Digitalisierung:Versichert von Amazon

Der Versandhändler will in den Versicherungsmarkt einsteigen und sucht bereits Personal. Zunächst geht es zwar nur um Policen für Produkte. Das aber könnte nur der Anfang sein. Die Branche spricht denn auch von einer echten Bedrohung.

Von Herbert Fromme, Köln

Fragt man Vorstände der Versicherer, die gerade mitten in Digitalisierungs- und Umbauprojekten sind, wie denn ihre Gesellschaft künftig auftreten will, gibt es regelmäßig eine Antwort: Versicherung soll so einfach sein wie ein Einkauf bei Amazon. Der Versandhändler ist das Maß aller Dinge bei Online-Angeboten. Es könnte sein, dass Versicherer bald ganz direkt erleben, wie einfach Versicherung nach Art von Amazon sein kann - weil Amazon selbst den Markteintritt vorbereitet.

Mit Anzeigen in den Netzwerken Linkedin und "Where Women Work" sucht der Internet-Riese Versicherungsprofis für den Standort London, wenn möglich mit Sprachkenntnissen in Deutsch, Französisch oder Spanisch. Amazon will Versicherungen im Zusammenhang mit seinen Produkten und Dienstleistungen anbieten.

Produktversicherungen, die mit hochwertigen Geräten verkauft werden, können sehr lukrativ sein

Bislang spielte die Versicherung für Amazon kaum eine Rolle. Das Unternehmen hatte einst mit der Munich Re-Tochter Ergo zusammen gearbeitet und hat jetzt den britischen Versicherer London General als Partner. Der Versender bietet irgendwo auf seinen Webseiten Geräte- und Diebstahlschutz für Laptops und andere höherwertige Artikel an. Andere gehen da forscher vor: In den Elektrogroßmärkten Mediamarkt und Saturn werben die Verkäufer bei Verkäufen über 200 Euro penetrant für eine Zusatzversicherung bei der Allianz. Billig ist das nicht: Für einen Laptop, der knapp 400 Euro kostet, schlägt eine Garantieverlängerung mit Diebstahl- und Unfallschutz mit 100 Euro zu Buche.

Amazons Zurückhaltung bei Versicherungen ist offenbar Geschichte. In den Anzeigen sucht das Unternehmen Versicherungsexperten, die "sich am Start eines neuen Unternehmens beteiligen wollen". Das Unternehmen wolle die Kundenerfahrung aus Produktversicherungen neu definieren und dabei "disruptiv verändern, wie die Policen gekauft und verkauft werden", heißt es im schönsten Marketing-Sprech. Und: "Wir haben ehrgeizige Pläne für erhebliches Wachstum in unseren bestehenden Märkten und werden neue innovative Produkte auf den Markt bringen."

Produktversicherungen, die zusammen mit hochwertigen Geräten verkauft werden, können sehr lukrativ sein. Die Provisionssätze für den Elektromarkt, die ein Versicherer auf Kosten des Verbrauchers zahlt, erreichen 40 Prozent bis 50 Prozent der Beiträge. Hohe Margen sind die Regel.

Allerdings dürfte es Amazon um weit mehr als diese Margen gehen. Start-ups und große Versicherer haben Produktversicherungen als wichtiges Angebot entdeckt. Sie treten bei jüngeren Leuten oft an Stelle von traditionellen Hausratdeckungen. Aus Sicht der Anbieter sind sie ideal für die Kundenbindung und Datensammlung - auf Basis der Daten kann ein Anbieter seinen Kunden weitere Angebote machen. Amazon verfügt über genaueste Kenntnisse über seine Kunden und ist in einer exzellenten Position, sie auch im Versicherungsmarkt zu Geld zu machen. Genau das macht dem Vorstoß so bedrohlich für die traditionellen Anbieter.

Die Amazon-Strategen dürften sich die neuesten Trends in der Produktversicherung genau angesehen haben. Das bekannteste Beispiel für ein Start-up in dem Segment ist Trov. Dort versichern Kunden einzelne Wertgegenstände wie Laptops, Kameras oder Fahrräder, die Policen sind minutengenau an- und abschaltbar.

Trov organisiert das Geschäft, trägt aber die Risiken nicht selbst. Aktuell ist es in Großbritannien und Australien tätig, dort sind Axa und Suncorp die eigentlichen Risikoträger. Nach dem Markteintritt in den USA und in Kontinentaleuropa wird der Rückversicherer Munich Re die Risiken in den Regionen übernehmen. Munich Re hat sich auch an Trov beteiligt.

Der Amazon-Vorstoß hat weitreichende Folgen für etablierte Anbieter und wird nicht auf produktbezogene Versicherungen beschränkt bleiben, glaubt Patricia Davies, leitende Versicherungsanalystin bei der Londoner Analysefirma Global Data. "Das wird eine echte Bedrohung."

Amazon sei dafür bekannt, die Kundenbedürfnisse an die Spitze seiner Vorschläge zu stellen. Davies weiter: "Amazon bietet klare, transparente Dienstleistungen wie die Möglichkeit, ein Paket nachzuverfolgen, die Lieferung am nächsten Tag, eine eindeutige Rückgabepolitik und die Kundenbesprechungen von Produkten." Die Versicherungsbranche sei weit davon entfernt, diese Art Kundenvertrauen und Transparenz zu erreichen.

"Die Mehrheit der Versicherer ist Lichtjahre hinter Amazon."

Global Data hatte in der Kundenbefragung zu Versicherungen in diesem Jahr auch gefragt, ob sich Kunden vorstellen könnten, ihre Autos oder Häuser bei Amazon zu versichern. 18 Prozent antworteten mit ja. "Britische Versicherer investieren in Technologie und digitale Dienstleistungen, aber die Mehrheit ist Lichtjahre hinter Amazon", schreibt Davies. Die Anbieter könnten aus dem Markt gedrückt und in die Rolle eines reinen Zulieferers gebracht werden, wenn Amazon nicht selbst das Versicherungsrisiko übernehmen wolle.

Die Versicherungsbranche hatte lange Zeit Furcht vor Start-ups, die in ihren Markt eindringen. Die hat sich weitgehend gelegt. Gleichzeitig haben viele Versicherer digitale Umbauprozesse begonnen und glauben, sie könnten sich ohne äußeren Druck selbst auf die neuen Kundenbedürfnisse und technischen Möglichkeiten einstellen. Allerdings warnen manche Manager davor, dass externe Anbieter wie Autohersteller und Internet-Konzerne mit Versicherungsangeboten auf den Markt kommen könnten, um ihre eigentlichen Produkte und Dienstleistungen besser zu vermarkten. Die Entwicklung bei Amazon bestätigt diese Sorge.

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