Digitalisierung:Nahles fordert mehr Möglichkeiten für Heimarbeit

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Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, mehr Spielräume für Beschäftigte zu schaffen. Die müssten nun noch konsequenter genutzt werden.

(Foto: imago stock&people/imago/Westend61)
  • Noch immer bekommen zu wenige Arbeitnehmer die Möglichkeit, auch von daheim aus im sogenannten Homeoffice zu arbeiten, ergab eine Studie im Auftrag von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.
  • Die Zahlen stagnieren deshalb seit 2013 - oft vor allem, weil Firmen schlicht aus Prinzip Wert darauf legen, dass ihre Mitarbeiter im Büro sind.
  • Allerdings scheitert das Arbeiten daheim in einigen Regionen noch immer an den langsamen Internet-Verbindungen.

Von Guido Bohsem, Berlin

Andrea Nahles (SPD) sieht keinen Anlass zur Furcht: Wer mit der Arbeitsministerin über das Thema Digitalisierung spricht, stellt fest, dass sie darin vor allem Chancen erkennt. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung betont sie die vielen Möglichkeiten, mehr Spielräume für die Beschäftigten zu schaffen. Dazu sei Umdenken notwendig, vor allem aber mehr Flexibilität. Das gelte für die Mitarbeiter und natürlich auch für die Unternehmen.

Nur jede dritte Firma bietet Homeoffice

Wie zum Beispiel beim Thema Homeoffice. Nach einer Studie, die Nahles für den in dieser Woche anstehenden IT-Gipfel der Regierung in Auftrag gegeben hat, bietet nur ein Drittel der Unternehmen ihren Mitarbeitern die Möglichkeit an, auch von zu Hause aus zu arbeiten. Bei größeren Betrieben sieht es etwas besser aus. Hier erlauben es immerhin etwa die Hälfte. Obwohl die Mitarbeiter es wollen und trotz der verbesserten Möglichkeiten, haben die Zahlen seit 2013 nicht zugenommen.

"Der Bedarf ist riesig", sagt Nahles im Interview. Zwar gebe es Regionen in Deutschland, wo der Breitbandausbau noch nicht weit genug fortgeschritten sei. Und natürlich gebe es Tätigkeiten, die man nicht von zu Hause aus erledigen kann. Jedoch werde die Möglichkeit eines Homeoffice oft nur deshalb nicht genutzt, weil in den Unternehmen auf Anwesenheit während der Arbeitszeit Wert gelegt werde. "Es geht vor allem um Präsenzkultur", so Nahles. Das müsse sich ändern. "Das Homeoffice ist größtenteils technisch machbar und die Arbeitnehmer wünschen es sich, also sollten wir uns auf den Weg machen."

Nachmittags Kinder hüten, abends arbeiten

Doch nicht nur an den Angeboten für ein Homeoffice mangelt es nach Nahles Worten. Auch bei den Arbeitszeiten könnte die deutsche Wirtschaft besser werden: "Wir müssen an die Organisation von Arbeit ran." Die Mehrheit der Deutschen sei laut Studie mit ihren Arbeitszeiten unzufrieden. So wünschten sich viele Vollzeitbeschäftigten mehr Freizeit und die meisten Teilzeitbeschäftigten mehr Arbeitszeit. "Da müssen wir einen Ausgleich hinkriegen", betont Nahles. Die neuen digitalen Möglichkeiten böten dafür gute Ansätze. "Sie eröffnen uns nicht nur Gleitzeitmodelle, sondern auch Gleitort-Modelle."

In der von ihr geleiteten Plattform "Digitale Arbeitswelt" habe man daher 23 Fälle untersucht, die allesamt gute Beispiele für mehr Zeit- und Ortssouveränität seien. "Die zeigen, dass das geht." Dabei geht es vor allem auch darum, die beiden Bereiche Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können. "So gibt es bei Robert Bosch die Möglichkeit, das Büro nachmittags zu verlassen, um die Kinder noch zu sehen und mit ihnen das Abendbrot zu genießen", erklärt Nahles. Die Arbeitszeit könnten die Mitarbeiter nach 20.30 Uhr nachholen, wenn sie die Kinder ins Bett gebracht hätten.

"Das Problem war zunächst, dass dann eine Spätschichtzulage fällig wurde", erzählt die Ministerin. Doch das habe man durch eine Betriebsvereinbarung gelöst. Ein anderer Ansatz finde sich beim Lüftungssystem-Hersteller Westaflex. "Das Unternehmen verwendet einen Schicht-Doodle (ein Zeitplaner-Programm), der nicht nur die Einsatzplanung regelt, sondern auch die Arbeitszeiten erfasst und automatisch auf Ruhezeiten hinweist, damit die Mitarbeiter sich nicht überlasten."

Mehr Überstunden im Homeoffice

Die Beispiele zeigten, dass Veränderungen möglich seien. "Wir brauchen einen neuen Flexibilitätskompromiss", fordert die Ministerin. Dabei sei der Gesetzgeber deutlich weniger gefragt als die Tarifpartner. "Ich muss mich als Arbeitsministerin besonders um die Fälle kümmern, in denen sich die Unternehmen aus der Tarifbindung verabschiedet haben." Hier brauche es gesetzliche Mindestregulierungen.

"Wir müssen flexibler werden, aber wir müssen unseren eigenen, sozialstaatlichen Weg zu mehr Flexibilität finden", fordert die Ministerin. Das könne Deutschland, sonst wäre es nicht Exportweltmeister. Das Arbeiten im Silicon Valley jedenfalls tauge nicht für Deutschland. "Ich glaube nicht, dass die Arbeitsorganisation im Valley ein Vorbild sein kann." Nach Nahles Worten darf man aber auch die Nachteile nicht übersehen. "Mitarbeiter, die zu Hause arbeiten, machen in der Regel mehr Überstunden", verweist die Ministerin auf ein Ergebnis der Studie - ohne dafür zusätzlich bezahlt zu werden. "Hier muss man vielleicht einen Kompromiss finden, wie zum Beispiel bei BMW, wo diese Mehrarbeit auf ein Konto gutgeschrieben wird." Zeitsouveränität sei etwas Positives. "Aber ich wäre schon gerne sicher, dass man die Überstunden erfasst."

Bedarf für mehr Flexibilität sieht die Ministerin auch im Management. "In den Unternehmen wird sich die Führungskultur ändern müssen, um mehr Kreativität und den Mut für verrückte Ideen freizusetzen." Flachere und flexiblere Hierarchien seien angesagt. "Das bedeutet eine große Herausforderung für die Wirtschaft." In den großen Unternehmen sei die gesamte Führungsebene herausgefordert, in den mittelständischen Betrieben der oftmals noch patriarchisch auftretende Eigentümer.

Nahles wünscht sich auch eine breitere Diskussion über die Auswirkungen der Digitalisierung. Das Thema gehöre dringend auf die europäische Ebene. "Da gibt es eine digitale Strategie und wissen Sie, was da nicht drin vorkommt? Die Zukunft der Arbeit." Sie sei davon überzeugt, dass es nötig sei, einen eigenen europäischen Weg zu finden. Die Entwicklung im digitalen Bereich schreite schell voran. "Wenn wir jetzt handeln, haben wir gute Karten, dass auch digitale Arbeit gute Arbeit ist. Aber wir dürfen die Entwicklung nicht verpassen."

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