Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Mehr Wumms

Wie modern ist Deutschland? Auf dem Plan-W-Kongress diskutieren eine Unternehmerin, eine Beraterin und ein Politiker über den aktuellen Zustand - und sehen Nachholbedarf auf mehreren Feldern.

Von Katharina Kutsche, Berlin

"Was glaubt Ihr, wie lange es dauert, den Bau einer Antenne in Deutschland zu genehmigen?" Diese Frage stellt Claudia Nemat in die Runde im Factory Görlitzer Park. Zwei Jahre, lautet die Antwort, nirgendwo sonst dauere das so lang, so die Vorständin für Innovation und Technik der Deutschen Telekom. Deswegen müsse man in Deutschland die Bauordnungen und Abläufe entrümpeln. "Wie kriegen wir mehr Wumms auf die Straße?", das sei das entscheidende Ziel, sagt Nemat.

Zu langsam, zu wenig Wumms also. Das ist keine schöne Antwort auf die Ausgangsfrage, wie modern Deutschland sei. Angetreten zu der Bestandsaufnahme sind neben Nemat der Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger (FDP), selbst ehemals Vorstand bei der Telekom, und Mirja Telzerow, Personalchefin bei der Unternehmensberatung AT Kearney. Und alle drei sind sich weitgehend einig darin, wo die Probleme liegen: Der Faktor Zeit spielt dabei immer eine Rolle.

Plan W-Kongress

Der erste Plan W-Kongress fand am 5. und 6. Juni 2019 in Berlin statt. Frauen und Männer aus der Wirtschaft diskutierten die Themen Digitalisierung, Gerechtigkeit, Künstliche Intelligenz und New Work. Alle Artikel zum Thema finden Sie hier.

Da sind etwa Unternehmen, die sich Berater ins Haus holen, um sich bei der Digitalisierung helfen zu lassen. Das Wissen bei den Verantwortlichen um die Notwendigkeit solcher Schritte sei da, sagt Telzerow. Doch sie müssten auch bereit sein, ihr Geschäftssystem komplett umzukrempeln. Und dann aushalten, dass der Nutzen nicht schon nach einem halben Jahr zu sehen ist. "Ich würde mir mehr Mut wünschen", sagt Telzerow, dass mehr Manager, egal welchen Alters, sich auch etwas Neues trauten, wenn sie noch keine Antworten auf alle Fragen hätten.

"Ich glaube, der Erfolg der Vergangenheit ist der Fluch der Zukunft", sagt Nemat. Deutschland sei in vielen Dingen sehr erfolgreich, investiere aber rückwärtsgewandt - derzeit etwa immer noch in Kohle anstatt in erneuerbare Energien oder in Technologien wie künstliche Intelligenz.

"Es gibt in unserem politischen System keinen Raum, in dem man über Ideen diskutieren kann."

Dass es politisch hakt, bestätigt auch Sattelberger, der seit zwei Jahren im Bundestag sitzt: "Es gibt in unserem politischen System keinen offenen Raum, in dem man über neue Ideen diskutieren kann - Hinterzimmer ja, aber keinen Open Space." Er habe mal in seiner Fraktion zu einem Vorschlag der Grünen empfohlen, diesen mitzutragen und ihm einen liberalen Punkt aufzusetzen. Die Kollegen hätten aber gesagt, in der Opposition gebe es keine Koalition. "Wir müssen uns bitter und hart die Karten legen, dass unser parlamentarisches System, wie es heute ist, nicht genderfähig, nicht divers, nicht offen ist für parteiübergreifende Diskussion", schimpft Sattelberger.

Diversität, das ist ein weiterer Punkt, in dem Deutschland moderner sein könnte. Nemat ist der Meinung, dass die Digitalisierung Männer und Frauen vor die gleichen Herausforderungen stelle. Da sei etwa die Führungsfrage: "Der Typus des jetzigen Managers oder der Managerin ist tot." Ein Vorgesetzter, der nur Aufgaben und Ressourcen verteilt und Performanceindikatoren entwickelt, reiche heute nicht mehr. "Wenn künstliche Intelligenz immer wichtiger wird, wird auch empathische Intelligenz immer wichtiger." Auch Arbeitsabläufe und Personaleinsatz müsse man überdenken. Manchmal etwa helfe eine kluge Rotation, um neues Denken zu fördern. So habe ein Telekom-IT-Chef seine Leute mal auf andere Posten umverteilt - was dazu führte, dass sie plötzlich nicht mehr als Experten in dem Feld, in dem sie jahrelang tätig waren, auftreten konnten, sondern zum ersten Mal anderen Kollegen mit weniger Erfahrung zuhören mussten.

Auch Personalchefin Telzerow sieht darin eine wesentliche Entwicklung. Die Welt werde komplexer, daher brauche es mehr Perspektiven. Im ersten Schritt gehe es darum, eine Kultur zu schaffen, die bereit ist, Talente zu beschäftigen, die nicht dem Standard der letzten 20 Jahre entsprechen. Mehr Vielfalt also aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Doch auch die Präsenz von Frauen in Führungspositionen, als Gründerinnen und in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) sei nach wie vor zu gering. Die Telekom etwa hat sich dafür ein Quotenziel von 30 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts gesetzt, derzeit sei man bei 25 Prozent, sagt Nemat. Eine gute Frauenförderung gehe aber auch über die Förderung der richtigen Männer - indem man ihnen die Möglichkeit gebe, die richtigen Frauen zu fördern und ihnen zu vermitteln, dass das etwas Gutes sei.

Sattelberger, der am Kongresstag seinen 70. Geburtstag feiert und dafür schon zur Begrüßung mit einem Blumenstrauß beschenkt wird, sieht die Frauenförderung auch als wichtigen Faktor. Der Abgeordnete war vor seiner politischen Karriere nicht nur fünf Jahre im Vorstand der Telekom, sondern zuvor auch Personalchef beim Reifenhersteller Continental. Schon damals, 2006, habe er den Begriff Frauenquote wegen geringer Akzeptanz nicht gern verwendet, sondern "Optimierungswerte" eingeführt. Seine Partei, die FDP, sei bei dem Thema auch kein Vorbild, bestätigt Sattelberger, sie ziehe nicht mit. Aber: "Was meinen Sie, wie lange das bei der Telekom gedauert hat!" Frauenförderung sei ein Jahrhundertthema, das könne man nicht auf drei Jahre komprimieren.

So sind sich letztlich alle einig, die Unternehmerin, der Politiker, die Personalchefin: Um modern zu sein, muss sich das Land mehr trauen, schneller arbeiten, Abläufe ändern und in der Arbeitswelt diverser werden. Überall mehr Wumms eben.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2019
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