Digitalisierung:Noch bringt die Zukunft der Gegenwart wenig

A visitor shakes hands with a humanoid robot at the booth of IBG at Hannover Messe, the trade fair in Hanover

Betriebe sollen künftig von der technischen Entwicklung profitieren. Doch die Investitionen zahlen sich noch nicht aus.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Neue Technologien sollen die Wirtschaft zukunftsfähig machen. Doch die Branche der Maschinenbauer ist damit noch nicht produktiver geworden.

Von Marcel Grzanna

Es herrschte ein Moment der Ratlosigkeit unter Deutschlands Maschinenbauern, als die Statistiker vor einer Weile diese besorgniserregenden Zahlen vorlegten. Schwarz auf weiß hatte der Sachverständigenrat der deutschen Wirtschaft aufgeschrieben, dass trotz jahrelanger Investitionen in die Digitalisierung die Produktivität der Branche zurückgegangen sei. Es wurde faktisch mit dem gleichen Arbeitsaufwand weniger Geld verdient als früher. Ein Schock: Gefühlt korrespondierte das überhaupt nicht mit dem Aufwärtstrend, den die Auftragsbücher auswiesen. Die Krise lag hinter der Branche. Wie konnte das also sein? Zahlen lügen doch nicht.

Man schüttelte sich kurz und stellte sich dem Problem, das auch sofort einen Namen fand: Produktivitätsparadoxon. Der Industrieverband VDMA setzte es ganz oben auf die Tagesordnung diverser Foren und Branchentreffen. Schnell war man sich einig, dass man dieses Phänomen genau untersuchen musste. Die Impuls-Stiftung des VDMA beauftragte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), der Sache auf den Grund zu gehen. Denn man war sich im Klaren: Wenn bei den deutschen Maschinenbauern schon umfangreich in Digitalisierung investiert wird, dann muss sich das auch lohnen. Sonst könnten die Verantwortlichen schnell auf die Idee kommen, sich neue Technologien und mehr Automatisierung zu sparen, wenn am Ende nicht einmal die Kasse klingelt. Die Folgen wären fatal, weil Deutschland in wenigen Jahren den Anschluss verlieren würde an die Mitbewerber aus China oder den USA.

Nichts weniger als die eigene Wettbewerbsfähigkeit steht also auf dem Spiel für einen der traditionsreichsten und immer noch weltweit respektierten Industriezweig dieses Landes. Wer in China durch Werkhallen chinesischer Unternehmen läuft, trifft auf Anlagen und Maschinen deutscher Ingenieurskunst. Doch man sieht auch zunehmend Produkte von lokalen Konkurrenten, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab, oder die einst mit der Herstellung von Kühlschränken oder Klimaanlagen ihre ersten Schritte auf dem Weltmarkt machten. Heute ist das Tempo bereits schwindelerregend, das die Unternehmen aus China, aber auch aus den USA vorlegen, deren Innovationskraft und Bereitschaft in neue digitale Technologien und Dienstleistungen zu investieren.

Schon vor Jahren stellte das Mercator-Institut für China-Studien aus Berlin fest, dass "die Verwirklichung der intelligenten Fabrik über den Aufstieg und Fall von Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften entscheidet." Deutschland als Partner sei den Chinesen sehr willkommen, doch "sobald chinesische Firmen die Technologielücke schließen, ist eine Verdrängung deutscher Unternehmen zu erwarten."

Noch sagen die Zahlen aber etwas anderes: Ende 2017 erreichte der Maschinenbau in Deutschland mit 1,03 Millionen Beschäftigten einen neuen Rekord. Die Umsätze kletterten seit 2011 stetig. Die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise sind lange abgeschüttelt. Deutsche Produkte waren im Ausland wieder gefragt wie eh und je, sie lagen um satte 20 Prozent über den Exporten 2008, dem letzen Jahr, bevor die Ausfuhren einbrachen. Die Umsätze erreichten fast jene Rendite wie in den Hochkonjunkturjahren vor der Krise. Und dennoch dieses verwirrende Produktivitätsparadoxon. "Für einen so innovativen und international aufgestellten Industriezweig wie den deutschen Maschinenbau ist diese widersprüchliche Entwicklung nicht nur erstaunlich, sondern auch einzigartig im Vergleich zu anderen Branchen in Deutschland und dem Maschinenbau in anderen Ländern", sagt Christian Rammer, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik und gleichzeitig Projektleiter der Studie. Die Forscher stürzten sich in die Arbeit, stellten Thesen auf, analysierten empirisch Zahlen und Statistiken aus den Unternehmen und führten Interviews mit zahlreichen Managern. Mitte Oktober dann legten sie das mit Spannung erwartete Resultat vor.

Die Digitalisierung liefert noch keine "Produktivitätsgewinne auf breiter Front"

Vier Thesen fanden die Forscher bestätigt: Die fortschreitende Digitalisierung liefert noch keine "Produktivitätsgewinne auf breiter Front", auch weil neue Geschäftsmodelle erst in der Entstehung sind und viele Unternehmen noch in der Investitionsphase. Soll heißen: Etwas Geduld, die Investitionen zahlen sich zeitverzögert aus. Zweitens erwirtschaften deutsche Firmen zunehmend im Ausland Profite, die nicht in die Produktivität am Standort Deutschland einfließen.

Zudem versuchten deutsche Maschinenbauer kontinuierlich, ihr Dienstleistungsangebot zu erhöhen. Das schafft Geschäftspotenziale einerseits. Andererseits aber sind Dienstleistungen weniger gut automatisierbar und haben deswegen strukturell ein niedrigeres Produktivitätsniveau. Viertens, so besagt die Studie, würde die reale Bruttowertschöpfung und damit die Produktivitätsentwicklung in der amtlichen Statistik unterschätzt, weil sich die Preisentwicklung im Maschinenbau wegen ständiger Veränderungen und Weiterentwicklungen der Maschinen und Anlagen nur schwierig erfassen lässt.

Alle Punkte relativieren das Problem der gesunkenen Produktivität. Dennoch mahnen die Verfasser der Studie zur Wachsamkeit und empfehlen dem Verband, besonders kleinere Unternehmen bei der Entwicklung digitaler Strategien zu unterstützen. Es gehe darum, Digitalisierung als ganzheitliche Aufgabe im Unternehmen zu sehen und sie nicht einigen wenigen im Betrieb zu überlassen. Arbeitskräften müsse mehr Kompetenz auf diesem Feld vermittelt werden. Unternehmen müssten dafür die digitale Infrastruktur schaffen und auch über den Tellerrand der eigenen Branche schauen und sich in anderen Wirtschaftsbereichen wie dem IT-Sektor inspirieren lassen. Im Klartext zusammengefasst: Digitalisierung muss endlich in die Köpfe der Leute. Dorthin, wo Innovationen entstehen.

Wohl auch deswegen appelliert und versichert Thomas Lindner, Vorsitzender des Kuratoriums der Impuls-Stiftung, in Richtung der Unternehmen. "Gerade die fortschreitende Digitalisierung im deutschen Maschinenbau wird dazu beitragen, dass die Branche mittel- bis langfristig Produktivitätsgewinne einfährt."

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