die Kamera trat, wollte der Bundeswirtschaftsminister etwas bewegen. Mit dem neuen Programm "Digital Jetzt", bei dem "digital" natürlich englisch "didschitäl" ausgesprochen wird, will das Ministerium einzelnen Unternehmen bis zu 50 000 Euro als Zuschuss für digitale Projekte gewähren.

Es sollte Digitalisierungslücken im so wichtigen Mittelstand schließen, der nach Meinung vieler Experten zu wenig investiert. Altmaier lädt großzügig ein: "Wenn Sie das wollen, begleiten wir Sie gerne in Ihre, in unsere digitale Zukunft."

Vier Monate später zeigt sich, dass zwar Tausende Unternehmen wollen, das Bundeswirtschaftsministerium aber nicht liefern kann. "Digital Jetzt" hat viele technische Probleme und lässt Unternehmer und Unternehmerinnen frustriert zurück, wie Recherchen von Süddeutscher Zeitung und NDR zeigen. Das Programm könnte sogar einen kleinen Investitionsstau verursacht haben. Dabei sollte es doch eigentlich ein Schub nach vorne sein.

Es geht wieder einmal um Bürokratie: Wer keine Bestätigung hat, kann nicht loslegen

Den Förderbedingungen von "Digital Jetzt" zufolge darf ein Unternehmen ein Projekt nämlich erst starten, wenn es eine Bestätigung hat, dass es auch gefördert wird, was wiederum teils Monate dauern kann - wenn sie überhaupt kommt. Legt ein Mittelständler vorher los, fällt er offiziell durchs Raster, was bei vielen Firmen die Frage aufwirft: Sollen sie mit wichtigen Investitionen auf eine mögliche Förderung warten, weil sie gerade in der Pandemie ein wenig finanzielle Unterstützung gebrauchen könnten, oder kratzen sie das Geld selbst zusammen, damit es endlich weitergeht? Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand beim Deutschen Mittelstands-Bund (DMB), berichtet von Verunsicherung. "Anstelle einer Beschleunigung werden Digitalisierungsvorhaben vermehrt auf Eis gelegt. Das kann nicht Sinn der Sache sein", sagt er.

Das Verfahren sah bisher vor, dass die Unternehmen sich zunächst auf einer Webseite registrieren mussten, bevor sie einen Antrag einreichen konnten, woran es bereits scheiterte. 6000 Unternehmen bombardierten den Server zu Hochzeiten mit rund 300 000 Anfragen, was diesen den Erzählungen mehrerer Unternehmen zufolge "abrauschen" ließ. Das Bundeswirtschaftsministerium will von abrauschenden Servern allerdings nichts wissen. Die sehr hohen Zugriffszahlen hätten lediglich zu einer "langsameren Zugriffsgeschwindigkeit und somit zu längeren Ladezeiten geführt", heißt es auf Anfrage.

Was das in der Folge bedeutet, zeigt eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP, angeführt vom Bundestagsabgeordneten Gerald Ullrich. Bis Ende November waren gerade einmal 3530 Unternehmen registriert, wovon wiederum nur ein Drittel eine Förderung bekam, bevor das Fördervolumen aufgebraucht war. Gewollt und womöglich gebraucht hätten die Hilfe aber viel mehr Mittelständler. Ullrich: "In den vergangenen Monaten war es reiner Zufall, ob ein Antrag über die überlasteten Server überhaupt versendet werden konnte, bevor das Anmeldeportal geschlossen wurde."

Bei den Unternehmen, die leer ausgingen, führt das zum Investitionsstau, weil sie erst auf die nächste Runde warten müssen, um sich zu bewerben. Anfangen können sie aufgrund der Klausel in den Bedingungen auch nicht einfach, weil sie sonst ganz aus der Förderung fallen würden. Entsprechend frustriert reagieren einige.

"Die Server sind immer wieder abgerauscht"

Roman Keßler beispielsweise hat mit seinem Unternehmen Namasticket eine Plattform für Künstler geschaffen, über die diese Spenden, Downloads oder den Ticketverkauf verwalten können. Künftig will er das Projekt auf ganz Deutschland ausweiten. Dafür braucht er einen neuen Login-Bereich, der 100 000 Euro kosten würde. 50 000 hätte er gern von "Digital Jetzt", 50 000 Euro würde er selbst geben. Durchgekommen ist er in den ersten Monaten nicht. "Die Server sind immer wieder abgerauscht", sagt er.

Peter Proft, Zahnarzt aus Berlin, würde gern die Zahnabdrücke seiner Patienten scannen und digitalisieren. Die Investitionen dafür sind hoch, weshalb er pünktlich vor dem Rechner saß und die Seite im Sekundentakt aktualisierte, ohne Erfolg. "Einerseits hat man die Hoffnung, dass es klappt, und wartet und wartet deswegen. Andererseits verschiebt sich die Investition jetzt schon seit Monaten", sagt Proft.

Ein Unternehmer aus Thüringen wiederum wollte einen 3-D-Drucker beantragen, versuchte es ebenfalls mehrfach erfolglos. Am Ende hat er den Hightech-Drucker selbst gekauft, damit es irgendwie vorangeht, auch wenn das eine zusätzliche, finanzielle Belastung für ihn bedeutet.

Dass es so nicht weitergehen kann, hat das Ministerium gemerkt, ein höheres Fördervolumen beantragt und das Verfahren umgestellt. Die Registrierung steht nun jederzeit offen, was dafür sorgen soll, dass die Server nicht mehr überlasten. Am 15. jeden Monats wird dann unter allen Registrierungen gelost, wer seinen Antrag auf Förderung tatsächlich einreichen kann. "Dies ist ein erprobtes Förderverfahren, das auch bei anderen Förderprogrammen seit Langem erfolgreich durchgeführt wird", heißt es aus dem BMWi.

Glücklich ist damit kaum einer. Ein Unternehmer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: "Sarkastisch ausgedrückt ist das wie auf der Kirmes. Der kleine Mittelständler wird mit zur Losbude genommen." Tenbieg vom DMB sagt: "Das jetzt nachträglich eingeführte Losverfahren bremst die Digitalisierung im Mittelstand aus." Und Ullrich von der FDP sagt gar: "Diese Praxis ist unwürdig für den deutschen Mittelstand."

Mehr als 6000 Unternehmen haben sich für die erste Runde im Januar angemeldet, bei der es um ein Fördervolumen von fünf Millionen Euro gehen soll. Bekommen alle die maximale Fördersumme von 50 000 Euro, würde das Volumen aber für nur 100 Unternehmen reichen. Alle anderen müssen wiederum einen Monat warten. Oder die Investitionen ohne die Hilfe von Altmaiers Ministerium tätigen.

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