Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Die Zukunft ist pink

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Die Loh-Gruppe aus Hessen produziert in ihrem neuen Werk in Haiger Schaltschränke. Alles dort ist vernetzt - die Maschinen, die Produkte und die Menschen.

Von Elisabeth Dostert, Haiger

Die digitale Fabrik steht in der Provinz - in Haiger in Mittelhessen. Die Firmengruppe von Friedhelm Loh sitzt dort. Das neue Werk gehört zu Rittal, dem größten Mitglied der Loh-Gruppe. Die Fabrik ist ein dunkelgrauer, fensterloser Klotz: 24 000 Quadratmeter Produktionsfläche auf zwei Etagen. Bis zu 9000 Kompakt-Schaltschränke und Kleingehäuse will Rittal dort täglich produzieren. 35 000 Tonnen Stahl wird das Werk jedes Jahr verarbeiten. 250 Millionen Euro hat Loh in seine Smart Factory gesteckt, zu der auch ein Logistikzentrum gehört. Es ist die größte Investition in der Firmengeschichte. Mitte März, schon vor der Hannover-Messe, lud Loh zur Besichtigung ein.

"Wir passen uns nicht an, wir wollen vorne weg sein, wir wollen überraschen"

In der smarten Fabrik ist alles vernetzt - die Maschinen, die Produkte und die Menschen. Die Fabrik ist nur ein Teil in einer langen digitalen Wertschöpfungskette, die beim Kunden anfängt und dort wieder aufhört. Der Kunde konfiguriert den Schaltschrank nach seinen Wünschen am Computer: Soll er aus Edelstahl sein oder Schwarzblech? Wo sollen die Scharniere für die Tür sitzen? Welche Farbe soll der Lack haben? Mit welchen Steuerungskomponenten soll die Montageplatte bestückt werden? Nach diesen Daten fertigt Rittal das Gerät, das dann an den Kunden geht.

"Wir fahren gerade erst hoch", sagt Werksleiter Oliver Poth. Er führt durch die Fabrik. Alles, was beweglich ist, ist in einem kräftigen Rosa lackiert, die Roboter, die fahrerlosen Transportsysteme und die Förderanlagen, an denen Gehäuseteile durch die Lackiererei baumeln. Loh regelt alles, auch die Farben des Firmenauftritts: Anthrazitgrau, Signalweiß, Power Pink, die Farbe hat sich Loh schützen lassen.

Poth läuft durch die Gänge in der neuen Fabrik, vorbei an Robotern, die Metall bearbeiten, Öffnungen stanzen und schweißen. Sie arbeiten hinter Gittern. Neben den Anlagen sitzen an kleinen Tischen Männer an Notebooks, es sind eigene Mitarbeiter und welche von Firmen, die Maschinen und Roboter für das neue Werk geliefert haben. Sie richten die Produktion ein und kontrollieren, ob die Produktion schon so läuft wie geplant. An Stehwänden hängen "Problemfortschrittstafeln" und "Problemlöseblätter", alles wird sorgfältig protokolliert. Bis Ende des Jahres soll das Werk voll hochgefahren sein. Es kommt nicht ohne Menschen aus, aber es braucht ein Drittel weniger als bisher für das gleiche Produktionsvolumen benötigt wurde. Etwa 300 Mitarbeiter sollen am Ende in dem neuen Werk arbeiten, sagt Werksleiter Poth.

"Die Produkte, die wir haben, sind die Erfindungen unserer Kunden"

"Industrie 4.0 ist bei Rittal keine Vision mehr, sie hat begonnen", sagt der bei Rittal für die Produktion zuständige Geschäftsführer Carsten Röttchen. Er gerät ins Schwärmen. In dem neuen Werk sei die Integration der einzelnen Komponenten und Anlagen auf eine ganz andere Ebene gehoben worden. Es gehe darum, "Tausende von Sensoren und Hunderte von Maschinen" über Schnittstellen optimal zu einem Konstrukt zu verbinden. "Industrie 4.0 können Sie nicht kaufen", sagt Röttchen: "Das hier ist Pionierarbeit. Alle Prozesse, die wir jetzt schon in unseren Fabriken haben, werden im neuen Werk digital zusammengeführt." In dem neuen Werk produziert Rittal Schaltschränke. Es ist aber auch der Ort, an dem die Gruppe lernen will, wie die komplett vernetzte Produktion geht, wie man in vielen Terabyte von Daten die richtigen herausfiltert und nutzt, um die eigene Effizienz zu verbessern und neue Dienste zu entwickeln. "Das eine ist Daten sammeln, das andere ist Daten nutzen", sagt Firmenchef Loh: "Man neigt dazu, zu viele Daten zu sammeln, die man gar nicht braucht. "Die Fabrik ist ein Risiko. So etwas muss nicht klappen", sagt Loh. Das neue Werk in Haiger entstand auf der grünen Wiese. Das Werk am Standort Rittershausen wird im laufenden Betrieb digitalisiert. Insgesamt will Loh binnen drei Jahren 600 Millionen Euro investieren.

"Wir passen uns nicht an, wir wollen vorneweg sein, wir wollen überraschen", sagt Loh. Aus seinem Mund klingt das wie ein Gebot. Im vergangenen Jahr setzte die Gruppe weltweit mit 12 000 Mitarbeitern 2,6 Milliarden Euro um. Sie liefert viel mehr als Schaltschränke oder Racks für Rechenzentren. Sie bietet komplette IT-Lösungen für Edge-Computing und Hyperscaler. Das eine ist die Verarbeitung von Daten lokal an der Anlage oder zumindest in oder nahe der Fabrik, das andere in sehr sehr großen Rechenzentren, sogenannten Server-Farmen. Loh hat in den vergangenen Jahren immer wieder kleinere Firmen übernommen oder sich an ihnen beteiligt, um sein Angebot zu erweitern. 2016 hat sich Rittal mit 31 Prozent an dem deutschen Start-up Innovo Cloud beteiligt. Mittlerweile gehört der Anbieter von virtuellen Rechenzentren ganz zur Gruppe. Und Loh hält rund ein Drittel an der Lefdal-Mine in Norwegen, dem größten europäischen Rechenzentrum in Westeuropa.

Über seine private Beteiligungsfirma Swoctem ist er mit einem Anteil von gut 25 Prozent der größte Einzelaktionär beim Stahlhändler Klöckner & Co. Loh war auch am Roboterhersteller Kuka beteiligt, verkaufte seine Anteile dann an den chinesischen Hausgerätehersteller Midea.

Lohs Vater Rudolf hat Rittal 1961 in einer ehemaligen Weberei gegründet. "Heute wären wir ein Start-up. Früher hat man einfach gesagt: Wir gründen eine Firma." Die Erfindungen würde man heute vielleicht disruptiv nennen, weil sie einen alten Markt aufbrachen. Rudolf Loh erfand den standardisierten Schaltschrank, vielmehr seine Kunden. "Jeder, der zu uns nach Hause kam, wurde gefragt: Hast du eine Idee", erzählt Friedhelm Loh: "Die Produkte, die wir haben, sind die Erfindungen unserer Kunden, weil wir Fragen gestellt haben. Wir sind permanent auf der Suche nach Neuem."

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Quelle:
SZ vom 02.04.2019
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