Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Wie Online-Dating

Die Digitalisierung bietet Investoren und Start-ups neue, vielversprechende Wege, einander zu finden.

Von Tanja Koch

Die Digitalisierung bietet immer mehr Möglichkeiten, Geldgeber zu finden oder attraktive Start-ups für ein Investment. Künstliche Intelligenz (KI) macht es möglich. Algorithmen liefern in Sekundenschnelle Verzeichnisse von Investoren und geprüften Start-ups und bieten so potenziellen Partnern wichtige Informationen.

Über die Plattform Capmatcher können Start-ups etwa Investoren suchen. Für diese Art der Akquise setzt die Firma maschinelles Lernen ein. "KI will ich es nicht nennen, der Begriff wird momentan totgeredet", erklärt Boris Hardi, der 2018 gemeinsam mit Philipp Berger Capmatcher gegründet hat. Für Investoren dagegen könnte Motherbrain, die Plattform des schwedischen Fonds EQT Ventures, etwas sein. Der Algorithmus erkenne erfolgversprechende Start-ups, noch bevor sie gehypt werden, lautet das Versprechen. Doch können Algorithmen persönliche Gespräche ersetzen? Reichen Benachrichtigungen auf dem Handy aus, um Investoren und passende Gründerteams zusammenzubringen?

Gegen eine Gebühr von 50 Euro können Geldgeber zehn Gründer pro Monat kontaktieren

Nils Högsdal, Prorektor für Innovation an der Hochschule der Medien in Stuttgart, sieht das Thema künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit der Investorensuche und Unternehmensfinanzierung kritisch. "Bei derartigen Prozessen geht es immer auch um persönliche Kontakte und Verhandlungen. Ich erwarte deshalb nicht, dass im Bereich KI noch viel passiert", erklärt der Experte für Unternehmensfinanzierung.

Högsdal unterscheidet zwischen drei Formen der digitalen Plattformen: Crowdfinancing, Directories und Full-Service-Anbieter. Beim Crowdfinancing erhalten Unternehmen von der Crowd, also mehreren Investoren oder Privatpersonen, gesammelt Geld - teils auch in Form von Krediten. Entsprechende Plattformen heißen etwa Seedmatch und Startnext. Auf klassischen Directories (Verzeichnissen) wie etwa Angel List können Investoren Start-ups finden und zum Beispiel unverbindlich einsehen, welche Finanzierungen sie bisher bekommen haben. Full-Service-Plattformen wie etwa Companisto gehen noch einen Schritt weiter. "Diese führen zum Beispiel auch die Vertragsverhandlungen", erklärt Högsdal.

Capmatcher, das Start-up, das mithilfe eines Algorithmus Investoren passende Start-ups vorschlägt, gliedert Högsdal zwischen diesen beiden Formen ein. Auch hier gibt es eine Art Verzeichnis, in dem Investoren nach Start-ups stöbern können. Gegen eine Gebühr von zum Beispiel 50 Euro können Geldgeber zehn Gründer pro Monat kontaktieren.

Für die Investoren lohnt sich das Angebot insofern, als Capmatcher bereits eine Vorauswahl trifft. Die Start-ups müssen in einem Fragebogen Informationen über das Team, die Geschäftsidee und bisherige Erfolge angeben. Von 100 Start-ups schließen nur 30 den Bewerbungsprozess ab. Capmatcher prüft die Bewerbungen und nimmt von den 30 nur 15 an.

Anstelle eines ausführlichen Pitch Decks, also einer Art Bewerbung, die Start-ups an Investoren reichen, erhalten die Geldgeber nur die für sie relevanten Informationen und Zahlen. Besonders interessant sei das Konzept für Investoren, die in anderen Ländern investieren möchten. "Aktuell haben wir eine Kooperation mit der Königlich Dänischen Botschaft in München laufen. Über die Botschaft suchen dänische Start-ups immer wieder zum Beispiel Investoren in Deutschland oder wollen mit deutschen Unternehmen Geschäfte machen", sagt Capmatcher-Gründer Boris Hardi. Wenn sie sich an das Konsulat wenden, erhalten sie das Formular für den Bewerbungsprozess. In 14 Ländern und auf fünf Sprachen sei Capmatcher aktiv.

Doch selbst innerhalb Deutschlands sei es für Investoren bisher schwer gewesen, Start-ups aus anderen Regionen kennenzulernen. "Der 55-jährige Business Angel aus Erlangen, der auf Maschinenbau spezialisiert ist, wird keine Studenten von der RWTH Aachen kennenlernen, das wird nicht passieren ohne uns", meint Hardi, der selbst seit einigen Jahren als BusinessAngel-Investor tätig ist. Der nächste Schritt sei Capmatcher Education, mit dem Hardi über digitale Kanäle Business Angels ausbilden möchte. "In Norwegen zum Beispiel gibt es unheimlich viele reiche Leute, die junge Unternehmen unterstützen können."

Nils Högsdal kann bestätigen, dass immer globaler investiert wird. Ein Grund dafür sei, dass Investoren günstiger an deutsche Start-ups kämen. Dennoch halte er die Globalisierung in diesem Bereich für überschätzt. In mehreren Fällen sollen Investoren aus dem Silicon Valley von deutschen Teams verlangt haben, in den USA eine eigene Gesellschaft zu gründen, da die deutschen bürokratischen und rechtlichen Bedingungen zu komplex seien.

Nicht nur für die Investoren, auch für die Gründerteams sollen digitale Plattformen Vorteile bringen. Ein Beispiel sei der Schutz sensibler Informationen. Auf ihren Bewerbungstouren geben Gründer laut Hardi meist zu viel preis. "Das ist beim Thema IT ganz wichtig. Viele Start-ups gehen vor ihrer Gründung viel zu leichtfertig mit ihrer Idee um", sagt er. "Es gibt Unternehmen da draußen, die Ideen klauen. Ich will jetzt nicht sagen, Investoren oder Accelerators, aber da muss man aufpassen."

"Die Investorensuche ist ein ermüdender Prozess."

Start-ups stehen noch vor einem anderen Problem, wenn sie möglichst vielen Menschen von ihrer Geschäftsidee erzählen: "Wenn die Story 200-, 300-mal erzählt wurde, ist die Perzeption: Der kriegt keine Finanzierung, das ist nichts", sagt Hardi. Mit einem Eintrag bei Capmatcher hingegen könne das Start-up dank des Algorithmus und der Investoren-Datenbank potenziell mit 120 000 Geldgebern weltweit in Kontakt kommen.

"Wenn Start-ups über Monate hinweg versuchen, Geld zu bekommen, und in dieser Zeit keinen Fortschritt vorweisen können, dann sind sie irgendwann tot", bestätigt Högsdal. Dass sich eine Geschichte eines Start-ups irgendwann abnutzt, bezweifelt er jedoch. "Investoren achten eher auf Aspekte des Geschäftsmodells, wollen wissen, inwieweit es das Problem tatsächlich gibt." Vielmehr sei es sogar positiv, wenn ein Investor drei Monate später erneut auf das Start-up stößt und etwa die Zahl der Kunden von 22 auf 52 gestiegen ist.

Der Vorteil an den digitalen Angeboten liege laut Högsdal eher darin, dass sie Start-ups Arbeit abnehmen können. "Die Investorensuche ist ein ermüdender Prozess", sagt er. Die sogenannten Roadshows, von denen im Zusammenhang mit Investorensuche gesprochen wird, seien teils wörtlich zu verstehen. "Die tingeln wirklich durch die Gegend und versuchen, Leute zu überzeugen." Ob sich Investoren überzeugen lassen, hängt nicht immer nur von der Geschäftsidee und den Zahlen ab.

Beim sogenannten Gender Bias beeinflusst das Geschlecht der Gründer den Investor bei seiner Entscheidung. Durch Anonymisierung versucht Capmatcher, dem entgegenzuwirken. Im Verzeichnis seien deshalb nur das Alter, das Studienfach, der Studienabschluss und die Berufserfahrung angegeben. "Da steht nicht Mann oder Frau. Da steht auch nicht schwarz oder weiß. Für uns ist es extrem wichtig, dass wir die Verzerrung bei der Auswahl herausnehmen und die Daten objektiviert darstellen", sagt Hardi.

Natürlich gebe es eine Diskriminierung. Doch am Ende investiere der Investor nicht ins Start-up, sondern ins Team, meint Nils Högsdal. Im Silicon Valley heiße es: Es gibt gute Ideen, die kein Geld bekommen, weil das Team mittelmäßig ist, und es gibt mittelmäßige Ideen, die Geld bekommen, weil das Team hervorragend ist. Dass der Algorithmus ein verzerrtes Ergebnis geliefert hat, kann also auch erst während des Kennenlernens auftreten, das auf den digitalen Erstkontakt folgt. "Es ist so ein bisschen wie Online-Dating. Sobald es ein bisschen konkreter wird, will man sich kennenlernen."

Um auf den Radar zu kommen, seien die Angebote hilfreich, sodass Högsdal Start-ups empfehlen würde, sich zu registrieren. Darauf verlassen sollten sie sich aber nicht. Der gesamte Entscheidungsprozess sei so individuell, dass er gar nicht vollständig digitalisierbar sei. "Da wird viel verhandelt, es geht um Detailklauseln oder um Sitze im Beirat", sagt Högsdal.

Dessen ist sich auch Capmatcher-Gründer Hardi bewusst. "Wir können nicht 100 Prozent des Vorgangs digitalisieren, aber die 80 Prozent, die a) digitalisierbar sind und b) extrem zeit- und kostenaufwendig, haben wir digitalisiert." Auch Hardi vergleicht die digitale Investorensuche mit Online-Dating und verspricht: "Wir sagen immer: Wir sind Tinder bis zur Restauranttür. Wir stellen sicher, dass das Start-up draußen vor der Tür zu 80 Prozent zum Investor drinnen passt."

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Quelle:
SZ vom 02.10.2019
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