Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Speed-Dating mit Versicherern

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Auf einer Digitalkonferenz der Branche in Amsterdam werben Start-ups um Partner für ihre neuen Modelle. Die Versicherungswirtschaft erwartet revolutionäre Veränderungen - und sieht auch eine Bedrohung.

Von Friederike Krieger, Amsterdam

Cristian Pascual sollte umgehend zum Arzt gehen. Das rät ihm zumindest die künstliche Intelligenz, die ihn in den vergangenen fünf Minuten via Amazons Sprachassistent Alexa detailliert über seine angeblichen Bauchschmerzen ausgefragt hat. Pascual ist Chef des spanischen Start-ups Mediktor, das ein Programm zur Vordiagnose von Krankheiten entwickelt hat. Es soll unnötige Arztbesuche vermeiden und Patienten mit ernsthaften Leiden schneller zum richtigen Spezialisten dirigieren. Pascual präsentiert das Programm, das der spanische Versicherer Mapfre in seine Gesundheitsplattform Savia integriert hat, auf der Konferenz "Digital Insurance Agenda" (DIA) in Amsterdam.

Zu der Veranstaltung sind etwa 1200 Teilnehmer aus 50 Ländern in die Hallen der ehemaligen Westergasfabriek gekommen. Sie sind aus einem gewichtigen Grund hier: Es geht um nicht weniger als die Frage, wie die Versicherung der Zukunft aussieht. Eines ist sicher: Sie wird sehr viel digitaler sein als jetzt. Viele Kunden wollen ihre Versicherungsgeschäfte bequem per App oder zumindest im Internet erledigen. Policenabschluss und Schadenmeldung sollen so einfach funktionieren, wie ein Einkauf bei Amazon. Davon sind viele Versicherer noch meilenweit entfernt. Sie kämpfen mit alten IT-Systemen und hierarchischen Unternehmenskulturen - nicht die besten Voraussetzungen, um digitale Innovationen zu entwickeln.

"Wir sind nicht die besten Erfinder der Welt", weiß Marco Keim, Vorstand des niederländischen Versicherers Aegon. Er hält es für schwer bis unmöglich, Innovationen im eigenen Haus voranzutreiben. "Man kann noch so viel Geld in Innovationslabore stecken, die Innovationen finden draußen statt", glaubt er.

Die etablierten Anbieter schauen deshalb gespannt auf die Versicherungs-Start-ups, die sogenannten Insurtechs. Diese können wesentlich schneller mit neuen Angeboten auf den Markt kommen. Eine der vorrangigsten Aufgaben der DIA-Konferenz ist es, die beiden Seiten zusammenbringen. Im Acht-Minuten-Takt präsentieren mehr als 50 Insurtechs aus aller Welt ihre Geschäftsmodelle auf der Bühne der ehemaligen Fabrikhalle.

Die Gründer hoffen, einen Versicherer für sich zu begeistern. Ihnen fehlt es oft an Größe und Bekanntheit, um mit ihren Innovationen eine breite Masse zu erreichen. Ein bekannter Versicherungspartner für ihre Lösungen käme da gerade recht. Zwei Partner haben sich schon gefunden. Allianz-Manager Stephan Ruby verkündet bei der DIA, das er mit dem britischen Start-up Wrisk zusammenarbeiten will. Mithilfe der Firma, die einen einfachen Abschluss von Policen per App anbietet, will der Versicherer den Vertrieb von Kfz-Policen über Autohersteller auf eine neue Stufe heben. Heute verkaufen vor allem Autohändler die Verträge - mehr schlecht als recht. "Wir suchen nach neuen Wegen, um den Endkunden zu erreichen", sagt Ruby. Allianz und Wrisk wollen erst im britischen Markt aktiv werden. Ein nicht genannter Autohersteller wird dort ab September eine Kfz-Police auf Basis von Wrisks Technologie anbieten, die Kunden mobil abschließen können. Risikoträger ist die Allianz.

Den Versicherern stehen schwere Zeiten bevor, glaubt Daniel Schreiber. Der Chef des jungen US-Digitalversicherers Lemonade, der kürzlich auch in Deutschland an den Start gegangen ist, zählt zu den Stars der Konferenz. "Die Versicherungswirtschaft sieht sich revolutionären Änderungen gegenüber", prophezeit er. "Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben."

Als Bedrohung für die europäischen Versicherer gelten auch Anbieter aus Asien wie Ping An aus China. Sie versteht es wesentlich besser, Plattformen mit einer Vielzahl an Services rund um die Versicherung, sogenannte Ökosysteme, aufzubauen, um Kunden an sich zu binden. "Wenn man sich in Asien umgeschaut hat, wird einem klar: Wir sind leichte Beute", sagt Aegon-Manager Keim. Der steigenden Bedeutung des Kontinents zollt auch die DIA Respekt: Im Dezember findet die Konferenz in Hongkong statt.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2019
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