Digitalisierung:Weit abgeschlagen

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Red Hat waren die ersten, die mit quelloffener Software Milliarden verdienten. Ihr Deutschland-Chef Lindner über vertane Chancen.

Von Helmut Martin-Jung, München

Das Poster, für Robert Lindner ist es symbolhaft, heute noch. Vor zwölf Jahren, als er anfing bei der Software-Firma Red Hat, hing es im Büro an der Wand. Mahatma Gandhi ist darauf zu sehen, Pazifist und Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, dazu sein Spruch: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du."

Auch Red Hat habe mal so angefangen, heute ist das Unternehmen enorm erfolgreich, weil man eine gute Idee früh erkannt und mit Verve umgesetzt hatte. Eine einfache Idee eigentlich: Was in Software reine Grundlagentechnologie ist, entwickelt man am besten nicht alleine, sondern mit vielen. Ja, auch in Deutschland gibt es Open-Source-Firmen. Aber generell, sagt Lindner, herrsche doch immer noch deutsches Ingenieursdenken vor.

Ein Produkt müsse, wenn es auf den Markt kommen soll, feature complete sein, fix und fertig sozusagen. "Das lässt uns dazu neigen, Innovationen, die woanders entstehen, nicht ernst zu nehmen." Erst zu spät springe man auf, "aber dann ist es nahezu unmöglich, den Vorsprung noch aufzuholen".

Was Lindner daran besonders ärgert: "Wir könnten fantastische Produkte bauen, wenn wir weltweit entstehende Ideen aufnähmen." Einer der Gründe dafür ist für ihn das Over-Engineering, man könnte auch sagen: der deutsche Perfektionismus. In vielen Fällen, glaubt Lindner, würde erst einmal ein Produkt ausreichen, das die Minimalanforderungen erfüllt und das dann erweitert wird - am besten mit den Erfahrungen der Nutzer als Feedback.

"Ich würde die Digitalisierung des Staates massiv vorantreiben."

Warum sich das nicht ändert? Lindner macht eine "Bequemlichkeit des Geistes" aus, zudem würden viele Neuerungen durch eine "falsche Fehlerkultur" blockiert. Fehler zu machen, werde hier als Stigma aufgefasst. Auch regulatorische Barrieren behinderten oftmals den Fortschritt. Und dann natürlich: das Bildungssystem. Lindner ist bewusst, dass er sich hier auf ein weites Feld begibt. Vor allem ein Mentalitätswandel in der Politik und auch bei manchen Firmenlenkern könnte etwas ändern.

Stattdessen sei Deutschland seit vielen Jahren und in vielfacher Weise von Firmen aus dem Ausland abhängig. Er erkennt zwar an, dass es mittlerweile Initiativen wie Gaia-X gibt, mit der eine europäische Cloud geschaffen werden soll, um die Abhängigkeit vor allem von den USA zu verringern. Doch die seien "relativ zwanghaft gesteuert", findet er. Deutsche Firmen, sagt er zudem, machten zu viel selbst, anstatt zu überlegen: "Was davon ist kein Unterscheidungsmerkmal?"

Und was würde er ändern, wenn er Bundeskanzler wäre? "Ich würde die Digitalisierung des Staates massiv vorantreiben, um die Aufwände bei Unternehmern und Bürgern zu reduzieren." Das, so glaubt er, könne ein Leuchtturmprojekt sein, bei dem man auch mit anderen Ländern kooperieren könne.

Ferner würde er die partielle Überregulierung zurückfahren, die er für ein Innovationshemmnis hält. Die Hürden für Gründer würde er senken, "die Leute müssen sich mehr trauen können". Ein besonderes Anliegen ist ihm die digitale Bildung: "Da sind wir ganz fürchterlich hinterher." Das habe man während der Ausgangsbeschränkungen gesehen.

Alles negativ also? Nein, die Corona-Krise habe auch gezeigt, dass Deutschland agiler sei als gedacht, und: "Das Verständnis wurde geschärft." Die Fähigkeiten seien also da, aber sie müssten sich auch ohne den Leidensdruck durch die Pandemie zeigen. Gut sei, dass Deutschland die eigenen Schwächen immerhin erkannt habe.

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